Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Textilproduktion

Teuer bedeutet nicht fair

Wer teure Markenmode kauft, glaubt oft immer noch, der höhere Preis bedeute eine bessere Qualität der Ware und bessere Produktionsbedingungen für die Arbeiterinnen. Das ist leider meist ein Irrtum: Teure Modelabels lassen ihre Produkte unter ebenso schlechten Bedingungen fertigen wie Billiganbieter.
Die Arbeitsbedingungen in den Nähereien in Bangladesch sind oft verbesserungswürdig. Jörg Böthling/Photography Die Arbeitsbedingungen in den Nähereien in Bangladesch sind oft verbesserungswürdig.

Die Verbände der Textilproduzenten behaupten gerne, dass ihre Mitglieder im Gegensatz zu den Billigmarken sauber produzieren ließen. Das veranlasste mich dazu, dies am Beispiel Bangladesch näher zu untersuchen. Ich habe vor Ort mit Hilfe der zivilgesellschaftlichen Partnerorganisation RISE (Research Initiative for Social Equity Society) recherchiert und die Produktionsbedingungen bei den Lieferanten von Qualitätsmarken wie Hugo Boss und Tommy Hilfiger mit jenen der Billigmarken wie H&M verglichen.

Zunächst war es sehr schwer, unter den rund 5000 Fabriken in Bangladesch mit 4 bis 5 Millionen Arbeitern – darunter 80 Prozent Frauen – diejenigen zu finden, die für Hugo Boss produzieren. RISE konnte zwei Nähfabriken ausfindig machen. Die Beschäftigten dort arbeiteten unter den gleichen schlechten Bedingungen wie in den anderen Fabriken auch. Bei einem Boss-Zulieferunternehmen in Chittagong etwa gab es für viele Arbeiterinnen neben ständigen Beschimpfungen nicht einmal Arbeitsverträge. Überstunden werden erzwungen, die Näherinnen wissen nicht, wann sie nach Hause können. Das ist für mich Zwangsarbeit, denn diese Menschen können ihr Leben nicht mehr planen.

Zusätzlich entdeckte ich, dass sogar Teile der Fabrik offenbar so schlecht gebaut waren, dass sie zur Schließung empfohlen wurden. Nach der Katastrophe von Rana Plaza am 24. April 2013, bei der 1134 Menschen starben und über 1500 teilweise schwer verletzt wurden, unterschrieben über 180 vor allem europäische Unternehmen ein Gebäude- und Brandschutzabkommen. Hugo Boss hat es bis heute nicht unterzeichnet.

Das Abkommen stellt zum ersten Mal Transparenz her, denn die Prüfberichte werden im Internet veröffentlicht. Sie ermöglichen es Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Betroffenen, Einblick in die Zustände der Fabriken zu nehmen. So konnte ich den Bericht der Fabrik in Chittagong ein sehen, wo Hugo Boss produzieren lässt. Dort wird festgestellt, dass einige tragende Betonpfeiler dieser Fabrik nicht stark genug sind. Deshalb gab es die Empfehlung, Teile der Fabrik zu schließen.


Billigmarken wie H&M

Obwohl die Billigmarke H&M viel Werbung für nachhaltige Produktion und faire Arbeit macht, sind die Arbeitsbedingungen in den untersuchten Fabriken vor Ort ähnlich schlecht wie überall: RISE befragte insgesamt 115 Beschäftigte in zwölf Fabriken – davon produzierten fünf für H&M. Dort fehlten schriftliche Arbeitsverträge, und nirgendwo gab es einen frei gewählten Betriebsrat. Schwangerschaftsurlaub wurde nicht korrekt gewährt, die Arbeiterinnen mussten zahlreiche Überstunden machen, und Frauen wurden beschimpft.

