Erneuerbare Energie
Soziale Dimension von Wüstenstrom
Zahlreiche Länder in der MENA-Region stehen gegenwärtig vor einem historischen Scheideweg: Es bedarf eines tiefgreifenden Paradigmenwechsels, um die Region politisch zu stabilisieren, vor den Folgen des Klimawandels zu bewahren und gleichzeitig sozioökonomische Entwicklungsperspektiven aufzubauen. Alte politische Machtstrukturen und die Abhängigkeit von fossilen Energien müssen überwunden und innovative Lösungen entwickelt werden, die den Forderungen des arabischen Frühlings gerecht werden. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Erzeugung nachhaltiger Energie zu, wobei solarthermische Großkraftwerke einen wichtigen Beitrag leisten können. Denn die großen Wüstenregionen bieten hierfür ausreichend Flächen und Sonneneinstrahlung.
Die Gewinnung von „Wüstenstrom“ in großem Maßstab ist technisch machbar. Sie könnte erheblich zum Klimaschutz beitragen und die Energiesicherheit in der MENA-Region innerhalb weniger Jahre enorm verbessern. Darüber hinaus könnte die Kombination von solarthermischen Großkraftwerken mit Entsalzungsanlagen der drohenden Wasser- und Nahrungskrise in der Region entgegenwirken. Sie wäre auch ein Motor für den Aufbau neuer Industrien und den Transfer technischen Know-hows sowie die Entstehung neuer Arbeitsplätze vor Ort.
Proteste gegen Kraftwerke
Doch die Kehrseite darf nicht ausgeblendet werden: Große (Energie-)Infrastrukturprojekte waren gerade in Entwicklungsländern immer wieder Auslöser für lokale Proteste bis hin zu gewalttätigen Konflikten, da der versprochene Nutzen für die lokale Bevölkerung oft in keinem Verhältnis zu den entstandenen Nachteilen stand. In Südmarokko zum Beispiel verhinderte die lokale Zivilgesellschaft ein geplantes 72-Megawatt-Ölkraftwerk. Die Verantwortlichen hatten die sozialen und ökologischen Auswirkungen nicht klar kommuniziert, die Folge war massiver Widerstand. Ähnliche Berichte gibt es zu anderen Kraftwerksplänen, beispielsweise in Nuweiba, Ägypten. Der Bau eines Gaskraftwerks drohte hier lokale Lebensgrundlagen und den Tourismus zu schädigen – der Protest lokaler Beduinen-Stämme stoppte den Bau.
Auch wegen solarthermischer Großanlagen gab es schon Konflikte zwischen Betreibern und Anwohnern, etwa im Fall des spanischen Kraftwerks Andasol, wo enteignete Bauern mit der Entschädigung äußerst unzufrieden waren. Der öffentliche Druck und die Kompromissbereitschaft der Betreiber führten schlussendlich zu einer einvernehmlichen Lösung, bei der die Bauern mit alternativen Landflächen oder Kompensationszahlungen entschädigt wurden.
Das Forschungsprojekt „SocialCSP“
Bisher lag der Fokus in der Diskussion über solarthermische Großkraftwerke in der MENA-Region vorwiegend auf der technischen und ökonomischen Machbarkeit der Concentrated Solar Power (CSP-)Technologie. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz, da erneuerbare Energien nicht per se – also allein durch die Bereitstellung klimafreundlichen Stroms – als nachhaltig gelten dürfen.
Germanwatch, das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) erforschten erstmals, wie sich solarthermische Großkraftwerke auf die Lebensgrundlagen der Bevölkerung vor Ort auswirken und inwiefern sie einen Beitrag oder ein Hindernis für nachhaltige Entwicklung darstellen. Dazu haben sie unter Einbeziehung lokaler Partner das wissenschaftliche Pilotvorhaben „SocialCSP“ durchgeführt. Dabei ging es um das im Bau befindliche Kraftwerk Noor I in Ouarzazate, Marokko.
