Budgethilfe
Zweischneidiges Schwert
[ Von Cecilia Alemany und Mónica Mongabure ]
Nikaragua war das erste lateinamerikanische Land, in dem die Europäische Kommission (EC) allgemeine Budgethilfe (General Budget Support, GBS) geleistet hat. Die Kommission (2007) erhoffte sich dadurch:
- „mehr Wirksamkeit,
- niedrigere Transaktionskosten,
- eine geringere Fragmentierung der Aktivitäten,
- ein stärkeres Ansetzen an den Wurzeln des Problems – darunter Korruption und geringe Institutionalisierung – sowie
- mehr Ownership und bessere Kommunikation zwischen Interessensgruppen, dem Staat und der Gebergemeinschaft“.
Auf ihrer Internetseite nennt die EC drei wesentliche Voraussetzungen für die allgemeine Budgethilfe:
- angemessene Politik oder ihre Einführung,
- stabilitätsorientierte makroökonomische Politik und
- Reformen des öffentlichen Finanzmanagements.
Diese Bedingungen entsprechen der Pariser Erklärung zur Wirksamkeit von Entwicklungshilfe, die 2005 auf einem High-Level-Treffen der OECD angenommen wurde. Dahinter steht die Idee, dass Haushaltsentscheidungen die Prioritäten einer Regierung widerspiegeln (und damit ihre „Ownership“), und dass die Verteilung von Geldern über die bestehenden Strukturen eines Landes („Alignment“) dessen Institutionen stärkt.
Die EU hält allgemeine Budgethilfe für ein Mittel zur Verbesserung des politischen Systems, der öffentlichen Dienstleistungen und des öffentlichen Finanzmanagements. Allerdings wird zur Evaluierung dieser Punkte das stark umstrittene „Country Policy and Institutional Assessment” der Weltbank benutzt (siehe auch Steets und Thomsen in E+Z/D+C vom März, S. 120ff.). Die Geber diskutieren weiterhin darüber, welche Art von treuhänderischem Risiko sie für handhabbar und akzeptabel halten.
Für die Menschen in den Entwicklungsländern dagegen ist die große Frage, ob Budgethilfe wirklich dazu beiträgt, die demokratische Regierungsführung zu stärken, oder ob sie anderen Zwecken dient. Während die Ergebnisse in Bolivien, Ecuador und Uruguay nicht schlecht aussehen (siehe unten), können die Befürworter der Budgethilfe Nikaragua sicherlich nicht als Erfolgsstory bezeichnen.
Nikaraguanische Erfahrungen
Nikaragua ist eines der ärmsten Länder in Lateinamerika. Es ist sehr stark abhängig von ausländischer Entwicklungshilfe und Geldrücktransfers. Im Jahr 2000 wurde Nikaragua in die Heavily-Indebted-Poor-Countries-(HIPC-) Initiative der Weltbank aufgenommen, 2004 wurde dem Land Schuldenerlass gewährt.
Laut Eduardo Acevedo, Mitglied der Wirtschaftskommission Nikaraguas sowie der nichtstaatlichen Organisation Coordinadora Civil-Nicaragua, machen Hilfe und internationale Kredite 10,6 Prozent von Nikaraguas BIP aus sowie 33 Prozent der Kosten des öffentlichen Sektors. Kein anderes Land in Lateinamerika erhält so viel Entwicklungshilfe von der EU wie Nikaragua. Abgesehen von der großen Armut hängt das mit der Bereitschaft der europäischen Staaten zusammen, Demokratisierung zu unterstützen und sich auf einen ernsthaften politischen Dialog einzulassen. Mehr als 50 Prozent der gesamten Hilfe für Nikaragua kommen von der EU und ihren Mitgliedsstaaten.
Die Budgethilfe-Gruppe in Nikaragua besteht aus neun Gebern: der EU, Großbritannien, Finnland, der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, der Inter-American Development Bank und der Weltbank. Diese Gruppe hat gemeinsam mit Nikaraguas Regierung die Budgethilfe-Konditionen ausgehandelt. Im vergangenen Jahr zahlte sie statt geplanter 122 Millionen Dollar nur 21 Millionen Dollar aus.
Zu den Gründen zählte Unzufriedenheit mit der Regierung in Managua wegen undurchsichtiger Nutzung von Geldern aus Venezuela. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez ist ein enger Verbündeter von Nikaraguas Staatschef Daniel Ortega. Zudem prangern verschiedene internationale Akteure Betrug bei den Kommunalwahlen in Nikaragua im November an, darunter die Organisation der Amerikanischen Staaten, die USA und Transparency International.
Nach Ansicht der EC wurden die Kommunalwahlen nicht ordnungsgemäß durchgeführt und die demokratischen Freiheiten im Land beschnitten. Daher hat die Kommission die Budgethilfe für 2009 ausgesetzt. Im März bestätigte die Generaldirektion für Auslandsbeziehungen (DG Relex) diese Entscheidung wegen Verletzung des „Rechts auf freie und rechtmäßige Wahlen“.
