Städte

Nicht smart genug

Weltweit zeigt sich, dass Stadtentwicklung am besten funktioniert, wenn lokale Verwaltungen dafür verantwortlich sind, die ihren Wählern gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Leider macht sich Indiens ansonsten bemerkenswertes Smart-Cities-Programm dieses Wissen nicht zunutze.
Fischerhafen in Mangalore, einer südindischen Küstenstadt mit rund 600 000 Einwohnern. Das Smart-Cities-Programm soll helfen, die Infrastruktur zu verbessern. Boethling/Photography Fischerhafen in Mangalore, einer südindischen Küstenstadt mit rund 600 000 Einwohnern. Das Smart-Cities-Programm soll helfen, die Infrastruktur zu verbessern.

Die städtischen Gebiete vieler Entwicklungsländer wachsen rasant. In der globalen Debatte hat sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen die Idee der „Smart Cities“ etabliert. Es geht darum, eine angemessene Infrastruktur zu schaffen und diese mit digitalisierter Datenverarbeitung zu verknüpfen, etwa um die Energieeffizienz zu verbessern und Umweltschäden zu reduzieren. Der Ansatz der intelligenten Stadt ist ein guter Weg, um die unzähligen Herausforderungen der Urbanisierung zu bewältigen – von Verkehrsstaus über die Abfallwirtschaft bis zur Gesundheitsversorgung (siehe E+Z/D+C-Schwerpunkt im e-Paper 2016/10 und Druckheft 2016/11-12).

Indiens Zentralregierung befürwortet dieses Konzept und hat das Smart-Cities-Programm ins Leben gerufen. Bis zum Jahr 2020 sollen 100 „intelligente Städte“ entwickelt werden. Das Programm konzentriert sich auf Gebäudeinfrastruktur – also unter anderem Sanitär, Wasserversorgung, erschwinglichen Wohnraum und Mobilität. Man rechnet mit Kosten von umgerechnet 30 Milliarden Dollar.

Leider bezieht sich der Begriff „smart“ lediglich auf die technischen Lösungen, die die Ausführung von Dienstleistungen steigern und das Wirtschaftswachstum fördern sollen. Was Regierungsführung angeht, ist der Ansatz nicht sehr intelligent.

Bisher wurden 90 Städte ausgewählt. Einige Projekte befinden sich bereits in der Umsetzung. Als Regierungschef Narendra Modi das Programm startete, sagte er, damit habe der für die indische Urbanisierung bis dahin typische Top-down-Ansatz ein Ende. Er versprach eine auf den Menschen ausgerichtete Entwicklung; die Verantwortlichen in der jeweiligen Stadt sollten entscheiden, wie ihre Stadt wächst.

Tatsächlich ist das aber nicht der Fall. Das Smart-Cities-Programm hat die Kommunalregierungen nicht gestärkt. Sollen örtliche Behörden einen guten Job machen, brauchen sie Autonomie und Entscheidungsspielräume. Die Kommunalregierungen in Indien sind jedoch schlecht organisiert und extrem komplex. Institutionell gibt es drei Ebenen:

  • Die Zentralregierung hat eine Aufsichts- und Unterstützerfunktion und hilft bei der strategischen Planung.
  • Die Regierungen der 29 Bundesstaaten spielen die Hauptrolle in der kommunalen Regierungsführung. Ihre eigentliche Aufgabe ist es, über staatliche Abteilungen und Gremien sowie öffentliche und nichtöffentliche Stellen, auf Stadtebene für grundlegende Infrastruktur und Dienstleistungen zu sorgen. Auch sollen sie die für Planung und Durchführung von Infrastrukturprojekten nötigen Gelder bereitstellen. Viele Staaten Indiens sind extrem dicht bevölkert, in manchen leben mehr als 100 Millionen Menschen. Da ein Großteil von ihnen auf dem Land lebt, hat Stadtentwicklung bei den wenigsten bundesstaatlichen Regierungen Priorität.
  • Die Kommunalregierungen sind verantwortlich für den Betrieb und die Instandhaltung von Basisdiensten, manchmal auch für die Umsetzung von Ad-hoc-Infrastrukturprojekten. Sie sind nicht befugt, eine umfassende Stadtplanung zu entwerfen oder umzusetzen; sie sind weisungsgebunden und finanziell von den Staatsregierungen abhängig.

So gesehen hätte das Smart-Cities-Programm gut daran getan, Anreize für die bundesstaatliche Ebene zu schaffen, die kommunale Autonomie und Funktionen zu stärken. Stattdessen tat die Zentralregierung das, was auf den ersten Blick wohl einfacher erschien: In jeder teilnehmenden Stadt werden eigenständige Firmen – sogenannte „Special Purpose Vehicles“ (SPV) – eingesetzt, um das Programm umzusetzen.

