Lebensmittelpreise

Trendwende auf den Agrarmärkten bedroht Hungernde

Reis ist auf dem Weltmarkt heute um 75 Prozent teurer als vor einem Jahr. Der Weizenpreis hat sich seit Mai 2007 sogar verdoppelt. Hohe Preissteigerungen gibt es auch bei Mais, Soja, Fleisch und Milch. Die Folgen sind dramatisch – vor allem für Entwicklungsländer, die sich nicht selbst mit Lebensmitteln versorgen können.

Die Zahl der Hungernden steigt wieder, viele Millionen Menschen in armen Ländern können eine ausreichende Ernährung nicht mehr bezahlen. Auf Lebensmittel-Lieferungen durch Hilfswerke können sie immer weniger hoffen, denn auch die Helfer spüren die Preiserhöhungen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) meldete zum Beispiel kürzlich, es brauche 2008 mindestens rund 330 Millionen Euro mehr als geplant. Sonst drohten Kürzungen von Rationen oder die Einstellung von Hilfen. Insgesamt seien die Preise für Nahrungsmittel seit Mitte 2007 um 40 Prozent gestiegen, schätzt WFP-Direktorin Josette Sheeran. 37 Staaten brauchen laut Welternährungsorganisation FAO derzeit Lebensmittelhilfe.

Die Lagerbestände schrumpfen weltweit. Sie erreichten im vergangenen Jahr der FAO zufolge historische Tiefstände. Bei den wichtigsten Nahrungspflanzen Weizen, Mais und Reis übersteigt der Konsum seit Jahren die Erzeugung. Manche Staaten beginnen bereits mit Rationierungen. Indien zum Beispiel hat den Export von Reis weitgehend verboten.

Den Umschwung auf den Weltmärkten haben Trends ausgelöst, die sich nicht so schnell ändern dürften. An erster Stelle steht der Hunger nach Energie vor allem in den entwickelten Ländern. In gewaltigem Umfang werden Felder aus der Produktion von Lebensmitteln genommen, um Mais, Zuckerrohr, Raps und andere Pflanzen für Biosprit zu erzeugen. Brasilien macht dies seit Jahrzehnten vor, in den vergangenen Jahren haben sich die USA und auch Europa dem Trend angeschlossen. Weltweit wurden im vergangenen Jahr rund 100 Millionen Tonnen Getreide für die Gewinnung von Treibstoffen verwendet, schätzt der International Grains Council. In Entwicklungsländern würden für den Anbau von Energiepflanzen häufig die besten Flächen beansprucht, sagt Wolfgang Hees von Caritas International. Bauern, die Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung anbauen, müssen weichen.

Eine weitere Ursache für den Preisanstieg ist die gestiegene Fleischnachfrage in Schwellenländern, in denen die Gruppe der Wohlhabenden wächst. Weltweit hat sich der Fleischkonsum in den vergangenen 25 Jahren verdoppelt. Die Flächen, die für die Produktion von Tierfutter verwendet werden, sind entsprechend gestiegen. Für ein Kilo Schweinefleisch braucht man drei Kilo Futter, für ein Kilo Rindfleisch sieben Kilo. China ist zu einem großen Importeur von Lebensmitteln geworden. Auch in Indien wächst eine wohlhabende Mittelklasse und mit ihr der Bedarf an hochwertigen Lebensmitteln.

Missernten aufgrund von Dürren in Australien haben zusätzlich zur Zuspitzung der Lage beigetragen. Fachleute halten das für eine Folge des Klimawandels, der in vielen Weltregionen die Ernten unsicherer macht. Das gilt auch für Afrika südlich der Sahara, die ärmste Region der Welt. Der Trend zu hohen Preisen dürfte anhalten, denn die Ernten können kurz- und mittelfristig kaum gesteigert werden. Der größte Teil der geeigneten Flächen wird bereits bewirtschaftet, auch der Intensivierung der Produktion sind enge Grenzen gesetzt.

Die Preissteigerungen sind auch ein Rückschlag im Kampf um das Millenniumsziel, den Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Es gebe zwar Fortschritte, doch sie seien nicht groß genug, um die Zahl der Hungernden sinken zu lassen, heißt es bereits im Millennium-Entwicklungsreport der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2006. Nach Angaben des WFP sind davon wie bisher Kleinbauern und Landlose in ländlichen Regionen betroffen, dazu kommen immer mehr Arme in den Städten.

Bietet die aktuelle Entwicklung wenigs­tens eine Chance für Kleinbauern, ihre Produktion zu auskömmlichen Preisen auf den Märkten abzusetzen? Viele Nicht-Regierungsorganisationen haben in der Vergangenheit über subventionierte Billigexporte aus entwickelten Ländern geklagt, die Klein­bauern in Asien, Afrika und Lateinamerika ruinierten und ihre Märkte zerstörten. Wenn es keine Überschüsse in der Landwirtschaft mehr gibt, müssten solche Exporte eigentlich der Vergangenheit angehören.
Doch bei Hilfsorganisationen überwiegt heute die Skepsis, ob sich Kleinbauern aus Entwicklungsländern wirklich neue Chancen bieten: Manche Kleinbauern könnten ihre Erzeugnisse zwar besser absetzen, sagt Wolfgang Hees von Caritas International. Doch viele hätten ihr Land aufgegeben und sich in Abhängigkeit von Hilfslieferungen begeben, auf die jetzt kein Verlass mehr sei. Außerdem setzten steigende Preise für Treibstoff, Dünger und andere nötige Rohstoffe der Produktionsausweitung enge Grenzen.
Wilhelm Thees von Misereor sieht in Afrika Chancen für Länder, deren Regierungen sich um die Infrastruktur für Transporte gekümmert und die nicht zu einseitig auf Weltmarkt-Produkte wie Baumwolle gesetzt haben. Schnell könne die Produktion hier aber nicht hochgefahren werden, ergänzt Carolin Callenius von Brot für die Welt. Strukturen, die einmal zerstört wurden, seien nicht so schnell wieder aufzubauen.

Georg Ehring