Bildung

550 000 neue Berufsschullehrer bis 2010

Seit einigen Jahren bemüht sich die chinesische Regierung verstärkt um die berufliche Qualifikation der Bevölkerung. Sie will das Wirtschaftswachstum verstetigen und soziale Spannungen minimieren. InWEnt unterstützt die Modernisierungspolitik.

Die wirtschaftspolitische Neuorientierung hat in der Volksrepublik China seit mehr als 20 Jahren einen unvergleichlichen wirtschaftlichen Aufschwung beschert. Dank Wachstumsraten von etwa acht bis zehn Prozent pro anno hat China auf der Weltrangliste der Handelsnationen Platz drei erreicht. Die Volksrepublik produziert längst nicht mehr nur billige T-Shirts und Plastikspielzeug. Zu den wichtigsten Exportgütern gehören auch Maschinen und elektronische Produkte.

Der Boom schafft aber auch soziale Herausforderungen. Zwar ist der Lebensstandard in China seit Ende der 70er Jahre deutlich gestiegen, doch seit den 90er Jahren wachsen auch die sozialen Ungleichheiten. Es besteht ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Offiziell betrug 2004 das durchschnittliche Jahreseinkommen in den Städten etwa 1140 Dollar, in ländlichen Gegenden aber nur 355 Dollar. In den Städten wiederum klafft der Spalt zwischen wohlhabenden Fachleuten und benachteiligten Ungelernten oder gar Arbeitslosen auf.

Besonders arm dran sind sogenannte „Wanderarbeiter“: Bauern, die auf dem Land kein Auskommen mehr finden und in die Ballungsräume ziehen. Dort sind sie allerdings nahezu rechtlos. Öffentliche Sozialleistungen stehen Chinesen nur an ihrem offiziellen Wohnsitz zu – und für Wanderarbeiter bleibt das die Heimatgemeinde. Oft rackern sie ohne Vertrag zu miserablen Konditionen. Viele haben nur die Grundschule besucht. Verlässliche Zahlen über die Arbeitslosigkeit in China gibt es nicht. Die sogenannten „Freigesetzten“ – überschüssige Arbeitskräfte maroder Staatsbetriebe – beispielsweise zählen offiziell nicht dazu. Wegen der Rationalisierung von Produktionsprozessen werden seit 1993 immer weniger einfache Arbeiter gebraucht. Auch in der Landwirtschaft ist die Beschäftigung rückläufig. Wer neue Aufgaben übernehmen will, braucht eigentlich eine Umschulung. Aber es herrscht Mangel an Qualifizierungsangeboten; und vielen Arbeitslosen ist auch gar nicht klar, dass ihnen derlei nützen könnte.

Für Unmut sorgen auch hohe lokale Steuern, die Enteignung von Grund und Boden ohne angemessene Entschädigung oder die Räumung von Wohnhäusern durch Ordnungskräfte im Interesse von Baulöwen – entgegen offiziell geltenden Gesetzen. Wanderarbeiter fordern Rechte, Wohnraum und Schulen für die Kinder. Proteste richten sich gegen Entlassungen, geringe Abfindungen und einbehaltene Löhne.

Die zunehmend ungerechte Einkommensverteilung nährt Spannungen, besonders zwischen Stadt und Land. Aus Sicht der Regierung ist dies die größte Gefahr für die Stabilität des Landes. Ihren Angaben zufolge verzehnfachte sich die Zahl kollektiver Proteste von 8700 im Jahr 1993 auf 87 000 im Jahr 2005. Die Staatsführung ist auf eine gewisse soziale Stabilität angewiesen und unterdrückt immer wieder Proteste, allerdings reagiert sie inzwischen weniger repressiv auf Demonstrationen.


„Soziale Harmonie”

Instabilität würde das Wirtschaftswachstum belasten. Deshalb hat der Staatsrat 2005 eine Strategie mit dem Ziel „harmonische Gesellschaft“ formuliert. Das Regime will seine Macht sichern, indem es für ein Mindestmaß an Zufriedenheit sorgt. Dazu müssen mehr Menschen Arbeit finden – also tut Qualifizierung not. Das gilt umso mehr, als in China trotz hoher Arbeitslosigkeit Personalmangel herrscht. Ausgebildete Leute werden gesucht. Die Produktqualität ist gestiegen und Herstellungsverfahren sind anspruchsvoller geworden. Die stellvertretende Bildungsministerin Wu Qidi sagt, dass „die weitere Entwicklung unseres Landes maßgeblich mit von der Leistungsfähigkeit der beruflichen Aus- und Weiterbildung“ abhängt. Schon 2005 beschloss die Regierung, die Berufsausbildung aufzuwerten.

Berufliche und akademische Bildung sind in China spiegelbildlich organisiert. Nach einer sechsjährigen Grundschulbildung können Schüler entweder eine berufs- oder eine allgemeinbildende Schule besuchen. Facharbeiterschulen entsprechen der Sekundarstufe I (7. bis 9. Klasse) und Berufsschulen der Sekundarstufe II (10. bis 12. Klasse). Darauf aufbauend gibt es die allgemeine Hochschulbildung und parallel dazu die höhere Berufsausbildung in Fachhochschulen. Zwischen den Zweigen können die Schüler nach jeder Stufe – entsprechend der Verfügbarkeit von Plätzen – frei wechseln. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach qualifizierter Berufsbildung gestiegen.

2005 arbeiteten in China insgesamt 750 000 Lehrerinnen und Lehrer an Berufsschulen. Bis 2010 will das Bildungsministerium ihre Zahl um mehr als zwei Drittel auf 1,3 Millionen steigern – und zugleich ihre Qualifikation verbessern. Die Berufsbildung soll sich künftig stärker am Bedarf der Unternehmen orientieren. Um Lehrer darauf einzustellen, kooperiert das Ministerium mit InWEnt. Im Rahmen eines gemeinsam finanzierten Projekts wurden in den vergangenen drei Jahren 900 Berufsschullehrer und -lehrerinnen, 400 Schulleiter und Schulleiterinnen und 100 Bildungsbeamte weitergebildet. Kernthema waren Lehrmethoden und die Entwicklung von Lehrplänen. Nach dem Schneeballsystem werden diese Leute ihr Wissen an andere Kollegen weitergeben.

Kürzlich vereinbarten das chinesische Bildungsministerium und InWEnt, die Zusammenarbeit fortzusetzen. Die Regierung hofft, dass dieses Programm auch dazu beiträgt, die gravierenden Umweltprobleme des Landes in den Griff zu bekommen, denn das kann nur mit qualifiziertem Personal gelingen. Ungelernte Kräfte verstehen normalerweise weder die Herausforderungen, noch sind sie in der Lage, innovative Lösungen zu entwickeln. Die ökologische Belastung Chinas ist aber bereits erheblich. Die Volksrepublik plagen unter anderem Dürren, Sandstürme und Bodenerosion.

Die chinesische Akademie der Sozialwissenschaften schätzte 2004, dass die Umweltzerstörung das reale Wirtschaftswachstum um zwei Prozentpunkte senken dürfte. Ökologische Belange in der Produktion zu berücksichtigen, müssen die Verantwortlichen aber noch lernen. Da Fachkräfte aus dem Ausland die Betriebe zu teuer zu stehen kommen, setzt das Bildungsministerium auf die Ausbildung der eigenen Bevölkerung. Diese Strategie ist auch im Sinne des angestrebten stabilen Wachstums stimmig, denn bessere Qualifizierung führt zu höheren Einkommen und folglich auch zu höherer Inlandsnachfrage. (cir)