Kommentar

Überzogene Thesen

In den reichen Industrienationen ist die Sehnsucht danach verbreitet, das Scheitern der Entwicklungshilfe zu konstatieren. Jüngster Beleg ist das enorme Medienecho auf das 154 Seiten dünne Buch „Dead Aid“ der Investmentbankerin Dambisa Moyo.


[ Von Hans Dembowski ]

Die Hamburger Zeit preist Dambisa Moyo auf einer ganzen Seite. Die Londoner Financial Times pflegt die Debatte über die aus Sambia stammende Ökonomin tagelang in Internet und Printausgabe – und kommentiert nach dem Hype nüchtern, Moyos Vorschläge seien unrealistisch.

Moyos Argumentation ist wirklich schwach. En passant widerlegt sie sich sogar selbst. Ihre Kernthese ist, Entwick­lungshilfe verursache Armut, weil sie zu Korruption und Abhängigkeitsmentalität führe – was volkswirtschaftlichen Erfolg unmöglich mache. Der Erfolg Südkoreas belege nicht, dass Afrika nur mehr Unterstützung brauche, um aufzuholen, schreibt Moyo zu Recht. Sie räumt aber ein (Seite 45), dass die USA Südkorea von 1959 bis 1980 stärker unterstützten als 53 afrikanische Länder von 1957 bis 1990 zusammen. Warum ist Südkorea dann nicht heute besonders schlimm dran? Dass Entwicklungshilfe dem Aufschwung dort nicht im Wege stand, ignoriert sie.

Moyos Schlüsse sind durchweg überzogen. Ja, es wäre gut, wenn afrikanische Regierungen ihre Politik statt auf Entwick­lungshilfe auf Kapital vom internationalen Rentenmarkt stützen würden. Aber anders als Moyo nahe legt, hängt ihre Kreditwürdigkeit nicht direkt von sauberer Regierungsführung ab, die zur Korruption verführende Entwicklungshilfe angeblich verhindert. Sie lobt Ghana und Gabun für die erfolgreiche Ausgabe von Bonds. Ghana gilt aber aus gutem Grund als Geberliebling, dessen Fortschritte zumindest auch auf Entwicklungshilfe zurückgehen (E+Z/D+C, 2/2008, S. 65 ff); und Gabun ist kein Beispiel für Good Governance. Hand aufs Herz, Frau Moyo: Orientieren sich private Anleger an den jeweiligen Regierungsleistungen oder doch an Ölvorkommen?

Moyo betont zu Recht, dass Kleinkredite und Heimatüberweisungen von Migranten wichtig sind. Aber es ist absurd, das Mikrofinanzwesen zu loben, ohne zu erwähnen, dass Institutionen der Entwicklungspolitik den Aufbau solcher Systeme vielfach unterstützt haben. Es steht empirisch zudem noch längst nicht fest, dass Finanzdienste für die Allerärmsten auf Dauer ohne Subventionen funktionieren (E+Z/D+C, 10/2008, S. 385f). Auf das Potenzial der Remittances hinzuweisen, gehört derweil längst zur Standard­rhetorik der Entwicklungspolitik.

Handel ist wichtig, keine Frage. Der Agrarprotektionismus der Nordamerikaner, Europäer und Japaner ist destruktiv. Diskussionswürdig ist sicherlich, ob Entwicklungshilfe nicht auch die Funktion hat, davon abzulenken – und ob sie die Folgen des verzerrten Wettbewerbs auch nur ansatzweise kompensiert. Aber sie ist doch nicht die Ursache einer verfehlten Welthandelsordnung.

Wer Afrikas Armut abhandelt, dabei aber nur einmal (auf Seite 116f) die WTO erwähnt, ist nicht ernst zu nehmen. Dafür erläutert Moyo ausführlich, wie Großbanken die Ausgabe von Bonds begleiten und warum Roadshows dazu beitragen, Investoren zu gewinnen.

Sie hat offenbar das Weltbild von Goldman Sachs, ihrem langjährigen Arbeitgeber, verinnerlicht. Angesichts der branchenüblichen zwölfstündigen Arbeitstage ist das nicht erstaunlich.

Erklärungsbedürftig ist aber, was Medien reicher Nationen dazu treibt, Moyo als Kronzeugin gegen die Entwicklungspolitik zu zitieren. Wir leben im Jahr eins nach der Pleite von Lehman Brothers. Das Leitbild der stets rational und nutzenmaximierend agierenden Märkte ist weltweit diskreditiert. Solche Rezepte unkritisch den Ent­wick­lungspolitikern zu empfehlen, offenbart Desinteresse am Fach – und vermutlich auch den unterschwelligen Wunsch, sich nicht mit unbequemen Dingen wie Armut in fernen Ländern auseinanderzusetzen.

Übrigens ist Entwicklungspolitik nicht das einzige Regierungsressort, bei dem postulierte Ziele und reale Ergebnisse auseinanderklaffen. Betrachten wir einmal das Bundesfinanzministerium. Ausgeglichener Haushalt? Faires, transparentes Steuersystem? Selbsttragender Aufschwung Ost? Stabile globale Finanzarchitektur? Oder auch nur im Inland? Alles Fehlanzeige. Dabei hat sich schon Theo Waigel vor 20 Jahren mit dieser Agenda befasst. Wer glaubt, das läge daran, dass diverse Bundesfinanzminister sich dem Rat von Investmentbankern verschlossen hätten, möge sich bitte melden.