Biodiversität
Wert ohne Währung
Biodiversität umschreibt die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten, ihrer Gene und der Landschaft, in der sie leben. Hinter dem Schlagwort steckt bis heute kein präzise erfassbarer ökonomischer Wert, aber implizit die Forderung, dass wir schonend mit der Umwelt haushalten. Hinzu gesellt sich die Erkenntnis, dass Entwicklungsländer, die eine hohe biologische Vielfalt haben, eigentlich eine gerechte Gegenleistung dafür verdient hätten, wenn reichere Länder deren biologische Vielfalt nutzen.
Wie gehen Umweltschützer und Wissenschaftler mit solchen Fragen um? „Es tut der biologischen Vielfalt gut, wenn man Zäune um ihre Gebiete zieht“, betont der Zoologe Manfred Niekisch. Aber Naturschutzgebiete reichten nicht, um das vom Klimawandel noch beschleunigte Artensterben zu bremsen. Der 57-Jährige Leiter des Frankfurter Zoos ist gefragter Experte für Naturschutz. Darunter versteht er allerdings „keinesfalls einfach den Schutz einer vom Menschen unveränderten Natur“, was einer romantischen Vorstellung – ob vom bolivianischen Nebelwald oder einer deutschen Streuobstwiese – entspreche. Wahr ist nämlich, dass in beiden Fällen Menschen diese Biotope mitgestalten.
Niekisch rückt deshalb Menschen ins Zentrum seines Weltbildes. „Wir müssen allerdings lernen, dass unsere Säulen für Nachhaltigkeit – Soziales, Kultur, Wirtschaft – auf Sumpf stehen, wenn ihnen der Klimaschutz und Biodiversität als Grundlage fehlen“. Ein beispielhaftes Vorbild wertvoller Vielfalt sind die mindestens 56 Sorten Maniok, die auf kargen Böden des Manú-Nationalparks in Peru gedeihen. Deren Auswahl erlaubt indigenen Bauern, auf vielfältige Salz- und Süßwasserbedingungen zu reagieren. Eine ähnliche Rolle spielt die genetische Vielfalt der Maissorten für Zentralamerika. Europäische Pflüge und Brandrodungen wären in solchen Gegenden fehl am Platz, eine Soja-Massenproduktion wie in Brasilien ökologischer Wahnsinn, warnt Niekisch.
Ohne Biodiversität gehen menschliche Ernährungsgrundlagen verloren, argumentiert der Frankfurter Zooleiter: „Vielfalt ist deshalb ein Menschenrecht.“ Sein Rezept für die Zukunft: Regierungen müssen lokal betroffenen Ethnien in aller Welt größere Verantwortung übertragen. Wenn Menschen kleinräumige Nutzungsformen schützen, sei die globale „Monotonisierung der Lebensmittelproduktion“ zu verhindern.
Gleichzeitig verlangen zum Beispiel die Amazonasvölker Perus mehr Bildung. „Wir müssen verstehen, wie die Klimakrise abläuft“, sagte Evaristo Nugknag Ikanan im September in Bonn während einer Konferenz der Right Livelihood Foundation und der GTZ. Als der Aguaruna-Indianer vor 24 Jahren den Right Livelihood Award erhielt, warnte er bereits davor, die Erde als Produktionsfaktor zu missbrauchen. „Seither handelte der Weltmarkt leider in Gegenrichtung; wir stehen vor einer zivilisatorischen Krise, deren Folgen schlimmer sind als die Klimakrise selbst.“
Der Umweltschützer lehnt das Konzept der Emissionsrechte ab: „Statt über Kohlendioxid zu verhandeln, brauchen wir einen Systemwandel, der das Verursacherprinzip durchhält. Bisherige Zertifikate sind vor allem im Interesse großer Firmen, tatsächlich betroffene Menschen erreicht wenig Hilfe.“ Evaristo Nugknag kritisiert insbesondere die Strategie multinationaler Konzerne in Peru: „Sie nutzen unseren Wald und örtliche Bodenschätze auf Erlaubnis der Regierung, ohne dass Ureinwohner vorher einbezogen werden.“ Ohne Anhörung der Ureinwohner, deren Lebensweise durch Zerstörung von Landschaften bedroht ist, dürfe keine Raumordnung und kein Bergbau mehr stattfinden.
Auch die immer wirtschaftlichere Nutzung von Biokraftstoffen sei aber eine Scheinlösung. „Unsere Priorität muss zukünftig auf dem Leben als Ganzes liegen“, sagt der 60-jährige Träger des Alternativen Nobelpreises. „Dazu gehören sauberes Wasser, saubere Luft, Ruhe, Glück und intakte Landschaften. Wir müssen unsere Unabhängigkeit höher schätzen als einen Konsumismus, der ständig neue Dinge und Waren anhäuft.“
(Peter Hauff)