Im Vergleich zu Hugo Boss zeigt H&M immerhin Transparenz, indem der Handelsriese seine Lieferantenliste veröffentlicht hat. Der Modekonzern fordert angeblich, dass seine Produzenten einen „fairen Lohn“ zahlen. Wie hoch dieser sein soll, legt H&M jedoch nicht fest. Gewerkschaften spielen offenbar im Unternehmen keine Rolle. Im Gegenteil: In Deutschland geht H&M gegen Betriebsräte vor, und Mitarbeiterinnen führen zum Teil lange Prozesse, um ihre verbrieften Rechte durchzusetzen. Drei Viertel der H&M-Mitarbeiterinnen sind in Teilzeit beschäftigt, denn es ist viel billiger, Studentinnen mit Zehn-Stunden-Verträgen jobben zu lassen, als erfahrene Mitarbeiterinnen zu bezahlen. Wenn H&M in Deutschland seine Beschäftigten so behandelt, wie sieht es dann wohl in Bangladesch bei den Zulieferern aus?


Auditbusiness

Viele Unternehmen bekennen sich zwar inzwischen zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und haben Zulieferer zu bestimmten Standards verpflichtet, die sie in sogenannten Audits überprüfen lassen. Doch was ein Qualitätssiegel für die Unternehmen sein sollte, ist vor allem ein Millionengeschäft für die Prüfgesellschaften.

Eine Fabrik im Rana Plaza wurde vor dem Einsturz vom TÜV Süd und TÜV Rheinland geprüft. Das Audit vom TÜV Rheinland ist mir zugespielt worden. Mal abgesehen von der Gebäudesicherheit, für die er, wie der TÜV immer betont, nicht zuständig war, erscheint das Audit absurd. Die Fabrik bekam die Gesamtnote „Verbesserungen nötig“, was heißt, dass es ein paar Verbesserungen bedarf. Doch sind die Verstöße aus Sicht der Auditoren nicht so gravierend, dass die Fabrik keine Aufträge erhalten soll.

Angeblich gab es keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit – aber was anderes sind erzwungene Überstunden als Zwangsarbeit? – und keine Diskriminierung in der Fabrik, was getrost bezweifelt werden darf. Sogar Vereinigungsfreiheit soll es gegeben haben. Zwar haben die meisten Fabriken ein sogenanntes Participation Committee. Doch dieses Gremium wird in der Regel nicht frei gewählt, sondern durch das Management bestimmt.

Der andere Skandal ist, dass die Audits nicht öffentlich gemacht werden und eine Geheimsache zwischen Fabrikbesitzer, Einkäufer und Tester bleiben. Die Betroffenen aber, die Arbeiterinnen und ihre Gewerkschaften, erfahren nichts davon. Selbst mit einem „Verbesserungen nötig“ kann jeder Fabrikbesitzer also weiterwursteln.

Auch die Tazreen-Fabrik, die im November 2012 abbrannte, wurde angeblich vorher von Auditoren geprüft. Im Feuer, beim Sprung aus dem brennenden Gebäude und später an den Folgen starben bis August 2014 insgesamt 125 Arbeiterinnen und 150 verletzten sich teils schwer. Obwohl bei der Fabrik die Notausgänge und Feuerleitern fehlten, passierte nichts. Sogar Laien konnten diese Mängel sehen, warum also nicht Auditoren? Die Frage ist, ob die Fabrik überhaupt jemals überprüft wurde.

Die Tazreen-Fabrik gehört zur Tuba-Gruppe, die sich in Besitz von Delwar Hossain befindet. Er konnte sich auf Kaution mehrfach aus der Haft freikaufen, zuletzt am 5. August 2014. Er erpresste die Justiz, indem er drei Monatslöhne für 1600 Arbeiterinnen zurückhielt. Diese wollte er nur auszahlen, wenn er auf freien Fuß käme. Auch deutsche Einkäufer wie KiK und Lidl und internationale Unternehmen wie Walmart und C&A sind Auftraggeber der Tuba-Gruppe.

