Kommentar
Ernster Währungsstress
[ Von Liliana Rojas-Suarez ]
Seit über einem Jahr machen sich lateinamerikanische Politiker Sorgen über die Auswirkungen der enormen – und wachsenden – globalen ökonomischen Ungleichgewichte auf die Wachstumschancen ihrer Region. Problematisch ist vor allem, dass Investoren weltweit wegen extrem niedriger Zinsen in reichen Ländern immense Kapitalströme in Länder wie Brasilien, Kolumbien, Chile und Peru lenken. Daraufhin steigt der Kurs der Währungen dieser Länder und zugleich werden die Immobilienpreise und die örtlichen Aktienkurse in die Höhe getrieben. Lateinamerikanische Zentralbanker fürchten deshalb, dass sich Spekulationsblasen bilden.
Zudem ist eine Trendwende jederzeit möglich. Die internationalen Kapitalmärkte sind extrem volatil. Plötzlich abbrechende Kapitalzuflüsse haben schon mehrmals schwere Finanzkrisen in Lateinamerika ausgelöst. Wer ist für die Gefährdung der globalen Finanzstabilität verantwortlich? International dominieren zwei Meinungen:
– Das erste Lager kritisiert die extrem lockere Geldpolitik in entwickelten Ländern, vor allem den USA. Die Versuche der US-Notenbank, Wachstum und Beschäftigung mittels expansiver Geldpolitik in Schwung zu bringen, haben nicht den gewünschten Effekt steigender Binnennachfrage. Stattdessen fließt immer mehr Geld in Schwellenländer, die als viel versprechend gelten.
– Das zweite Lager hält China mit seinen ständigen Eingriffen in den Devisenhandel für schuldig. Diese Meinung vertreten auch hohe US-Beamte. Chinas Widerwille, den Renminbi gegenüber dem Dollar aufwerten zu lassen, behindert den notwendigen Ausgleich der globalen Ungleichgewichte. Die schnellere Aufwertung des Renminbi – oder entsprechend die Abwertung des Dollars gegenüber der chinesischen Währung – würde zwei Dinge mindern: den hohen Leistungsbilanzüberschuss Chinas und das hohe Leistungsbilanzdefizit der USA. Es gäbe dann nämlich mehr US-Exporte nach China, was die Wachstumsaussichten in den USA aber auch weltweit verbessern würde.
Aus lateinamerikanischer Sicht sind sowohl die USA als auch China im Unrecht. Sie sind das Epizentrum der internationalen Währungskriege und schädigen diejenigen Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Wechselkurse – wie in Lateinamerika oft der Fall – recht flexibel sind. Es stimmt, dass die expansive Geldpolitik der USA wegen der Kapitalströme nach Lateinamerika Aufwertungsdruck ausübt. Und es stimmt auch, dass sich dieser Druck verstärkt, weil China sich weigert, einen Teil der Last zu tragen. Einige lateinamerikanische Länder – aber auch Schwellenländer wie Thailand und reiche Nationen wie Japan und die Schweiz – haben darauf selbst mit Eingriffen in den Devisenmarkt (Kolumbien und Peru) oder Kapitalkontrollen (Brasilien) reagiert. Chile tut das nicht – „noch nicht”, wie der Finanzminister kürzlich sagte. Stattdessen kürzt Chile seine Staatsausgaben, um dem Aufwertungsdruck zu begegnen, und verlangsamt damit selbstverständlich das Wachstum im eigenen Land.
Wie ist das Problem zu lösen? Wie können Währungskriege verhindert werden, in denen einzelne Länder der Aufwertung ihrer Währung entgegenwirken und dadurch andere noch mehr unter Druck setzten? Die einfachste Lösung wäre bilaterale Koordination zwischen China und den USA. Aber die ist nicht so bald in Sicht. Es bleibt nur zu hoffen, dass es den G20 gelingt, eine Art Koordination zwischen den größten Volkswirtschaften inklusive der großen Schwellenländer zu arrangieren.
Die Zeit rast und der Druck auf die Wechselkurse steigt. Wenn beim G-20-Gipfel im November kein annehmbares Abkommen zustande kommt, wäre das ein Zeichen dafür, dass die Währungskriege sich verschärfen werden. Immerhin ist es ein gutes Zeichen, dass die G20-Finanzminister Ende Oktober vereinbarten, globale Ungleichgewichte anzugehen und den Schwellenländern mehr Stimmen beim IWF zu geben.