Fragile Staatlichkeit

Hindukusch, Mittelmeer und Kongo

In den deutschen Streitkräften herrscht – anders als in der deutschen Bevölkerung – überwiegend eine positive Einstellung zu Auslandseinsätzen.

[ Von Alexander Blum ]

Im Sommer wird Deutschland voraussichtlich im Norden Afghanistans eine „Quick Reaction Force“ (QRF) stellen. Bundeswehrsoldaten werden abziehende Norweger ersetzen und mit großer Wahrscheinlichkeit an Kampfeinsätzen teilnehmen. Es wird damit gerechnet, dass die Bundesregierung entsprechenden Nato-Bitten nachkommt, ohne aber – wie von den USA und Kanada gefordert – Soldaten auf Dauer in den heftig umkämpften Osten und Süden des Landes zu schicken. Die Bundeswehrspitze selbst tritt dafür ein, die Truppen im Norden um an die 1000 Mann aufzustocken.

Seit sechs Jahren ist die Bundeswehr im Rahmen der Resolution 1623 des UN-Sicherheitsrates an der NATO-geführten „International Security Assistance Force“ (ISAF) beteiligt, derzeit mit etwa 2.800 Soldaten. Deutschland leitet den Regional Command North (RC-North) – einen von fünf RCs. Zu Hause herrscht jedoch weitgehend die Vorstellung, die Bundeswehr agiere als eine Art bewaffnetes Technisches Hilfswerk. Medienberichte über neue Schulen oder Süßigkeiten verteilende Soldaten haben das untermauert.

Dennoch sinkt in Deutschland die Zustimmung zum Abenteuer am Hindukusch. Laut jüngsten Umfragen lehnen mittlerweile 55 Prozent der Bevölkerung die Fortführung der Mission ab. Der QRF-Einsatz wird das Lager der Gegner kaum kleiner werden lassen.

Deutschen Medien gilt Afghanistan als zweigeteilt – in einen friedlichen Norden und ein Kriegsgebiet in Osten und Süden. Diese Sicht ist nur bedingt richtig, denn auch im Norden toben immer wieder Gefechte. Andererseits helfen „Provincial Reconstruction Teams“ (PRTs) auch beim Aufbau im Süden. Ein deutscher Panzergrenadier schildert das Szenario so: „In einem Straßenzug wird gekämpft, den nächsten überwacht eine Patrouille und im dritten bauen Nato-Soldaten eine Schule.“ Die deutschen Soldaten sind auf alle drei Aufgaben vorbereitet.

Ihr Equipment ist gut. Ein Hauptmann sagt, es sei zwar stellenweise verbesserungsfähig, im Vergleich mit dem anderer Nationen aber hervorragend. Die überwiegende Mehrheit der Soldaten verlässt das Lager indessen nur bei An- und Abreise. Es überwiegt trister Lageralltag. Ob und wie sehr die Bundeswehr zur Stabilisierung des Landes beiträgt, kann längst nicht jeder aus erster Hand beurteilen. Dennoch geben sich Bundeswehrangehörige überwiegend von ihrem Auftrag überzeugt. Keine Frage: Finanzielle Zulagen und die Aussicht auf Auszeichnungen tragen zur Motivation bei.

Zahlreiche Umfragen in Afghanistan belegen, dass die Präsenz der NATO-Streitkräfte positiv bewertet wird. Ein in deutschen Diensten stehender afghanischer Dolmetscher in Kabul sagt, Bürgerkrieg würde ausbrechen, wenn die internationalen Soldaten abrückten.

Umstritten ist das Vorgehen des Militärs indessen unter regierungs-unabhängigen Organisationen. Soldaten arbeiten in Afghanistan auch als Wiederaufbauhelfer und sind gemeinsam mit zivilen Entwicklungshelfern in PRTs unterwegs. Aus Sicht des deutschen Verbands der Entwicklungspolitischen Nicht-Regierungsorganisationen (Venro) wird es deshalb für zivile Kräfte in Afghanistan immer gefährlicher. Jürgen Lieser klagt: „Früher war es ein Schutz, dass man als Hilfsorganisation erkennbar war, heute ist es das nicht mehr.“

Einige Hilfsorganisationen, darunter die Caritas und die Welthungerhilfe, fordern deshalb schon seit Monaten eine Wende in der Afghanistan-Politik. Sie seien nicht grundsätzlich gegen das ISAF-Mandat, betont Lieser, aber die Soldaten sollten sich ausschließlich auf ihre Kernaufgabe, die militärische Friedenssicherung konzentrieren. Der Wiederaufbau solle zivilen Akteuren überlassen werden. Der Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe hält dagegen: „Es gibt keinen zivilen Wiederaufbau in Afghanistan, wenn es nicht die militärische Absicherung dessen gibt, was die Aufbauteams dort leisten.“ Beides gehöre zusammen und sei im Norden Afghanistans auch erfolgreich. Er spricht vielen Soldaten aus der Seele.


