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Chance für die ländliche Entwicklung

Biokraftstoffe werden derzeit weltweit skeptisch betrachtet. Die Nachfrage nach dem pflanzlichen Treibstoff hat die steigenden Lebensmittelpreise mit verursacht, zudem holzen manche Länder wertvollen Regenwald ab, um Platz für Kraftstoff-Plantagen zu gewinnen. Vorteile von Agrarsprit für Klima und landwirtschaftliche Entwick­lung werden oft übersehen. Dabei hat er großes Potential, wie das Beispiel Indien zeigt.


[ Von Kathrin Seelige und Tilman Altenburg ]

Biodiesel kann aus jedem Pflanzenöl gewonnen werden. Die führenden Produzenten Deutschland und Frankreich stellen unter hohem Aufwand Treibstoff aus Raps her, Länder wie Indonesien und Brasilien opfern Regenwald für Soja- und Palmölplantagen. Der indische Biodieselsektor hingegen nutzt nichtessbares Öl der Ölbäume Jatropha curcas und Pongamia pinnata. Diese wachsen auf nährstoffarmen, unbewässerten Böden und konkurrieren somit nicht mit anderen Pflanzen um die Fläche. Auch die CO2-Bilanz kann verbessert werden, denn Düngemittel und Bewässerungspumpen verbrauchen viel fossilen Brennstoff. Zudem werden die natürlichen Wälder Indiens nicht bedroht. Im Gegenteil: Jatropha und besonders der stickstofffixierende Pongamia-Baum eignen sich gut für Wiederaufforstungsprojekte.

Vielfältiges Potenzial

Bislang wird Biodiesel in Indien nur selten auf fruchtbarem Ackerland produziert – bisher werden also keine Kulturen verdrängt, die Lebensmittel liefern würden. Die indische Biodieselproduktion hat viele Vorteile, denn sie begegnet zwei wesentlichen Interessen der aufstrebenden Wirtschaftsmacht: der steigenden Nachfrage nach Energie und der nachhaltigen Ent­wick­lung im ländlichen Raum. Auf dem Land kann es durch den Anbau von Ölsaaten private und öffentliche Investitionen geben, die Landwirtschaft kann diversifiziert, zusätzliche Einkommensmöglichkeiten können geschaffen und Ressourcen nachhaltig genutzt werden. Trotz fortschreitender Landflucht und Verstädterung leben die meisten Inder auf dem Land. 60 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft, die aber nicht von Indiens hohem Wirtschaftswachstum profitiert.

Industrie- und Dienstleistungssektor wuchsen in den Jahren 2006 bis 2007 um 11 Prozent, die Landwirtschaft nur um 2,7 Prozent. Nachhaltige Investitionen und eine höhere Produktivität im ländlichen Raum sind dringend erforderlich. Durch den Anbau von Jatropha und Pongamia können degradierte Böden wieder urbar und Waldflächen aufgeforstet und gleichzeitig wirtschaftlicher gemacht werden.

Durch Herstellung ihres eigenen Biodiesels werden die Inder unabhängiger von Energieimporten, und das Handelsbilanzdefizit sinkt. Die Nachfrage nach Energieträgern steigt wegen des starken Wachstums stetig. Zugleich sind die Rohölpreise auf dem Weltmarkt äußerst instabil: Mitte dieses Jahres machte Öl etwa 45 Prozent der indischen Importe aus und war damit wesentlich für das Handelsbilanzdefizit von etwa 5 bis 6 Prozent des BIP verantwortlich. Auch Treibhausgasemissionen werden reduziert, weil weniger fossile Brennstoffe verwendet und durch Aufforstung Karbonsenken geschaffen werden. Indien kann vom internationalen Emissionshandel profitieren, wenn es seine Einsparpotenziale erfolgreich zertifizieren lässt.

Indiens Biodiesel-Sektor ist erst im Entstehen. Zwei Faktoren sind dafür entscheidend: die Wirtschaftlichkeit des Gesamtsektors und die Organisationsformen der Wertschöpfungsketten. Die Produktion von Biodiesel lohnt sich bisher nicht – auch, weil herkömmlicher Diesel in Indien stark subventioniert wird und seine Umweltschädlichkeit sich nicht im Preis niederschlägt. Aktuell würde sich die Produktion von Biodiesel bei einem Verkaufspreis von rund 45 bis 50 Rupien pro Liter rechnen. Um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber konventionellem Treibstoff zu haben, müsste er aber bei etwa 25 Rupien pro Liter liegen.

