Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Interview mit Johannes Merck

„Aufgaben für örtliche Behörden“

Die Versandhandelsgruppe Otto arbeitet mit einem Code of Conduct, um sicherzustellen, dass Lieferanten ökologische und soziale Standards einhalten. Diese Strategie bietet diverse Vorteile. Wie Johannes Merck, der für Corporate Responsibility zuständige Direktor des Unternehmens, ausführt, sind Impulse von den Verbrauchern wichtig.


Was zeichnet Unternehmen aus, die sich ihrer Corporate Social Responsibility stellen?
Sie dürfen sich nicht nur an den Kennzahlen orientieren, die in normalen Geschäftsberichten entscheidend sind. Verantwortungsvolle Unternehmen wollen auch die ökologischen und sozialen Daten, die ihr Handeln tangieren, verbessern. Unternehmen sind nicht nur dazu da, Gewinn zu machen. Sie haben eine Rolle in der Gesellschaft, die sie so wahrnehmen sollten, dass sich die Gesellschaft insgesamt positiv entwickeln kann.


Es gibt aber auch die Position, dass unternehmerisches Handeln per se sozial und verantwort-lich ist, weil es Einkommen und Beschäftigung schafft, und dass Staat und Gesellschaft Firmen ansonsten in Ruhe lassen sollten.

Ich glaube, das Motto „The business of the business is the business“ ist unter den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr durchzuhalten. Rein betriebswirtschaftliches Denken würde dazu führen, dass das Kapital immer dorthin geht, wo im Moment die höchste Rendite winkt. Wir müssen aber auch auf soziale und ökologische Ergebnisse achten. Allein der Klimawandel zeigt mit seinen bedrohlichen Folgen, dass der enorme Ressourcenverbrauch der Wirtschaft nicht immer so weitergehen kann wie bisher.


Aber die These vom vielbefürchteten „Race to the bottom“ lässt sich empirisch nicht halten. Bisher haben alle Länder, die sich industrialisiert haben, nach und nach auch Umwelt- und Sozialstandards eingeführt.

Es stimmt: Wo wirtschaftliches Wachstum entsteht, bildet sich ein gewisser Wohlstand. Neue Mittelschichten und eine Zivilgesellschaft bilden sich heraus, die politische Ansprüche artikulieren. So werden dann Akteure, die nur nach Gewinn streben, unter Druck gesetzt, sich auch anderen, gesellschaftspolitischen Aspekten zuzuwenden. Es ist deshalb richtig, betriebswirtschaftlich erfolgreiches Handeln nicht als Gegensatz, sondern als Voraussetzung für Corporate Social Responsibility zu verstehen. Ohne Gewinn gibt es keinen Spielraum für aktive gesellschaftliche Verantwortung, selbstverständlich handelt auch die Otto Group renditeorientiert.


Wie sind Sie dazu gekommen, mehr zu tun, als betriebswirtschaftlich nötig wäre?

Dr. Michael Otto beschäftigt sich sehr intensiv mit diesen Fragen. Als Familienunternehmen kann Otto ohne Shareholder-Druck auch hier und da einmal zu Gunsten eines Umweltziels und zu Lasten eines kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Ziels entscheiden. Wir
sehen aber auch, dass sich solches Engagement langfristig rechnet. Hier zahlt sich aus, dass ein Familienunternehmen weniger von kurzfristigen Kalkülen
getrieben ist als eine börsennotierte Gesellschaft.


Worin äußert sich der langfristige Nutzen?

Zunächst erwirbt man Kundenvertrauen, und für ein Handelsunternehmen ist Kundenbindung ein zentraler betriebswirtschaftlicher Faktor. Ein weiterer Faktor ist, dass man seine Prozesse optimiert. Wenn ich mich auch um die Nebenwirkungen meines Handelns kümmere, weiß ich viel mehr, als wenn ich nur auf die allernötigsten Kennzahlen achte. Dann kann ich bessere Entscheidungen treffen, und das dient der Unternehmensentwicklung.


Hätte Otto dieselbe Sensibilität entwickelt, wenn Sie nicht so nah an den Endverbrauchern dran wären?