Routine auf dem Balkan

Die Bundeswehr avanciert mittlerweile fast schon zum Global Player. Von der Öffentlichkeit nahezu vergessen scheint ihre Präsenz auf dem Balkan. Seit 1999 ist die Bundeswehr in der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo vor Ort. Dass die Truppenstärke allmählich sinkt (ähnlich wie auch in Bosnien-Herzegowina) ist ein Indiz der Stabilisierung. Dennoch prägen das Kosovo weiterhin Kriminalität und hohe Arbeitslosigkeit.

Anders als in Afghanistan können die Soldaten ihre Lager auch ohne gepanzerte Fahrzeuge verlassen. Bedrohung ist kaum zu spüren. Dennoch bleibt die Lage so fragil, dass der vollständige Abzug noch nicht in Sicht ist. Nicht zuletzt die jüngst ausgeprochene Unabhängingkeitserklärung kann für neue Unruhe sorgen. Das sahen bei Redaktionsschluss auch die Einsatzkräfte vor Ort so. „Wir sind auf alles vorbereitet“, sagte ein Grenadier. Mit Patrouillen und engem Kontakt zur Bevölkerung beugen die Soldaten Krisen vor.

Die Bevölkerung akzeptiert die Nato-Streitkräfte, und die deutschen Soldaten haben sich an den Einsatz gewöhnt. Viele sind zum wiederholten Male in dem Land. Manche gelten sogar als „Einsatzjunkies“. Ein Offizier berichtet, sie hätten „Spaß am Einsatz“.

Einsätze in Bosnien werden dagegen in den Streitkräften gelegentlich schon als „fast Urlaub“ heruntergespielt. „Es wäre schön, wenn wir im Kosovo oder gar in Afghanistan so weit wären“, meint ein Offizier. Die Beendigung dieses Einsatzes ist absehbar. Ein Hauptmann ist dennoch weiterhin von der Notwendigkeit der deutschen Anwesenheit überzeugt: „Nur mit dem Schutz des Militärs ist nachhaltiger Wiederaufbau möglich.“

Während der Balkan fast schon Routine geworden ist, war der Kongo 2006 für deutsche Soldaten Neuland. Viele Deutsche wussten gar nicht, was die Bun­deswehr dort sollte. Auch manchem Soldaten erschloss sich der Sinn nur schwer. Exotische Krankheiten, Kindersoldaten, eine fremde Kultur – die Unsicherheit war groß. Nach dem Motto „Schnell rein, schnell raus“ bestand der Auftrag in der Absicherung der Präsidentenwahl, die dann auch friedlich durchgeführt wurde. Aufbauarbeit wurde nicht geleistet. Teilnehmer und das Auswärtige Amt betrachten den Einsatz im Nachhinein als Erfolg.

Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, einer Interessenorganisation der Soldaten, hatte jedoch schon im Vorfeld begründete Zweifel am „politischen Zweck“ der Mission geäußert. Die Stationierung der etwa 1.500 EU-Soldaten war nämlich auf den Raum Kinshasa beschränkt – und nachdem die Truppen abgezogen waren, brach eine neue Welle der Gewalt los. Dem riesigen Land als Ganzes brachte der EU-Einsatz keinen Frieden – und konnte das auch gar nicht.


Erfolg vor Libanons Küste

Mit gutem Erfolg läuft dagegen seit 2006 UNIFIL („United Nations Interim Force in Lebanon“). Dieser Einsatz wird in den Medien meist als Patrouillenfahrt mit Urlaubsflair vermarktet. Sicherlich hat sich mittlerweile Routine eingestellt – aber von Ferienstimmung ist nichts zu spüren.

In den libanesischen Küstengewässern patrouillieren deutsche Einheiten im multinationalen Verbund. Sie überprüfen den Luftraum sowie die Ladung der ein- und auslaufenden Handelsschiffe, um den Waffenschmuggel zu stoppen. Zwar können die Soldaten nicht nach Gutdünken auch ohne Verdachtsmomente Schiffe kontrollieren, sie brauchen dafür einen ausdrück­lichen Auftrag. Dennoch ist der Erfolg sichtbar. „Es bilden sich mittlerweile vor Beiruts Hafeneinfahrt wieder kleinere Staus“, berichtet ein Marinesoldat. Die Wirtschaft floriere.

Als „Hauptfeind“ sieht der Mann vom Schnellboot die Naturgewalten. Hin und wieder retten deutsche Besatzungen Menschen aus Seenot. Das hat mit ihrem eigentlichen Auftrag nicht direkt zu tun, erfreut die Soldaten aber selbstverständlich dennoch. Bedroht oder gefährdet fühlen sich die Soldaten hier nicht.

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