Weltwirtschaftspolitik

Gefangen in globalen Turbulenzen

Die Regierungen der reichen Länder greifen derzeit massiv in Märkte ein. Aber auch Entwicklungsländer müssen handeln. Dafür brauchen sie die Hilfe der reichen Welt. Sie kann die Schulden eher verkraften, die notwendig sind, um die Menschheit aus dieser Krise zu führen. Anderseits darf nicht vergessen werden, was in den vergangenen Jahren Wachstum und Fortschritt in Afrika angetrieben hat.


[ Von Vladimir Antwi-Danso ]

Je schlechter es den großen Ökonomien geht, desto mehr zieht es die Entwicklungsländer in den Abgrund: Die Investitionen in Entwicklungsländern gehen bereits zurück und ihre Exportgüter werden weniger nachgefragt. Die Dritte Welt steht vor einer dreifachen Krise: Nahrungsmittel, Treibstoff und Finanzen. Die Weltbank prognostiziert, dass in diesem Jahr hundert Millionen Menschen mehr Hunger leiden werden als bisher.

Die globale Kreditknappheit wird wahrscheinlich auch einen Einbruch der globalen Entwicklungshilfe mit sich bringen. Bisher sind die Versprechen des Gleneagles-Gipfels im Jahr 2005 unerfüllt geblieben, auch wenn mehr Entwicklungshilfe fließt. Darauf wies der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan kürzlich hin und appellierte an die Industrienationen, ihre Versprechen nicht unter dem Vorwand der Finanzkrise zu brechen. Weil die Produktion eingeschränkt wird, werden viele Arbeitsplätze verloren gehen. Die International Labour Organization (ILO) erwartet weltweit rund 20 Millionen Jobverluste – die meisten davon in den Entwicklungsländern.

Laut dem UN-Wirtschaftsbericht „World Economic Situation and Prospects 2009“ wird die Weltwirtschaftsleistung in diesem Jahr nur um ein Prozent wachsen. Im vergangenen Jahr waren es 2,5 Prozent; davor war die globale Wirtschaftleistung vier Jahre lang zwischen 3,5 und vier Prozent gewachsen. Nach der UN-Prognose wird die Wirtschaftsleistung der Industrieländer um 0,5 Prozent zurückgehen und in den Entwicklungsländern um nur 4,6 Prozent und den Schwellenländern um 5,3 Prozent steigen.

Für möglich halten UN-Ökonomen aber auch ein optimistischeres Szenario. Berücksichtigt man staatliche Stimuli von 1,5 bis 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den großen Ökonomien und weitere Zinssenkungen, so könnten die Industrieländer eine Wachstumsrate von 0,2 Prozent und die Entwicklungsländer ein Wachstum von mehr als fünf Prozent erreichen.

Weil aber niemand wirklich weiß, wie lange die Krise dauern und wie sie sich entwickeln wird, sind auch pessimistischere Szenarien denkbar. Im Falle einer zähen Wirtschaftskrise könnten arme Länder ihre Anstrengungen zur Armutsbekämpfung nicht aufrechterhalten und die politische Stabilität selbst könnte bedroht sein. Das wirtschaftliche Los der armen Länder hängt also offensichtlich von dem der reichen Länder ab. Die politisch Verantwortlichen der reichen Welt müssen sich dieser Verantwortung stellen. Sie dürfen sich nicht nur auf das Wohl ihrer eigenen Nationen konzentrieren.

In der Vergangenheit beschränkten multilaterale Organisationen den politischen Freiraum der armen Länder durch harte Bedingungen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die bisher dominierende Doktrin vom freien Markt obsolet ist. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass die reichen Länder mehr Spielraum für wirtschaftspolitische Maßnahmen haben als die armen Länder.

Eine neue Weltwirtschaftsordnung

In den internationalen Gremien bildet sich der Konsens, dass die Menschheit eine neue globale Finanz- und Währungsarchitektur braucht. Ein koordiniertes Regulierungssystem muss verhindern, dass sich die aktuelle Krise wiederholt. Zusätzlich betont der UN-Bericht auch die Notwendigkeit ausreichender internationaler Liquidität, die Überarbeitung des internationalen Zentralbankensystems und eine globale Wirtschaftspolitik, die im Interesse aller handelt.

Die Regierungen der reichen Länder bewerten derzeit das Verhältnis von Markt und Staat neu. Sie reagieren mit staatlichen Interventionen auf die Kreditkrise, indem sie Kapital in Banken pumpen, Anteile von erschütterten Finanzunternehmen kaufen und Konjunkturprogramme auflegen, um ihren Ökonomien auf die Beine zu helfen. Das alles ist implizit Kritik am dem Internationalen Währungsfonds. Schließlich wurde er gegründet, um das globale Finanzsystem zu steuern. Dieses System hat aber zweifellos versagt, selbst die reichen Länder fordern jetzt eine neue Weltwirtschaftsordnung.