Den Nikaraguanern stellt sich jetzt die Frage, ob Venezuela diesen Einschnitt in ihren Haushalt - 2009 ausgleichen wird. Laut Präsident Ortega springt Venezuela mit ausreichend Geldern ein und will zusätzliche nikaraguanische Schuldverschreibungen kaufen.
Die EU begründete ihre Entscheidung mit Bedenken wegen der Kommunalwahlen. Leider gibt es aber keinen Grund anzunehmen, dass das Aussetzen der Budgethilfe die demokratische Governance in Nikaragua verbessern wird:
- Erstens ist es problematisch, wie viel Gewicht den Governance-Indikatoren bei der GBS-Vergabe eingeräumt wird und wer sie bewertet. Das Assessment-System der Weltbank ist umstritten.
- Zweitens verbessert das Einfrieren der Budgethilfe nicht das Leben der Menschen. In Krisenzeiten kürzen Regierungen tendenziell im sozialen Bereich. In diesem Fall würde die Entscheidung der EC die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise auf Nikaraguas nationalen Haushalt noch verstärken.
- Die Entscheidung der EC beruht zwar auf Sorgen um die Demokratie, sie wird aber im Ergebnis wahrscheinlich nur das Ortega-Chávez-Bündnis stärken, anstatt eine relevante innenpolitische Debatte darüber anzustoßen, wie Regierungsführung zu verbessern sei.
Generelle Bedenken
Die Idee der allgemeinen Budgethilfe ist, die Transaktionskosten der EU-Bürokratie zu senken und die bestehenden Verwaltungssysteme der Entwicklungsländer zu stärken. Aber die Praxis steckt voller Widersprüche:
- Wenn verschiedene Geber sich zusammentun und ihre Arbeit harmonisieren, konzentriert das ihre Macht. Zugleich wird die der Empfängerregierung reduziert, da diese mit verschiedenen lateralen und multilateralen Gebern zugleich verhandeln muss.
- Einige Bedingungen für GBS sind an Governance-Standards geknüpft, die von der Weltbank definiert und bewertet werden und nicht von den direkt betroffenen Bürgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
- Wenn Geber Budgethilfe einfrieren, sind meist Menschen davon negativ betroffen, während die jeweilige Regierung ihren Kurs nicht ändern muss. Schließlich entscheidet die Regierung, welche Ausgaben sie kürzt.
In Ländern ohne tiefe Interessenkonflikte oder mit aus europäischer Sicht unproblematischer Regierungslage kann allgemeine Budgethilfe die nationale Ownership fördern. Aber in Fällen wie in Nikaragua, wo die EC der nationalen Politik skeptisch gegenübersteht, dient sie dazu, in diese Politik einzugreifen, indem sie Ausgaben und Ablauf des nationalen Haushalts ausbremst. So wird der Spielraum für nationale Politik und Entscheidungen über öffentliche Ausgaben und Investitionen stärker als je zuvor von den Gebern limitiert. Früher hatten ihre Entscheidungen nur Auswirkungen auf Projekte und Programme. Heute geht es um den nationalen Haushalt.
Es ist wichtig, das Instrument der allgemeinen Budgethilfe gründlicher zu analysieren und zu verstehen. Es muss herausgefunden werden, was es für die Verteilung internationaler Hilfe bedeutet, wenn man den Regierungen der Entwicklungsländer die Verantwortung für das Routinemanagement von Geldern und das Austesten der Finanzsysteme überträgt. In von Entwicklungshilfe unabhängigen Ländern wie Uruguay ist Budgethilfe ein sinnvolles Instrument, das die Arbeit der Regierung stärkt und Entwicklung beschleunigen kann.
In Ländern mit einer polarisierten Gesellschaft und starken politischen Kontroversen, in denen demokratische Institutionen und Vorgehensweisen gestärkt werden müssten, können Geber die Budgethilfe aber dazu nutzen, ihre Vorstellung von Governance oder auch von Menschenrechten durchzusetzen. Dieser Einsatz von allgemeiner Budgethilfe oder anderen Instrumenten untergräbt dann die nationale Ownership und ist daher aus zivilgesellschaftlicher Sicht inakzeptabel. Wenn durch die EU-Finanzblockade das Geld von Chávez wichtiger wird, wird die Ortega-Regierung der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft gegenüber kaum mehr Rechenschaft ablegen müssen als zuvor.
Direktzahlungen an den nationalen Haushalt sind ein doppelschneidiges Schwert. Sie können den politischen Spielraum eines Landes steigern, aber sie können auch dazu dienen, ihm die Prioritäten der Geber aufzudrücken. Aus Sicht der Zivilgesellschaft ist fehlende Information (sowohl vorab als auch im Nachhinein) problematisch. Wenn das Ziel nationale Ownership ist, müssen die Bürger und die Organisationen der Zivilgesellschaft nicht nur informiert, sondern auch in alle Entscheidungen einbezogen werden, die Entwicklungszusammenarbeit und Überwachung der relevanten Prozesse betreffen.