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Infrastruktur

Von null auf hundert

Südsudans Hauptstadt Juba wächst atemberaubend schnell. Noch vor wenigen Jahren war sie eine verschlafene Stadt mit stroh­gedeckten Hütten. Dank des Friedens und der Öldollars befindet sich die Hauptstadt der jüngsten Nation der Welt aber nun auf dem Weg in die Modernität. Dieser Essay entstand, bevor kurz vor Redaktionsschluss vor Weihnachten politische Gewalt ausbrach (siehe Seitenleiste).
Flughafen in Juba, Südsudan. Sheila Mysorekar Flughafen in Juba, Südsudan.

Das Wachstum von Juba ist atemberaubend. Vor vielen Jahren war die Stadt Sudans südlicher Verkehrsknotenpunkt. Überlandstraßen führten von dort nach Uganda, Kenia, Äthiopien, in die Demokratische Republik Kongo (DRC) und die Zentralafrikanische Republik (CAR). Während des Bürgerkrieges 1983–2005 aber wurden diese Straßen abgeschnitten, weil die Rebellen Juba belagerten. Heute erholt sich die Stadt allmählich davon, und der Kontrast ist erstaunlich.

Ich erinnere mich noch gut, wie verfallen die Stadt war, als ich 2005 aus meinem südafrikanischen Exil zu Besuch kam. Das Friedensabkommen zur Beendigung des mehr als 20-jährigen blutigen Konflikts war gerade unterzeichnet worden. Der Bürgerkrieg hatte mehr als 2,5 Millionen Menschen das Leben gekostet, die meisten von ihnen Zivilisten.

Juba war damals eine offensichtlich vernachlässigte Stadt. Große Grasbüschel überwucherten den Flughafen. Tiere grasten überall auf den Flugpisten. Kühe und Schafe wanderten durch die Gebäude und brachten Flugzeuge und Passagiere in Gefahr. Aber es gab ohnehin nicht viel Flugverkehr. Ab und zu landeten sudanesische Militärmaschinen und brachten Nahrungsmittel. Früher hatten sie Waffen eingeflogen.

Die Grenzbeamten saßen einfach mitten in der belebten Ankunftshalle. Sie hatten weder Computer noch eigene Büros. Sicherheit war lasch. Nie wurden Terroristen erwischt, dabei ist bekannt, dass in den 1990er Jahren Al-Kaida-Führer Osama bin Laden häufig zu Besuch kam. Er führte seinen Dschihad von Sudan aus, bevor er nach Afghanistan floh.

„Osama bin Laden wohnte früher hier", sagte mal ein Freund nebenbei und zeigte auf ein bescheidenes Haus, als wir durch Hai Malakal fuhren, einen Mittelklasse-Vorort von Juba. Viele Leute in Juba erinnern sich noch an diesen schlaksigen, bärtigen Saudi. Das war lange bevor bin Laden international von den USA gejagt wurde.

Als ich 2005 aus der lauten Flughafenankunftshalle ins Freie trat, war die Hitze überwältigend – über 50 Grad Celsius, und nirgendwo ein Taxi. Damals gab es in der gesamten Stadt nur 17 Autos; die meisten gehörten den gefürchteten Sicherheitsagenten. Die allergrößte Mehrheit der Einwohner Jubas hatte sich ihrem Schicksal ergeben und ging zu Fuß. Die Stadt war damals noch klein. Ziegen, Schafe, Enten, Hunde und Hühner schliefen mitten auf der Straße. Die Fahrer der wenigen Autos hatten ihre Methoden entwickelt, wie man Tieren und Schlaglöchern ausweichen konnte.

Aber das Schockierendste war: Die Stadt war voller lebender Skelette. Die Menschen hungerten. Der Ort wimmelte vor Fliegen und Moskitos, die Malaria übertrugen. Die meisten Häuser waren strohgedeckte Hütten, die fast zusammenbrachen. Während des Krieges war es zu gefährlich geworden, in den Wald zu gehen und Gräser zu schneiden, um ein altes Dach zu erneuern. Wer den Wald betrat, riskierte sein Leben, denn durch den Wald zu gehen wurde gleichgesetzt mit Unterstützung der Rebellen, was Landesverrat war.

Die wenigen modernen Häuser, die 2005 noch heil waren, hatte noch die britische Kolonialregierung vor der Unabhängigkeit Sudans 1956 gebaut. Juba hatte einige geteerte Straßenabschnitte in der Stadtmitte, die aber völlig löchrig waren. Außerhalb von Juba gab es im gesamten Land keine geteerten Straßen. Khartoum hatte in den Südsudan nicht investiert und nichts entwickelt, nachdem die Briten abgezogen waren.

 

Das war damals

Die Lage hat sich geändert. Der Bürgerkrieg ist lange vorbei, und Südsudan ist ein unabhängiger Staat. Juba ist jetzt die am schnellsten wachsende Stadt in Afrika. Seit 2005 ist die Metropole um mindestens 12,5 Prozent pro Jahr gewachsen. Der frühere Bürgermeister Mohammed al Haj Babala schätzt, dass die Stadt nun unglaubliche 1,2 Millionen Einwohner zählt, im Vergleich zu 160 000 im Jahr 2005.

Die städtische Grundversorgung kann mit dem schnellen Wachstum nicht mithalten. Die meisten Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Leitungswasser und sind auf Wasserverkäufer angewiesen. Es gibt weder Straßennamen noch Hausnummern. Die Mehrheit der Leute sitzt nach Sonnenuntergang im Dunkeln. Wer es sich leisten kann, hat einen eigenen Generator. Doch die Regierung bemüht sich und baut nach und nach das Stromnetz und die Wasserversorgung aus.

