China
Giftige Luft macht dauerhaft krank
Eigentlich hatte der Chirurg Zhao Xiaogang nur das in Worte fassen wollen, womit er sich tagtäglich im Krankenhaus beschäftigt – wenn auch auf ironische Weise. Er verfasste ein Gedicht. Darin ist von Atemwegserkrankungen die Rede, von „milchglasartigen Verschattungen“, die er auf den Computertomografie-Bildern ständig zu sehen bekommt. Zudem von „köstlichem Dunst und Nebel“. Und weiter: „Meine Kameraden schwimmen in allen Gefäßen, meine Leute kriechen in eure Organe und Körper.“ Er meint damit kaputte Bronchien und Krebs.
Ein Medizinjournal in den USA veröffentlichte sein Gedicht vor etwas mehr als einem Jahr. Nachdem auch eine chinesische Nachrichtenwebseite es einige Wochen später aufgriff, ging das Gedicht im chinesischen Internet binnen kurzer Zeit viral. „Ich wollte den Menschen auf diese Weise Wissen über Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs und andere Erkrankungen näherbringen, die sich ergeben, wenn man ständig Smog ausgeliefert ist“, sagte Zhao, selbst überrascht über die Resonanz, die er mit seiner Lyrik hervorgerufen hatte.
Es gibt kaum ein Thema, das die Menschen in China derzeit so umtreibt wie die gesundheitlichen Auswirkungen schlechter Luft. Zwar hat die Regierung im Oktober in einer großangelegten Aktion zehntausende Fabriken und Kohlekraftwerke in ganz Nordostchina schließen lassen. Zumindest im Großraum Peking – normalerweise die am schlimmsten betroffene Region Chinas – sind in diesem Winter die Smogwerte so niedrig wie seit Jahren nicht. Doch andere Landesteile leiden auch weiter unter der schweren Luftverschmutzung, für die China inzwischen auf der ganzen Welt berüchtigt ist. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis der wirtschaftliche Druck auf die Regierung so groß ist, dass die Fabriken auch um Peking herum wieder öffnen dürfen. Spätestens dann gilt auch für die Hauptstadt wieder Smog-Alarm.
Die Luftverschmutzung ist Folge eines jahrzehntelangen Wirtschaftsbooms und des Aufbaus einer gigantischen Schwerindustrie, der in seiner Dimension völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Allein Hebei, die umliegende Provinz von Peking, hat 2016 mehr Stahl produziert als der Rest der Welt zusammen. Und da fast zwei Drittel der Energieerzeugung in der Volksrepublik noch immer auf Kohleverbrennung basieren, ist es kein Wunder, dass China mehr Feinstaub und Treibhausgase in die Atmosphäre bläst als jedes andere Land.
Lungenkrebs durch Feinstaub
Allgemein bekannt ist, dass Menschen, die regelmäßig unter Smog leiden, einem sehr viel höheren Lungenkrebsrisiko ausgesetzt sind. Durch die Verbrennung von Kohle und anderen Brennstoffen wird jede Menge feiner Staub in die Luft gewirbelt. Besonders gefährlich sind Feinstaubpartikel, die kleiner sind als 2,5 Mikrometer (PM2,5). Denn sie gelangen beim Atmen in die Lungenbläschen und geraten in die Blutlaufbahn.
In den chinesischen Großstädten handelt es sich beim Feinstaub zudem um einen giftigen Cocktail aus Stickoxid, Kohlenmonoxid und Schwefeldioxid. Haben sich diese Kleinstpartikel im Körper verbreitet, können sich gefährliche Karzinome bilden. Das geht manchmal recht schnell, ist meistens aber ein schleichender Prozess, der sich über Jahre hinzieht. Die Zahl der Menschen in China, die in den nächsten Jahrzehnten an Lungenkrebs durch Smog erkranken werden, lässt sich noch gar nicht abschätzen. Völlig unterbelichtet sind jedoch Atemwegserkrankungen in Folge von Smog. Diese können die Gesundheit sehr viel rascher auf Dauer ruinieren – ebenfalls bis hin zum Tod.
Wie es zu chronischen Atemwegserkrankungen durch Smog kommt, beschreibt Song Jiali, Ärztin am renommierten Pekinger Xuehe-Krankenhaus. Sie steht in ihrer Praxis und zeigt mit einem Laserpointer auf das Röntgenbild der Lunge eines ihrer Patienten. Die Lunge ist an vielen Stellen weiß befleckt. „Das ist keine Raucherlunge“, sagt Song. Sondern die eines Stahlarbeiters. Die 58-Jährige beschäftigt sich seit vielen Jahren ausschließlich mit den Auswirkungen von Smog auf die Atemwege, einem Problem, das die chinesische Regierung bis vor kurzem noch negiert hat.