Der Marktimpuls ist für jede Nachhaltigkeitsstrategie wichtig. Wir brauchen in den Unternehmen die Sensibilisierung durch die zivilgesellschaftlichen Kräfte und die Markterwartungen, die sich daraus ergeben. Im „luftleeren Raum“ entwickelt sich wenig. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass marktferne Organisationen und Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen oft weniger sensibel sind als marktnahe.


Manche Verbraucher schauen aber auch nur nach dem Preis – das sind vermutlich Kunden, die Sie nicht so gut an sich binden können.

Für uns wäre es außerordentlich hilfreich, wenn noch mehr Kunden noch sensibler in Nachhaltigkeitsdingen würden. Es hat von allen Seiten – staatlichen und privaten Akteuren gleichermaßen – in der Vergangenheit große Anstrengungen gegeben. Dennoch sind wir in den letzten Jahren nicht so vorangekommen, wie wir uns dies gewünscht hätten. Deshalb haben wir für die Beantwortung von Fragen wie etwa:
Wie verändert sich die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit hierzulande?
Welche gesellschaftlichen Driver sind dafür verantwortlich?
Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit für den
Verbraucher von heute und morgen?
Wie gehen Industrie und Handel mit den sich
verändernden Verbraucheransprüchen um?
Anfang Dezember 2006 beim renommierten Hamburger Trendbüro die Studie Konsum-Ethik in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sind im März veröffentlicht worden. Darüber hinaus spüren wir, dass sich im Moment einiges tut – vielleicht auch dank der Diskussion über den Klimawandel, die jetzt endlich in der nötigen Tiefe und Breite geführt wird. Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir unsere Ressourcen sparsam einsetzen.

Unterschiede gibt es nicht nur zwischen einzelnen Verbrauchern und Branchen, sondern auch zwischen Ländern. Wenn Sie in asiatische Schwellenländer gehen, können Sie nicht das Verständnis von Arbeitnehmerrechten voraussetzen, das in Deutschland normal ist.

Weiß Gott nicht! Also wer sich nur mal ein bisschen in Indien umgeguckt hat, wäre sehr naiv, noch zu glauben, Sozialstandards ließen sich durch ein paar Klauseln im Generalvertrag durchsetzen. Wenn wir Verbesserungen wollen, müssen wir dicke Bretter bohren. Otto tut dies. Wir arbeiten mit einem Code of Conduct und verlangen von unseren Geschäftspartnern zudem Nachweise darüber, dass sie sich um die Einhaltung dieser Regeln kümmern und sie auch bei ihren jeweiligen Subkontraktoren durchsetzen.

Wer prüft das?
Die Lieferanten geben die Audits bei unabhängigen Auditierungsgesellschaften in Auftrag. Diese Gesellschaften müssen bei Social Accountability International (SAI) akkreditiert sein. Das ist die Organisation, die die international anerkannte Richtlinie SA 8000 formuliert hat. Die Auditfirmen sind also qualifiziert. Unsere Lieferanten belegen ihr Engagement, indem sie uns die Auditreports zur Verfügung stellen.


Und ohne solche Dokumente stellen Sie die Zusammenarbeit dann irgendwann ein.

Ja. Ein abgeschlossenes Sozialaudit ist für uns eine Grundvoraussetzung. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Unsere Partner müssen nicht auf Anhieb unseren anspruchsvollen Code of Conduct zu 100 Prozent erfüllen. Aber sie müssen belegen, dass sie sich dem Verbesserungsprozess stellen und in ein, zwei Jahren dann soweit sind. Damit das gelingt, lassen wir Qualifizierungsmaßnahmen bei unseren Lieferanten durchführen, wofür wir erhebliche Mittel investieren. Dies entspricht dem entwicklungspolitischen Gedanken, der unseren Aktivitäten immer zugrunde liegt. Der persönliche Kontakt mit den Lieferanten vor Ort ist wichtig, um Bewusstsein zu wecken. Wir haben bemerkenswerten Erfolg dabei, unsere Partner zu sensibilisieren und dafür zu sorgen, dass sie ihre Arbeitnehmer vernünftig behandeln, was etwa Arbeitszeiten und Mindestlöhne angeht. Das heißt aber nicht, dass das dann auch sofort in der gesamten Textilkette Platz greift...


...also dass auch die Zulieferer Ihrer Lieferanten Ihre Kriterien erfüllen.

Genau. Der Druck muss weitergereicht werden, und damit das geschieht, müssen wir uns auch darum kümmern, was auf anderen Fertigungsstufen passiert.