Ein nennenswerter Abbau der Kraftstoffsubventionen ist in naher Zukunft politisch kaum durchsetzbar, weil viele Inder auf günstigen Sprit angewiesen sind. Auch sind Jatropha- und Pongamia-Pflanzungen nicht sehr ertragreich. Die Ölbäume werden zwar seit Jahrzehnten genutzt, aber der systematische Anbau geeigneter Sorten muss erst erforscht werden. Auf nährstoffarmem Boden gibt es zwar Erträge, aber sie sind gering. Kleinbauern und Unternehmer investieren daher nur zögerlich in die Biodieselproduktion. Es ist aber zu erwarten, dass Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahren Ernteerträge sowie Ölgehalt der Kerne verbessern und Produktions- und Investitionskosten für den Ölsaatenanbau verringern.

Voraussichtlich wird die Nachfrage nach Biodiesel auf dem nationalen und internationalen Markt steigen. Öl ist eine endliche Ressource und die Energienachfrage steigt, so dass über kurz oder lang Biodiesel in den Wettbewerbsvortei kommt. Industriestaaten haben schon einen lukrativen internationalen Markt geschaffen – die Biokraftstoffrichtlinie der Europäischen Union etwa sieht eine Beimischungsquote von 10 Prozent bis 2020 vor.

Drei dominierende Organisationstypen

Wirtschaftlichkeit allein heißt noch nicht, dass Biodiesel auch im Sinne optimaler ländlicher Entwicklung erzeugt wird. Das hängt von der Organisation des Anbaus und der Wertschöpfungskette ab. In Indien entstehen derzeit – wegen der Größe des Landes und der föderalen Staatsstruktur – unterschiedliche Arten der Wertschöpfungskettenorganisation mit unterschiedlichen Effekten. Drei Haupttypen sind:
– Staatlicher Anbau: Fast die Hälfe der indischen Landressourcen ist in staatlicher Hand. Weite Flächen – besonders Wälder – sind degradiert und werden weder land- noch forstwirtschaftlich genutzt. 7,2 Millionen Hektar davon sind laut Regierung potentiell zum Anbau von Biokraftstoffpflanzen nutzbar. Sämtliche Kosten für Saatgut, Dünger und Arbeitskräfte – also das gesamte Investitionsrisiko – trägt der Staat. Die Ölplantagen entstehen auf Block- oder Mischkulturplantagen oder auf kleinflächigen Plantagen auf Gemeindeland. Da meist lokale Organisationskomitees anbauen, stärkt der staatliche Anbau die dezentralen Organisationsstrukturen. Anwohner können die Pflanzen abernten und die Ernte verkaufen. Oft organisieren sich Dorffrauen in Gruppen für die Jatropha-Ernte. Für landlose Arbeiter erschließt sich eine zusätzliche Einkommensquelle. Weite Teile des degradierten Landes werden wieder nutzbar. Greift der Staat aber zu tief in den Biodiesel-Markt ein, kann das die nachhaltige Entwicklung des Sektors auch hindern: Im Bundesstaat Uttarakhand etwa sicherte die Regierung einem einzigen Biodieselproduzenten den Aufkauf der gesamten auf staatlichem Forstland angebauten Jatropha-Samen zum Preis von 3,50 Rupien pro Kilo zu. Für das wenige Geld ist aber kaum jemand bereit, Biotreibstoff zu produzieren. So verhindern mangelnder Aufkaufwettbewerb und undurchdachte Public-private-partnership-Modelle die Entstehung eines entsprechenden Marktes.
– Kleinbäuerlicher Anbau: Kleinbauern pflanzen Ölsaaten auf privaten Äckern. Einige legen größere Pflanzungen auf fruchtbarem Land an. Problematisch ist daran, dass dadurch weniger Nahrungsmittel produziert werden könnten. Der flächenhafte Anbau auf Ackerland ist bisher selten, da mit den meisten anderen Feldfrüchten mehr Geld zu verdienen ist. Bei steigenden Energiepreisen beziehungsweise höherer Produktivität der Biodieselpflanzen wird Nahrungsmittelkonkurrenz ein Thema. In einigen Regionen, etwa im Bundesstaat Tamil Nadu, ent­wick­elt sich bereits eine Vertragslandwirtschaft, bei der private Investoren Kleinbauern relativ hohe Aufkaufpreise zusichern und beim Anbau unterstützen. Aus entwick­lungspolitischer Sicht ist hier das höhere Einkommen der bäuerlichen Haushalte gegen die Risiken von Nahrungsmittelknappheit abzuwägen. Bisher beschränken sich Kleinbauern meist darauf, Jatropha und Pongamia als Heckenpflanzen, in Mischkulturen oder auf zuvor ungenutztem degradierten Land anzubauen. So haben sie neue Einkommensquellen, die nicht mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren.
– Unternehmerischer Anbau: Hier setzen private Unternehmer auf großflächige Plantagen. Da sie das Investi­tions­risiko selbst tragen, ist der Anreiz, rentabel zu wirtschaften, groß. Unternehmerischer Anbau ermöglicht Investitionen in den Agrarsektor und die weiterverarbeitende Industrie in ländlichen Gebieten. Genutzt werden private Flächen, deren Besitzer das Land aus spekulativen Gründen halten, zum anderen gibt es – etwa im Bundesstaat Chhattisgarh – Bestrebungen, Regierungsland an die staatlichen Ölfirmen zu verpachten. Beides schafft neue Erwerbsmöglichkeiten für Landarbeiter. Allerdings würden dadurch arme Bevölkerungsgruppen, die das Staatsland illegal zur Subsistenzlandwirtschaft und Viehhaltung nutzen, ihren Lebensunterhalt verlieren. Bisher bleibt offen, wie und ob die Regierung das berück­­­sichtigt und welche Art der Landnutzung der Bevölkerung langfristig mehr nützt.