Das Forschungsprojekt, das vor allem auf partizipativer Feldforschung beruhte, wurde 2013 bis 2015 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Die hier vorgestellten Projektergebnisse konzentrieren sich auf die Frage, inwiefern die Interessen der lokalen Bevölkerung im Rahmen von Noor I berücksichtigt wurden und an welchen Nachhaltigkeitsanforderungen künftige solarthermische Großprojekte in der MENA-Region ausgerichtet werden sollten.
Beispiel Ouarzazate
Vor den Toren der marokkanischen Sahara zeigt sich in beeindruckender Weise, wie der Einstieg in eine nachhaltige Energiezukunft aussehen kann: In Ouarzazate entsteht, umgeben von traditionellen Berberdörfern auf 3000 Hektar unwirtlichem Steinwüstenboden, der größte solarthermische Kraftwerkspark der Welt: Das 500 Megawatt (MW) umfassende Noor-Projekt, was auf Arabisch „Licht“ bedeutet, wurde 2009 von König Mohammed VI. ins Leben gerufen.
Wie ein überdimensionales Spiegelkabinett erstrecken sich die gebogenen Parabolspiegel des ersten 160-MW-Teilabschnitts (Noor I) über die karge Hochebene des Atlasgebirges. Schon dieses Jahr soll er in Betrieb gehen. Bis 2019 – so der Plan – werden drei weitere Teilabschnitte des Solarkraftwerkskomplexes folgen. Damit sollen mehr als eine Million Marokkaner mit sauberem Strom versorgt und Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Auch andere sonnenreiche Regionen Marokkos sollen in den kommenden Jahren vier Solarkomplexe nach dem Vorbild von Noor bekommen und dazu beitragen, dass das Land bis 2020 rund 30 Prozent seiner Stromversorgung regenerativ erzeugt – was 42 Prozent installierter Kraftwerksleistung entspricht. Für das Königreich, das über keine nennenswerten Erdöl-, Erdgas- oder Kohlevorkommen verfügt und bisher rund 95 Prozent seiner Energieträger importiert, ist dies eine überlebenswichtige Strategie in Richtung einer klimafreundlichen und modernen Entwicklung.
Damit das Großprojekt Noor Akzeptanz in der Bevölkerung findet, unternahm die Marokkanische Agentur für Solarenergie (MASEN) besondere Anstrengungen. Zum einen steht das Kraftwerk unter der Schirmherrschaft des angesehenen marokkanischen Königs, zum anderen achtete MASEN besonders auf lokale Begebenheiten. Die Verantwortlichen versuchten, mögliche negative Auswirkungen im Vorfeld auszuschließen. Dies gelang und die lokale Bevölkerung im Umkreis von Ouarzazate betrachtet das Noor-Kraftwerk mit Stolz und es genießt eine große Akzeptanz.
Im Folgenden werden die im Rahmen des „SocialCSP“-Projektes identifizierten positiven und negativen Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung exemplarisch zusammengefasst.
Positive Auswirkungen:
Arbeitsplätze: Zentrales Anliegen der lokalen Bevölkerung war, dass ein Großteil der entstehenden Arbeitsplätze für ortsansässige Arbeitskräfte – insbesondere für Jugendliche – geschaffen und lokale Wertschöpfungsketten sowie lokale Industrien einbezogen werden. Diesem Anliegen kamen die Noor-Projektentwickler nach, indem sie rund 700 von insgesamt 1800 Arbeitsplätzen während der Bauphase mit einheimischen Arbeitern besetzten. Benachbarte Gemeinden und lokale Baubetriebe wurden bei der Arbeitsplatzvergabe bevorzugt. 850 weitere Arbeitsplätze wurden an Arbeitskräfte aus anderen Teilen Marokkos sowie 250 an internationale Ingenieure vergeben. Obgleich weitaus weniger Arbeitskräfte für den Kraftwerksbetrieb benötigt werden, sollen heimische Betriebe vor allem bei Wartungsmaßnahmen einbezogen und die erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen auch beim Bau weiterer Solarprojekte in Marokko genutzt werden.
Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen: Vor Ort ist das Personal verhältnismäßig gering qualifiziert und es gibt kaum industrielle Kapazitäten. Deshalb lag ein Schwerpunkt darauf, die benötigten Fachkräfte durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu schulen und diese Maßnahmen eng an das Bachelorprogramm der Hochschule in Ouarzazate anzubinden.
Kompensation für beschränkte Landnutzungsrechte: Trotz des großen Flächenbedarfs des Kraftwerks mussten keine Bewohner umgesiedelt werden. Allerdings wurde die wirtschaftliche Nutzung der Fläche eingeschränkt, zum Beispiel dürfen kein Feuerholz oder medizinische Kräuter gesammelt und keine Viehwirtschaft betrieben werden. Die betroffenen Gemeinden wurden jedoch mit Geld zur Verbesserung kommunaler Wohlfahrts,- Bildungs-, und Gesundheitseinrichtungen kompensiert.
Negative Auswirkungen:
Wasserverbrauch: Die größte Sorge der lokalen Bevölkerung war, dass ihnen durch den Wasserbedarf zur Kühlung des Kraftwerks die überlebenswichtige Ressource entzogen werden könnte. Als eine Reaktion auf diese begründete Sorge wurde für die nächsten Projektphasen Noor II und III auf die teurere Trockenkühlungstechnologie umgestellt und den betroffenen Oasengemeinden wurde eine Unterstützung beim Wasserressourcenmanagement in Aussicht gestellt.
Beteiligung, Dialog und Erwartungsmanagement: Das Projekt sah vor, die Bevölkerung in die Planung miteinzubeziehen, um die lokalen Bedürfnisse und Bedenken rechtzeitig aufzufangen. Dies hat nicht unbedingt Tradition in der politischen Kultur Marokkos. Trotz dieser Bemühungen sahen sich vielerorts betroffene Bürger nicht als gleichwertige Gesprächspartner behandelt und empfanden das Projekt als technokratisch und „von oben“ gesteuert. Die lokalen Gemeinden fühlten sich zudem nur unzureichend über die verschiedenen Schritte des Bauvorhabens informiert und kritisierten, dass meist nur dem Projekt gewogene Eliten in die direkte Kommunikation einbezogen und ganze gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen wurden. Daraus resultierte eine unzureichende Kenntnis über das Projekt. Dies führte bei vielen zu unrealistischen Erwartungen und Enttäuschung vor allem in Bezug auf die Zahl der Arbeitsplätze und die Vergabe sozialer Entwicklungsprojekte.
Fazit
Der arabische Frühling hat die Rahmenbedingungen für Erneuerbare-Energien-Großprojekte in Nordafrika grundlegend verändert. Vorhaben wie der marokkanische Solarplan können in der Region für einen Entwicklungsschub sorgen – wenn die richtigen Lehren aus den politischen Forderungen gezogen werden. Aus dem Forschungsprojekt „SocialCSP“ geht hervor, dass der Erfolg des marokkanischen Solarplans unabdingbar davon abhängt, dass die Forderungen und Wünsche der Bevölkerung berücksichtigt werden. Eine frühzeitige dialogorientierte und inklusive Bürgerbeteiligung sowie Transparenz bei Planung und Umsetzung sind dabei genauso entscheidend wie eine genaue Kenntnis der gesellschaftlichen Strukturen und ein hohes Maß an kulturellem Feingefühl.
Für die weiteren Bauphasen des Noor-Komplexes wie auch für die nächsten Standorte des marokkanischen Solarplans könnte der Schwerpunkt auf dem informellen Dialog zwischen Projektleitung und Bevölkerung gelegt werden. So kann einerseits das Verständnis für das Vorhaben verbessert und mögliche Probleme im Vorfeld identifiziert und gelöst werden.
Boris Schinke ist Referent für Energie und Entwicklung bei Germanwatch.
schinke@germanwatch.org
Conrad Schetter ist wissenschaftlicher Direktor des BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn).
schetter@bicc.de
Link:
Report: Social CSP.
https://germanwatch.org/en/download/11797.pdf