Unser Standpunkt
Aus Fehlschlägen lernen
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank verlangten seinerzeit, dass Länder Strukturanpassungen implementierten, wenn sie in Krisensituationen Kredit brauchten. So sollten Marktkräfte freigesetzt und Wachstum erzeugt werden. Der Hintergrund war, dass Regierungen in den 1960er und 1970er Jahren mit ihren Versuchen, die Wirtschaft zu steuern, nicht die ersehnten Entwicklungsfortschritte herbeigeführt hatten. Postkoloniale Regierungen waren zudem häufig von Eliten dominiert und korrupt.
Der Begriff „Strukturanpassung“ hat heute keinen guten Klang, denn das Konzept schlug in allzu vielen Ländern fehl. Die Schulden wuchsen immer weiter – und die Gebergemeinschaft musste sich dann in einer Politikwende in den späten 1990ern auf Schuldenerlasse besinnen, die sie mit der Pflicht zur Armutsbekämpfung verband.
Linke Zeitgenossen tun heute gern so, als habe die Strukturanpassungspolitik Armut überall nur verschlimmert. Richtig ist, dass reduzierte Gesundheitsversorgung, geringere Bildungsausgaben und weniger Beschäftigung im öffentlichen Dienst zu den typischen Schattenseiten gehörten. Es ist aber ein Märchen, dass die Armen Afrikas und Asiens nur wegen Strukturanpassungen den Zugang zum Gesundheitswesen verloren hätten. Die Kolonialmächte hatten gar keine flächendeckende soziale Infrastruktur aufgebaute. Städtische Krankenhäuser waren allenfalls nominell gratis; Zugang hatte nur, wer Personal bestechen konnte. Im ländlichen Raum gab es meist gar kein modernes Gesundheitswesen. Aus Gebersicht waren viele staatliche Institutionen dysfunktional – und das stimmte durchaus. Die Strukturanpassungen lösten die Probleme aber nicht, denn die Bedeutung des Staats wurde missverstanden. Er muss klug regulieren. Er muss sich um Gemeinwohl und Infrastruktur kümmern. Weitsichtige Politik kann Armut und Ungleichheit reduzieren.
Zu bedenken ist überdies, dass Strukturanpassungen nicht überall gleich verliefen. Viele kleine afrikanische Staaten stürzten in tiefe Rezessionen, als die Rolle des Staats in der Wirtschaft zurückgedrängt wurde. In der Asienkrise der späten 1990er Jahre verschärften fehlgeleitete Kreditkonditionen der internationalen Finanzinstitutionen die Probleme Indonesiens. Argentinien erlitt um die Jahrtausendwende sogar einen Staatsbankrott, nachdem das Land jahrelang orthodoxe Regeln befolgt hatte. Andererseits florierten manche Länder aber nach Kreditgewährung auch schnell – etwa Indien in den frühen 1990ern oder die Türkei, Brasilien und Pakistan in den Nuller-Jahren. In diesen Fällen brachten IWF-Kredite den erwünschten Erfolg.
Es gilt, Politikwirkungen zu verstehen. Nicht jede Strukturanpassung war katastrophal. Die Lehren müssen beherzigt werden. Weder auf nationaler noch internationaler Ebene können wir uns weitere „verlorene Jahrzehnte“ leisten. Nach einer langen Ära niedriger Zinsen wird die Geldpolitik der Notenbanken wieder restriktiver. In vielen Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen ist die Verschuldung gestiegen. Wenn nun wieder Krisendarlehen von multilateralen Institutionen gebraucht werden, dürfen keine konzeptionellen Fehler mehr gemacht werden. Im Juni hat der IWF bereits einen riesigen Beistandskredit mit Argentinien vereinbart. Zu Redaktionsschluss Anfang September machten argentinische Finanznöte schon wieder Schlagzeilen. Auch in der Türkei und in Pakistan spitzten sich Finanzprobleme zu. Beobachter gingen davon aus, dass beide Länder bald IWF-Geld brauchen würden. Weitere Länder könnten bald betroffen sein.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
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Zuletzt aktualisiert wurde dieser Beitrag am 4. September.