Somit unterliegen Projektplanung und -durchführung eigens dafür nominierten Technokraten; die Meinung der vor Ort gewählten politischen Entscheidungsträger fließt somit kaum ein. Schlimmstenfalls haben die Kommunen überhaupt nichts mehr zu sagen.

Es ist unklug, die kommunalen Behörden auszugrenzen. Die Gemeindevertreter haben direkten Kontakt zu den Menschen, die sie wählen. Sie kennen die Orte, die sie repräsentieren. Sie kennen die Bedürfnisse, Beschwerden und Hoffnungen der örtlichen Bevölkerung weit besser als ihre Kollegen auf höheren Ebenen.


Beachtliche Befugnisse

Die SPVs dürfen am Kapitalmarkt private Fonds schaffen, Steuern und Zuschläge erheben, Joint Ventures eingehen und alle Entscheidungen zur Umsetzung von „Smart City Proposals“ treffen. Sie können allerhand selbst entscheiden und sind operativ unabhängig – die kommunalen Behörden werden somit weitgehend von den SPVs ersetzt.

Die Idee ist, Städte wie private Unternehmen zu führen. Aber das ist sinnentfremdet: Politik hat nicht das Ziel, Gewinne zu erzielen, es gibt also nichts, worüber Erfolg klar messbar wäre. In der Politik geht es um Gemeinwohl, darum, Interessen zusammenzuführen, Kompromisse zu finden und – wo möglich – Konsens zu fördern.

Gewissermaßen funktioniert eine Demokratie besser als ein Unternehmen, denn sie kann sicherstellen, dass alle Stimmen gehört, Beschwerden berücksichtigt und zerstörerische Konflikte unwahrscheinlicher werden. Zunächst mag es mühsam erscheinen, die Menschen vor Ort einzubeziehen. Langfristig aber mindert es Probleme und hilft, die Wählerschaft zu erziehen. So gesehen sind intelligente Bürger das Ergebnis intelligenter Regierungsführung.

Das Smart-Cities-Programm hat aber auch echte Stärken:

  • Der Fokus liegt auf der Infrastruktur und nicht auf der Technik, und das ist sinnvoll, da die Infrastruktur der indischen Städte miserabel ist und dringend verbessert werden muss.
  • Die teilnehmenden Städte sind keine Mega-Städte wie Mumbai, Delhi oder Kolkata, sondern mittelgroße Städte – und damit die wichtigsten, weil sie besonders schnell wachsen.
  • Diese Städte müssen so geplant werden, dass sie zu Knotenpunkten für Handel und Industrie werden, um die Versorgung der schnell wachsenden Bevölkerungen zu sichern. Geht man heute sorgfältig vor, gibt es morgen weniger Probleme.

Ironischerweise erfordern wirklich intelligente Städte eine intelligente Regierungsführung – und das geht nur auf lokaler Ebene. Entgegen Modis Aussage zeigt sich im Smart-Cities-Programm jedoch weiterhin eine Top-down-Mentalität: Vom Auswahlprozess bis hin zur Umsetzung spielt die Zentralregierung eine wichtige Rolle. Auch wäre es sinnvoll, den institutionellen Rahmen so zu gestalten, dass bestehende Einheiten der Lokalregierung funktionieren, statt neue Einheiten zu schaffen.


Effizienz – Demokratie – Normen

Allem Anschein nach untergraben die SPVs die örtliche Demokratie. Sie können Steuern und Nutzungsgebühren erheben und öffentlich-private Partnerschaften eingehen, um sich Eigenkapital auf dem Markt zu verschaffen. Es wäre gut gewesen, all das den lokalen Regierungen zu überlassen. Tatsächlich ging es im „decentralisation amendment act“ von 1992 genau darum. 25 Jahre später steht dessen Umsetzung noch aus. Der Smart-Cities-Ansatz hätte diesen Schritt schaffen oder zumindest die Kommunalregierungen mit ihren bestehenden Strukturen einbeziehen können, um eine bessere Umsetzung der Projekte zu gewährleisten. Auf lange Sicht hätte das zu stärkeren Kommunalregierungen führen können.


Alokandana Nath hat vor kurzem ein Masterstudium in Urban Development an der Technischen Universität Berlin abgeschlossen. Der Artikel basiert auf ihrer Masterarbeit.
alokananda.nath@gmail.com

Ihr Studiengang gehört zur Arbeitsgemeinschaft entwicklungsbezogener Postgraduierten-Programme (AGEP).

www.agep-info.de