Ungeachtet der Organisationsweise kann das Endprodukt Biodiesel auf zweierlei Weise verarbeitet und genutzt werden. Zentral verarbeitet, ist es wahrscheinlich, dass der Sprit auf dem internationalen Markt verkauft oder im nationalen Transportsektor verwendet wird. Ein Beispiel für dezentrale Nutzung ist der Bundesstaat Karnataka, wo es bereits ein Netz dezentraler Ölmühlen gibt. Die Strategie des Staates Chhattisgarh ist, in jedem Distrikt Ölmühlen und eine Veresterungsanlage zu haben, um so die Nutzung von Biodiesel für die lokale Bevölkerung zu fördern.

Es gibt bereits Modellprojekte, wo Dörfer sich durch Biodiesel mit Elektrizität versorgen. Solch eine dezentrale Produktions- und Nutzungsstruktur kann die lokale Energieversorgung verbessern.

Ökonomisch, ökologisch und sozial sinnvoll

Insgesamt bietet die Biodieselproduktion Chancen für die ländliche Entwicklung, die sich aber in der Organisationsform der Wertschöpfungskette unterscheiden. Das Risiko besteht darin, dass arme illegale Landnutzer verdrängt und Nahrungsmittelkulturen ersetzt werden – eine höhere Rentabilität des Biodiesels vorausgesetzt. Bisher sind erst wenige hunderttausend Hektar nach diesen drei Anbautypen bepflanzt worden. In diesem Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, das eine 20-prozentige Beimischung von Biodiesel zum konventionellen Dieseltreibstoff vorsieht. Dafür müssten etwa 11 Millionen Hektar Ölplantagen angebaut werden – wovon Indien noch weit entfernt ist.

Noch ist unklar, ob die Initiative Erfolg haben wird. Obwohl es bisher in Indien nur wenige Einzelfälle gab, in denen statt Nahrungsmitteln Jatropha und Pongamia angebaut wurde, hat sich die anfängliche Euphorie der indischen Regierung in den vergangenen Monaten angesichts der aktuellen Debatten um gestiegene Lebensmittelpreise gelegt.

Dabei hängt die Richtung, in die sich der Biodiesel-sektor in Indien entwickeln wird, wesentlich von entsprechenden Politiken auf national- und bundesstaatlicher Ebene ab. Gefragt sind intelligente Regulierungen, die den Wettbewerb fördern und zugleich die arme und landlose Bevölkerung schützen.

Derzeit befindet sich Indien in einer Phase, in der sich ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Organisationsmodelle der Wertschöpfungskette nach den ersten Jahren des Anbaus beurteilen lassen. Viele Bundesstaaten haben sinnvolle Ansätze, die weiter unterstützt und verbessert werden müssen. Ein pragmatischer Ansatz ist vielversprechender als die derzeitige ideologisch geführte und polarisierende Debatte über Biokraftstoffe.

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