Schon in den 1970er Jahren riefen die Entwicklungsländer, angeführt unter anderem von Tansania, nach einer Neuordnung. Die UN unterstützten den Vorschlag mit Nachdruck. Damals litten die Entwicklungsländer unter dem Einbruch der Rohstoffpreise und der Ölpreiserhöhung nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1973. Doch die Regierungen der reichen Nationen sahen keinen Bedarf, Bretton Woods zu überholen. Sie forderten, dass sich die Länder der Dritten Welt modernisieren sollten und dass sie ihre Märkte öffnen sollten.

Dabei darf man nicht vergessen, dass sich die reichen Länder selbst nie ganz der Marktdoktrin des IWF unterordneten. Trotz ihrer Anti-Regierungsrhetorik machten die US-Präsidenten Ronald Reagan, George H.W. Bush und George W. Bush nicht einmal den Versuch, den US-Haushalt auszugleichen. Zudem haben die Industrienationen alle ein staatliches System sozialer Sicherung, das nicht einfach durch die Dynamik des Marktes zustande kommt.

Kontrolle der Dritten Welt

Die Aufgabe von Weltbank und IWF war es. die Ökonomien der Dritten Welt zu kontrollieren, und daran halten sie auch fest. Die armen Länder mussten für Kredite und Zuwendungen harte Bedingungen in Kauf nehmen. Als 1971 die festen Wechselkurse aufgeben wurden, hätte die globale Finanzarchitektur neu geordnet werden müssen. Die Ölpreiserhöhungen in den Jahren 1973/74 und 1979 machten Reformen noch dringlicher. Stattdessen ließ man den Keynesianismus sterben und die Chicagoer Schule der Markfundamentalisten kam an die Macht. Alle mussten Milton Friedman lesen, und die Unbesiegbarkeit der Marktwirtschaftslehre wurde in den Himmel gelobt.

Das Zugrundegehen des Kommunismus in den1990er Jahren markierte den Höhepunkt des Marktliberalismus und das Ende eines staatsgeführten, zentralwirtschaftlichen Denkens. Paradoxerweise sind die Weltbank und der IWF – also die Institutionen, die diese Ideologie in der Dritten Welt und den Schwellenländern durchsetzten – aber selbst im Besitz und unter Kontrolle von Regierungen.

Und ihre Ideologie hat sich nicht bewährt. Die Strukturanpassungsprogramme der 1980er und 1990er Jahre verstärkten die Schuldenlast der Entwicklungsländer und ihre absolute Armut. Wegen an den Exporten gemessen unhaltbarer Schulden musste den afrikanischen Ökonomien durch die Heavily Indebted and Poor Country (HIPC) Initiative und vor kurzem durch die Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI) aus der Patsche geholfen werden.

Es stimmt, dass die Weltbank in den 1990ern die Rolle des Staates neu entdeckte. Und der IWF scheint weniger dogmatisch zu handeln als während der asiatischen Finanzkrise vor zehn Jahren. Aber es müsste mehr passieren. Beide Institutionen sollten ihre keynesianischen Ursprünge neu entdecken. Gemeinsam mit den anderen multilateralen Finanzinstitutionen sind sie die Organisationen, die es den armen Ländern ermöglichen müssen, die globale Finanzkrise zu meistern.

Die aktuelle Krise ging von der reichen Welt aus; und die reiche Welt wurde hart getroffen. Man darf aber nicht vergessen, dass das Wirtschaftswachstum der vergangenen 30 Jahre nur 20 Prozent der Weltbevölkerung zugute kam. Eine transglobale Elite verdient mehr als 80 Prozent des gesamten jährlichen Einkommens. Zu ihr gehören viele Nordamerikaner, Westeuropäer und Japaner sowie beträchtliche Minderheiten in vielen Ländern, auch den großen Schwellenmärkten wie China, Indien und Brasilien.

Die gegenwärtigen globalen Erschütterungen bieten die seltene Gelegenheit, die internationale Weltwirtschaftsordnung neu zu gestalten. Dabei müssen die systemischen Ungerechtigkeiten des neoliberalen Zeitalters angegangen werden. Die reichen und nicht die armen Länder müssen die massiven Schulden tragen, die aufgenommen werden müssen, um den Turbulenzen zu entkommen.

Afrikas Weg voran

Angesichts der globalen Konjunkturabschwächung muss die Nachfrage durch öffentliche Ausgaben gestärkt werden. Investitionen in Infrastruktur und soziale Sicherungsnetze sind in reichen wie armen Ländern unerlässlich. In Doha sagte der Weltbank-Vizepräsident für Armutsbekämpfung, Danny Leipziger: „Die Kosten der Investitionen in soziale Programme und ökonomische Aktivitäten mögen für viele Regierungen, die jetzt knapp bei Kasse sind, erschreckend wirken, aber die zukünftigen Kosten für das Versäumnis, jetzt etwas zu tun, können viel größer sein als die akuten Einsparungen.“ Diese Aussage impliziert eine willkommene Abweichung von der Doktrin des ausgeglichenen Haushalts, für die die Weltbank in den 1990ern bekannt war. Die Bank räumt heute ein, dass der Schutz der Armen und Verletzlichen bei gleichzeitiger Beseitigung der Barrieren für ökonomisches Wachstum und Produktivität Priorität hat, wenn die Finanzkrise überwunden und nachhaltiges Wachstum angekurbelt werden sollen.