Völlig unverständlich ist deshalb, dass die nationale Kontaktstelle der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Beschwerde gegen KiK zurückwies. Diese hatte der Grünen-Abgeordnete Uwe Kekeritz im Mai 2013 bei der OECD eingereicht. Die OECD begründet ihre Entscheidung damit, dass KiK keine direkte Verantwortung für den Brand trage, weil es zum Zeitpunkt des Brandes nicht mehr dort produzieren ließ und keinen maßgeblichen Einfluss auf die Sicherheitsvorkehrungen gehabt habe.

Wenn KiK seine Produzenten vor Auftragsvergabe geprüft hätte, wie es behauptet zu tun, dann hätten die fehlenden Fluchtausgänge auffallen müssen. Das Feuer hätte ja auch schon früher ausbrechen können, als KiK dort noch produzieren ließ. KiK hat seine Vorsorgepflicht sträflich vernachlässigt. Dass die OECD-Kontaktstelle dies nicht erkennt, zeigt, dass die Ansiedlung dieser Stelle beim Wirtschaftsministerium höchst problematisch ist. NGOs kritisieren dies seit Jahren.

 

Verantwortung der Regierungen

Neben den einkaufenden Unternehmen hat auch die Regierung von Bangladesch eine Verantwortung. Sie muss die Arbeits- und Menschenrechte der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie sowohl gemäß dem Arbeitsgesetz des eigenen Landes als auch gemäß der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) schützen. Auch die deutsche Bundesregierung versäumt es, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für den Schutz der Menschenrechte in Bangladesch einzusetzen.

Zwar hat der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, kürzlich ein Textilbündnis ins Leben gerufen, an dessen Aktionsplan ich aktiv mitgearbeitet habe. Ziel ist es, konkrete Verbesserungen der sozialen und ökologischen Standards in der Textil- und Bekleidungsindustrie zu erreichen. Doch der Großteil der Textilbranche weigert sich bislang, ihm beizutreten. Überhaupt wäre ein Gesetz, das alle Unternehmen gleichermaßen zur Vorsorge verpflichtet, fairer. Denn dann müssten sich alle Firmen daran halten und nicht nur die, die einem freiwilligen Bündnis bei­treten.


Verantwortung der ­Verbraucherinnen

Ein entscheidender Aspekt ist auch unser Konsumverhalten. Inzwischen kostet ein T-Shirt bei der Billigkette Primark weniger als eine Tasse Kaffee oder eine Busfahrt. Dadurch ist die Achtung vor der Arbeit einer Näherin verloren gegangen. Jeder sollte wissen: Weil wir alles billiger haben wollen, müssen andere Menschen zum Beispiel in Bangladesch dafür leiden.

Seit Jahren stagnieren bei uns die Preise für Textilien, billige Kleidung ist Normalität. Anstatt Wegwerfmode zu kaufen, sollten wir weniger und bewusster kaufen. Es gibt einige wenige Siegel wie Fairtrade für Baumwolle oder GOTS für Umweltstandards, auf die man achten sollte. Unternehmen, die der Fair Wear Foundation beigetreten sind, wollen die Arbeitsbedingungen in der Konfektion verbessern. Nähere Informationen über vertrauenswürdige Siegel finden Sie auf: http://www.femnet-ev.de/index.php/de/themen/oeko-faire-kleidung/siegeluebersicht.

 

Gisela Burckhardt ist entwicklungspolitische Expertin und Vorstandsvorsitzende von FEMNET und setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie weltweit ein. Sie hat aktuell das Buch „Todschick. Edle Labels, billige Mode – unmenschlich produziert“ im Heyne-Verlag veröffentlicht.
gisela.burckhardt@femnet-ev.de

 

Links:

http://www.cleanclothes.org
http://www.sauberekleidung.de
http://www.femnet-ev.de

Research Initiative for Social Equity Society (RISE):
http://risebd.com/