Aber Fortschritt bringt auch Probleme, und die merkt man jetzt schon. Früher gab es keine Kriminalität – jetzt entwickeln sich Prostitution, Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt zu großen Problemen.

Als ich in Juba aufwuchs, gab es keine Gewaltverbrechen. Nachbarn ließen ihre Türen offenstehen und verreisten wochenlang, und als sie wiederkamen, fanden sie alles vollständig vor. Die einzigen Diebe, die es damals gab, waren Leute, die Hosen und Hemden mit langen Stangen aus den Hütten angelten, durch den Schlitz zwischen Wand und Dach. Sie nahmen das Geld aus den Taschen und legten die Kleidung hinter die Hütte. Sie waren einfach hungrig und wollten Essen kaufen, aber sie hätten niemals Menschen getötet.

Bis vor wenigen Monaten wurden anständige Bürger aus ihren Häusern gezerrt und für eine Beute von nur 100 SSP (Südsudanesische Pfund, etwa 26 Euro) erschossen. Bewaffnete Gangs brachen in Häuser ein und erpressten die Leute. Sie stahlen elektronisches Equipment wie Laptops, Handys, Kameras oder Juwelen. Die neue Regierung, die im Juli 2013 ihr Amt antrat, geht energisch gegen diese Räuber vor; seitdem ist Juba ruhiger geworden.

Die Stadt hat sich auch in anderer Hinsicht verändert: Jetzt gibt es Staus. Durch das südsudanesische Öl ist Geld ins Land gekommen, so dass die Mittelklasse sich Autos leisten kann. Menschen kehren aus aller Welt aus dem Exil zurück – manche mit ihren schicken Fahrzeugen. Wegen der schlechten Infrastruktur sind SUVs sehr beliebt. Im zentralen Krankenhaus in Juba lautet der Spitzname einer Abteilung „Senke-Station", benannt nach der asiatischen Motorradmarke Senke. Diese Sta­tion ist voller Menschen, die in Motorradunfällen verletzt wurden.

Die meisten Motorräder werden als Taxiservice genutzt, genannt „Bodaboda". Leider scheren sich die Fahrer weder um Verkehrsregeln noch um die Sicherheit
ihrer Passagiere. Oft sieht man drei Leute auf einem Bodaboda sitzen, das in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Stadt rast. Auf meinem Weg zur Arbeit zähle ich jeden Tag durchschnittlich sechs Motorradunfälle.

Trotz der Risiken nutzen viele Leute Bodabodas. Sie sind billiger und schneller als alle anderen Transportmittel. Die Regierung stellt jedoch neue Vorschriften auf, wie Helmpflicht und Leuchtwesten für Fahrer. Jedes Bodaboda darf nur noch einen Passagier transportieren.

Das Problem ist nur, dass Gesetze auch durchgesetzt werden müssen. Die Institu­tionen dieses jungen Staates sind aber noch sehr schwach. Mehr Ausbildung, Disziplin, Arbeitsethik und ein besseres Bildungssystem werden noch längere Zeit brauchen.

Die Boomstadt Juba zieht Immigranten aus benachbarten Staaten an, zum Beispiel aus Uganda, Kenia, Äthiopien, der Demokratischen Republik Kongo, Eri­trea, Ruanda, Burundi und Somalia. Ölgeld verwandelt das Land in ein Eldorado.

Die Einwanderer sagen, dass sie in Juba mehr Arbeitsmöglichkeiten haben als zu Hause. Unter ihnen besteht eine klare Arbeitsteilung: Die Ugander beispielsweise arbeiten im Straßenhandel; sie verkaufen Nahrungsmittel, wie Gemüse, Bananen, Cassava (Maniok), Süßkartoffeln und Mais. Kenianer arbeiten in Nichtregierungsorganisationen und UN-Agenturen. Äthiopier und Eritreer arbeiten im Gastgewerbe, wie Hotels oder Restaurants und verkaufen Alkohol und Limonaden. Somalis haben Tankstellen, Immobilien, Baumärkte und kleine Tante-Emma-Läden. Sie alle machen Juba zu einem Schmelztiegel von unzähligen regionalen Sprachen.

Im Jahr 2005 mussten Besucher – die meisten von der UN und Hilfsorganisationen – noch in Zelten schlafen. Heute gibt es mehr als 250 Hotels, viele in internationalem Standard. Die Stadt hat gute Flugverbindungen; am beliebtesten sind Nairobi, Entebbe und Addis Abeba. Und jeden Tag kommen mindestens 20 Busse aus Ugandas Hauptstadt Kampala an.

Juba zieht auch die Armen vom Land an, die zu überleben versuchen, indem sie Tee und Snacks am Straßenrand verkaufen. Die moderne und die traditionelle Welt treffen aufeinander. Man sieht zum Beispiel häufig einen Mann mit Pfeil und Bogen oder einem Speer auf der einen Straßenseite und einen Soldaten mit einer automatischen Waffe auf der anderen Seite. Und häufig blockiert eine Herde Kühe den Verkehr.

Jubas schwindelerregendes Wachstum kann am besten mit einer beliebten Geschichte illustriert werden: Ein Mann kam nach vier Monaten aus dem Ausland zurück und fand sein eigenes Haus nicht mehr. Der Taxifahrer konnte ihm nicht helfen. Am Ende telefonierte der arme Mann und bat einen Verwandten, ihn abzuholen und nach Hause zu bringen. Alle freien Grundstücke in seiner Nachbarschaft waren bebaut worden, während er verreist war. Jubas Gesicht verändert sich so schnell, dass man kaum noch mitkommt.

 

Moyiga Nduru ist Journalist, Kolumnist und Kommentator. Er lebt in Juba.
moyiganduru@gmail.com