In diesem Kontext ist es möglich, eine Handlungsagenda für die afrikanischen Staaten aufzustellen:
– Die afrikanischen Regierungen müssen ihren Beitrag zum globalen Kampf gegen die Krise leisten. Auch wenn Afrika keine Verantwortung für die Entstehung der Krise trägt, muss es auf dem Reformweg bleiben. Daher sollte Afrika bei multilateralen Anstrengungen zur Neugestaltung der globalen Finanzarchitektur mitmachen. Beim letzten G20-Treffen war nur Südafrika eingeladen. Das ist inakzeptabel.
– In diesem Zusammenhang müssen die afrikanischen Regierungen auf die Einhaltung aller Hilfszusagen bestehen. Sie brauchen das Geld, um ihre Wirtschaft anzukurbeln (und damit auch die Weltwirtschaft).
– Die afrikanischen Regierungen dürfen nicht Reformen zurückschrauben, auch wenn es dafür Anreize gibt. Interventionistische Strategien mögen politisch lohnend erscheinen, sind aber wirtschaftlich selbstmörderisch. Reformen des Finanzsektors, die Banken transparenter und verantwortlicher machen, sind schwierig umzusetzen, aber sie können Dominoeffekte der globalen Finanzkrise vermeiden.
– Trotz der vorübergehenden Anschubsfinanzierung durch Staatsverschuldung bleibt das Ziel makro-ökonomischer Stabilität langfristig wichtig. Andernfalls würden die nationalen Probleme die Folgen der globalen Krise wahrscheinlich verschärfen. Man darf nicht vergessen, dass kluge Makroökonmie in den vergangenen Jahren zum Wachstum beigetragen hat und die afrikanischen Staaten in einer schwächeren Position sind als die reichen Nationen, wenn es um die Aufnahme von Krediten für öffentliche Ausgaben geht. Die meisten afrikanischen Regierungen können sich keine großen Konjunkturprogramme leisten, so dass sie darauf bestehen müssen, dass die Programme der reichen Welt auch ihre Ökonomien unterstützen.
– Auch wenn einige afrikanische Staaten Mittel haben, um mit maßvollen steuerlichen Anreizen Wachstumseinbrüche abzufedern, sollten die staatlichen Investitionen nicht die privaten verdrängen.
– Generell führt ein langsameres Wachstum zu weniger Steuereinnahmen, was wiederum Druck auf die öffentlichen Ausgaben ausübt. Es ist daher essentiell, die öffentlichen Gelder sinnvoll einzusetzen. Ungezielte Subventionen etwa sollten zugunsten von solchen gestrichen werden, die den Armen direkt zugute kommen. Regierungsausgaben, die die Produktivität steigern, sollten beibehalten werden.
– Die Reform der staatlichen Versorgungsbetriebe und eine passende Infrastrukurpolitik sind von zentraler Bedeutung, da sinkende Staatseinkommen öffentliche Einrichtungen, die keinen Gewinn erwirtschaften, unter Druck setzen. Reformen, die die Ausgaben für den Aufbau und den Erhalt der Infrastruktur sichern, mildern die Folgen des Wachstumsrückgangs. Sie helfen der Wirtschaft, einen möglichen Wiederaufschwung der Weltwirtschaft richtig zu nutzen. Mit verbesserter Infrastruktur könnte Afrika sein Wachstum schätzungsweise um mindestens zwei Prozent und seine Produktivität um 40 Prozent steigern. Es war ein gutes Zeichen, dass der AU-Gipfel in Addis Abeba einen Schwerpunkt auf Infrastrukturfragen legte.
– Die afrikanischen Regierungen müssen weiterhin mit multilateralen und bilateralen Gebern zusammen arbeiten, um Transparenz und Rechenschaft bei der Nutzung ihrer Ressourcen zu verbessern. Außerdem müssen sie die Effektivität von Entwick­lungshilfe nachweisen. Dabei müssen sie einen größeren politischen Entscheidungsspielraum einfordern und eine entschiedene Rolle bei der Politikgestaltung einnehmen. Sie müssen darauf bestehen, dass sie von gebergesteuerter Politik abweichen können.
– Die afrikanischen Regierungen sollten berücksichtigen, dass Entwicklungshilfe am effektivsten ist, wenn sie den internationalen Handel ergänzt. Sie sollten daher sinnlosen Protektionismus vermeiden, aber gleichzeitig ihre Ökonomien gegen Dumping abschirmen.