Letztlich müssen Sie dann bis auf die Baumwollfelder gehen.

Richtig, wenn wir die ganze Kette nachhaltig gestalten wollen, kommen wir nicht darum herum, auch die Ressourcenerzeugung ins Auge zu fassen. Und das tun wir auch in bestimmten Produktlinien. Sie haben vielleicht schon vom Projekt „Cotton made in Africa“ gehört. Zurzeit schmieden wir zusammen mit anderen Unternehmen an einer Nachfrageallianz nach afrikanischer Baumwolle, die unter bestimmten Nachhaltigkeitskriterien produziert wird, labeln sie und machen sie damit für Käufer kenntlich. Wir unterstützen damit unter anderem auch afrikanische Kleinbauern und ihre Familien und sorgen dafür, dass sie ein regelmäßiges Einkommen haben und ihre Kinder zur Schule gehen können.


Lassen Sie dann auch Textilien in Afrika fertigen?

Bisher sehen wir Afrika als aufstrebenden Rohstofflieferanten. Es wäre schön, wenn dort mehr Verarbeitungstiefe entstünde. Zurzeit sehen wir aber noch keine unmittelbare Chance, mit der Baumwollproduktion auch direkt die Textilindustrie zu stimulieren. Uns wäre es nur recht, wenn wir dort nicht nur den Rohstoff, sondern auch gleich Garne einkaufen könnten. Aber die Industrie in Afrika ist noch nicht so weit, sie bedient hauptsächlich heimische Märkte und erreicht noch nicht die Qualität, die wir brauchen. Aber auf längere Sicht wäre eine ganze Menge möglich. Eine private, liberalisierte Wirtschaft würde vielen afrikanischen Ländern gut tun, deren Märkte noch zu streng reguliert sind.


Wenn Otto sich in der Textilindustrie Asiens um Mindestlöhne, Arbeitszeiten und dergleichen kümmert, übernehmen Sie dann nicht gewerkschaftliche Aufgaben?

Wir haben nur wenig Kontakt zu Gewerkschaften dort. Diese Organisationen sind oft ganz anders strukturiert als in Deutschland. Häufig beschränkt sich ihre Wirksamkeit auf einzelne Firmen. Andererseits kümmern sie sich manchmal nur um höherqualifizierte und bessergestellte Arbeitnehmer und nicht um die Tagelöhner oder Wanderarbeiter, deren Lebenssituation uns besonders beunruhigt. In der Textilindustrie werden solche Leute allerdings kaum eingesetzt, weil die Arbeit dort eine gewisse Qualifikation erfordert. Aber Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass wir Aufgaben anderer übernehmen – und zwar der örtlichen Exekutive. In Indien gibt es beispielsweise seit Oktober 2006 ein Gesetz, das strenge Strafen für die Beschäftigung von Kindern vorsieht. Aber es wird nicht konsequent durchgesetzt. Was Arbeitssicherheit angeht, gibt es überall auf der Welt offiziell schöne Regeln. Aber wenn Sie manche Betriebe besuchen, trauen Sie Ihren Augen nicht. Es wäre eigentlich Aufgabe der örtlichen Behörden, hier für Abhilfe zu sorgen – aber nur ganz allmählich tut sich auch manchenorts etwas. Ein positives Beispiel ist die Türkei.


Von Fortschritten in der Türkei, Indien oder sogar Bangladesch ist immer mal die Rede. Aber wie sieht es in der chinesischen Textilindustrie aus – es besteht doch die Sorge, dass die Volksrepublik, wenn die Märkte ganz freigegeben werden, alle Konkurrenten plattwalzt?

In demokratisch verfassten Ländern gibt es eine gewisse Transparenz und einen gewissen gesellschaftlichen Druck, dass sich die Verhältnisse ändern. Das lassen die Chinesen gar nicht zu. Aber dennoch bleiben wir gefordert, die Ansprüche der westlichen Konsumenten im Auge zu behalten und vor Ort durchzusetzen. Das wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Ich glaube nicht, dass die chinesische Textilindustrie ihre dominante Position noch stark ausbauen kann. Die anderen von Ihnen genannten Länder haben auf einigen Feldern recht hohe Qualifikationsniveaus erreicht. Mit ihren spezifischen Vorteilen sollten sie sich behaupten können.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.