Afghanistan

Trauriger Rekord

Produktion und Handel illegaler Drogen sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Afghani­stan. Im Süden des Landes wird in knapp 85 Prozent der Dörfer Schlafmohn angebaut. Der Landbevölkerung des extrem unsicheren Landes sichert er ein regelmäßiges und einigermaßen stabiles Einkommen. Ertragsschwankungen haben weniger mit po­li­tischen Maßnahmen als mit den Witte­rungsbedingungen zu tun.
Afghanische Bauern bei der Opiumernte. Rahmat Gul/picture-alliance/AP Photo Afghanische Bauern bei der Opiumernte.

Afghanistan ist seit mehr als 25 Jahren das Hauptanbaugebiet von Schlafmohn und der Hauptlieferant von Opium, Heroin, Morphin und anderen Opiaten. Im vergangenen Jahr wuchs die Gesamtanbaufläche für Schlafmohn in dem Land um 63 Prozent auf 328 000 Hektar und erreichte damit einen neuen Rekord. Hochburgen sind die südlichen Provinzen Kandahar, Uruzgan und Helmand.

Die Anbau- und Produktionszahlen schwanken von Jahr zu Jahr. Das ist allerdings weniger auf gezielte politische Interventionen im Drogensektor zurückzuführen – vielmehr rühren Ernterückgänge in manchen Jahren von ungünstigen Wetterlagen her. Auch die Handelsstrukturen spielen eine Rolle: Der Drogenmarkt funktioniert wie jeder freie Markt nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage und reagiert auf ein hohes Angebot an Opiaten mit fallenden Verkaufspreisen. Um diese Schwankungen ausgleichen zu können, muss der Drogenmarkt über eine Drosselung des verfügbaren Angebots reguliert werden.

Großhändler und Schmuggelkartelle halten Opiate in geheimen Lagern zurück, um das Angebot künstlich zu verknappen. Schätzungen belaufen sich auf eine Opiumreserve von 10 000 bis 15 000 Tonnen. Da der Stoff nicht schlecht wird, können Schmuggelnetzwerke damit jederzeit den globalen Drogenmarkt manipulieren. Außerdem werden ständig neue Substanzen mit unterschiedlichen Zusammensetzungen von Opiaten entwickelt, um den Markt zu beleben.

Wegen der Rekordernte im Jahr 2017 könnten Schätzungen zufolge aktuell etwa 7 600 bis 7 900 Tonnen Opium in Heroin umgewandelt werden und damit eine beispiellose Menge auf dem globalen Drogenmarkt landen. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) geht davon aus, dass in diesem Jahr etwa 550 bis 900 Tonnen Heroin mit einem sehr hohen Reinheitsgrad von 50 bis 70 Prozent den weltweiten Heroinmarkt erreichen. Damit lassen sich hohe Preise erzielen, denn besonders auf den lukrativen Nachfragemärkten in Westeuropa gilt: je höher der Reinheitsgrad, umso höher der Preis pro Gramm Heroin.


Bis zu einem Drittel der Wirtschaftsleistung

In Afghanistan selbst ist der Drogensektor schätzungsweise zwischen 4,1 und 6,6 Milliarden Dollar wert und stellte damit 2017 20 bis 32 Prozent des afghanischen Bruttoinlandsproduktes dar. Im Vorjahr lag der Anteil nur bei sieben Prozent. 2017 gab es 354 000 Vollzeitarbeitsstellen im Drogengeschäft, dazu kamen zahlreiche Gelegenheitsjobs.

Zwar ist die Differenz zwischen den Gewinnen aus dem Opiumanbau und dem Anbau alternativer legaler Produkte wie Weizen, Reis, Mais oder Tomaten deutlich gesunken. Doch die Bauern halten am Schlafmohn fest, da sie auf sein stabiles Preisniveau vertrauen. Nicht nur beim Anbau und der Ernte wird Geld verdient. Arbeitsplätze gibt es auch im Transport, Handel und der chemischen Herstellung von Opiaten.

In den strukturschwachen, landwirtschaftlich geprägten Gebieten Afghanistans hängt ein erheblicher Teil der Menschen vom Schlafmohnanbau und der Drogenproduktion ab. In den westlichen und nördlichen Regionen wird in einem Drittel aller Dörfer Schlafmohn angebaut, im Westen ist es mehr als die Hälfte, und im Süden sind es sogar knapp 85 Prozent der Dörfer. Der Drogenanbau bietet nicht nur den Bauern ein gesichertes Einkommen, sondern auch vielen Tagelöhnern, Arbeitssuchenden, Wanderarbeitern und heimgekehrten Flüchtlingen, vornehmlich aus den Nachbarstaaten Iran und Pakistan.

Die florierende Drogenökonomie wird auch von der weiterhin schlechten Sicherheitslage im Land beflügelt. Zum einen hat sich das illegale Geschäft seit Jahrzehnten professionell organisiert und ist inzwischen weitgehend immun gegen jegliche Bekämpfungsmaßnahmen – die aber ohnehin nur spartanisch und punktuell durchgeführt werden. Die Politik, ehemalige Warlords bewusst in das neue politische System und die Regierung zu integrieren und ihnen wichtige Machtpositionen zuzugestehen, hat dazu geführt, dass diese als legale politische Akteure agieren konnten, de facto aber in das illegale Wirtschaftsgeflecht der Drogenökonomie eingebunden blieben. So konnten sie wichtige Patronage-Funktionen im Drogensektor übernehmen und in der Hierarchie aufsteigen.

Ehemalige Warlords nahmen von höchster staatlicher Stelle Einfluss auf die neu geschaffenen Institutionen der Drogenbekämpfung – allen voran die Sicherheitskräfte – und torpedierten Maßnahmen wie Verhaftungen, Zerstörung von Feldern, Aufspüren von Schmuggelringen und Sicherstellungen größerer Drogenmengen. Diese Patronage von allerhöchster politischer Ebene hat nicht nur den Drogenmarkt angeheizt, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Regierung stark beschädigt. Es blieb bei symbolischen Maßnahmen der Vernichtung von Feldern in kleinem Stil und der Verhaftung von Schlafmohnbauern und Drogenhändlern auf unteren Ebenen.

Weil sich der Anbau seit Jahrzehnten auf die Südprovinzen konzentriert, wo sich auch das traditionelle Einflussgebiet der Taliban und anderer aufständischer Gruppen befindet, hat sich die Behauptung festgesetzt, die Drogenökonomie diene vor allem als deren Finanzierungsquelle. Diese Lesart greift aber viel zu kurz und ignoriert die Komplexität der nationalen und regionalen Drogengeschäfte. In der Tat profitieren die Taliban und andere Aufständische davon. Aber sie stellen nur eine Gruppe unter vielen Nutznießern dar. Regionale Milizenführer, Mullahs und Dorfälteste bis hin zu hochrangigen Amtsträgern auf Ebene der Provinz- und Zentralregierung nehmen landesweit als Empfänger von Schutzgeldern und Zöllen einen Teil der Drogengelder ein.

Außerdem wird der größte Teil der Profite aus dem Drogenschmuggel außerhalb Afghanistans verdient. Auf der wichtigsten Route nach Westeuropa, der sogenannten Balkanroute, dominieren türkische und kurdische Mafiaorganisationen und Clans das illegale Geschäft.


Janet Kursawe lehrt politische Soziologie und Drogenpolitik an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum.
kursawe@evh-bochum.de

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