Song zufolge reagiert Schwefeldioxid mit Wasser und wird zu Schwefelsäure, einem Stoff, der Augen, Haut und Atemwege reizt. Wer normalerweise gesund ist, bei dem ruft Smog zunächst Kopfschmerzen oder Übelkeit hervor. Feinstaubpartikel können sich zudem in der Lunge absetzen und – lange bevor sich Karzinome entwickeln – Entzündungen auslösen. Das Immunsystem reagiert, es kommt vermehrt zu Husten und Auswurf. Auch damit kommt der normale menschliche Körper in der Regel zurecht. Sobald kein Smog mehr herrscht und das Immunsystem in der Lunge nicht mehr mit den Fremdpartikeln zu kämpfen hat, legt sich dieser Husten wieder.
Herz-Kreislauf-Erkrankung durch Atemnot
Anders jedoch ergeht es Menschen, deren Lungen dauerhaft Smog, Abgasen und anderen Giftpartikeln ausgeliefert sind. Die Schadstoffe können der Lunge dauerhaften Schaden zufügen. Im Fachjargon heißt das „chronisch-obstruktive Lungenerkrankung“ (chronic obstructive pulmonary disease – COPD). Der Hustenreiz hört nicht mehr auf. Werden die Schleimhäute der Bronchien dauerhaft geschädigt, kann daraus eine chronische Bronchitis entstehen.
Im gesunden Zustand sind die Atemwege imstande, sich flexibel der erforderlichen Menge an Luft anzupassen. Bei einer chronischen Bronchitis jedoch ziehen sie sich zusammen und lassen zu wenig Luft durch. Der Betroffene empfindet Atemnot. Dies wiederum kann dazu führen, dass das Lungengewebe überdehnt wird. Es kommt zu einem Lungenemphysem. Das belastet das Herz, und der Herzmuskel hält diese Belastung nicht dauerhaft aus. Aus dem Atemwegsproblem entsteht eine handfeste Herz-Kreislauf-Erkrankung.
Gerade für Ältere, Kinder – mit noch nicht voll entwickelten inneren Organen – und Menschen, die ohnehin ein schwaches Herz haben, kann Smog rasch lebensgefährlich werden. „Hohe Schadstoffbelastungen schwächen das Immunsystem und verstärken den Ausbruch von Atemwegsproblemen oder Herz- und Kreislauferkrankungen“, warnt das Pekinger Gesundheitsamt denn auch regelmäßig, wenn der Smog in der chinesischen Hauptstadt mal wieder dichter wird. „Das ist der Grund, warum bei hoher Luftbelastung die Zahl der Schlaganfälle und Herzinfarkte sofort steigt“, sagt Medizinerin Song. Der Herzschlag verändere sich, das gesamte autonome Nervensystem könne aus dem Gleichgewicht geraten.
Inzwischen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass der Körper äußerst schnell auf giftige Luft reagiert. Die ersten Symptome wie Reizhusten und Unwohlsein zeigten sich bereits nach 15 Minuten, sagt Song. Entzündungsreaktionen würden meist nach zwei, drei Tagen auftreten. Eine Dauerreizung der Lunge ist nach etwa einer Woche Smog gegeben.
Menschen, deren Atemwege durch Smog beeinträchtigt sind, sollten dringend Orte mit sauberer Luft aufsuchen. Doch das ist in China leichter gesagt als getan. In manchen Wintern liegt das gesamte chinesische Kernland, in dem mehr als 800 Millionen Menschen leben, über Wochen unter einer dichten Smogdecke. Selbst Nachbarländer wie Südkorea, Japan und Taiwan leiden dann unter der dreckigen Luft, die aus China herübergeblasen wird.
Viele Menschen in Ostasien helfen sich mit Atemschutzmasken. Sie gehören in den meisten chinesischen Städten inzwischen zum Alltag. Die Wirkung der Masken wurde jedoch erst vor kurzem von Wissenschaftlern von der Universität Massachusetts überprüft. Das Ergebnis: Atemschutzmasken aus Stoff, wie sie weit verbreitet sind, schützen nur vor grobem Staub – Feinstaubpartikel gelangen jedoch ungehindert in die Lunge. Und schlimmer noch: Wer eine Stoffmaske aufsetzt, wird rasch merken, wie sich der Atem beschleunigt. So werden noch mehr Feinstaubpartikel eingeatmet. Wirksame Mittel sind Luftreiniger in Innenräumen, die auch Feinstaubpartikel kleiner als PM2,5 filtern, und chirurgische Atemmasken. Beides ist sehr kostspielig und auch in China nur für Wohlhabende erschwinglich.
US-Studien haben zudem ergeben, dass eine vitaminreiche Ernährung gegen Gesundheitsbelastung durch Smog hilft. Wissenschaftler haben Kindern in Mexiko-Stadt morgens regelmäßig Orangensaft zum Trinken gegeben. Ihre Lungen konnten die Feinstaubbelastung sehr viel besser abwehren als die von Kindern, die den Saft nicht bekommen haben. „Verlassen würde ich mich auf Orangensaft aber nicht“, sagt die Pekinger Ärztin Song.
Felix Lee ist Chinakorrespondent der tageszeitung (taz).
felix.lee@taz.de