Makroökonomie

Gestern und heute: Keynes' volkswirtschaftliche Theorie

John Maynard Keynes (1883–1946) war vermutlich der einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhunderts. Seine Analysen der weltweiten Depression, die 1929 begann, führten zu einem neuen Paradigma. Ihm zufolge müssen Regierungen in Rezessionen Kredite aufnehmen und ihre Ausgaben steigern, um die sich selbst verstärkende konjunkturelle Abwärtsspirale zu beenden.
John Maynard Keynes im Jahr 1944. picture-alliance/dpa John Maynard Keynes im Jahr 1944.

Grob vereinfacht besagt seine Theorie, dass andernfalls die gesamte Wirtschaftstätigkeit ins Stocken gerät, weil sowohl Unternehmen und Privathaushalten immer weniger Geld zu Verfügung steht und sie ihre Nachfrage entsprechend reduzieren. Wenn alle gleichzeitig sparen, wird überall weniger Geld verdient.

Regierungen können mit kreditfinanzierten Ausgaben den Teufelskreis durchbrechen, wie die keynesianische Theorie besagt. Wenn sie die Chance nutzen, um ohnehin nötige Infrastruktur und soziale Sicherung auszubauen, verbessern sie zugleich die langfristigen Entwicklungschancen ihrer Volkswirtschaften.

Marktorthodoxe Ökonomen rechnen Keynes heute zur politischen Linken, weil er dem Staat im Wirtschaftsgeschehen eine entscheidende Rolle gab. Er selbst wollte allerdings nie den Kapitalismus überwinden, sondern half, ihn zu retten.

Der Einfluss des Keynesianismus

Keynes war sehr einflussreich. Jahrzehntelang folgten westliche Regierungen seinem Paradigma, und das half ihnen auch, den Kalten Krieg gegen den Ostblock zu gewinnen.

Keynes legte großen Wert auf internationale Zusammenarbeit – unter anderem, weil Exportnachfrage schwache inländische Nachfrage ausgleichen kann. Deshalb sollten Regierungen ihre Wirtschaftspolitik international koordinieren. Dafür wurden 1944 die multilateralen Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) geschaffen (siehe Haupttext).

In den 1970er Jahren wurde aber die Marktorthodoxie allmählich wieder dominant. Ein Grund war, dass keynesianische Konzepte zwar beim Wiederaufbau im kriegszerstörten Europa höchst effektiv waren, der Erfolg bei der Entwicklung ehemaliger Kolonien aber weitgehend ausblieb. Allzu viele Entwicklungsländer waren überschuldet. Ein weiterer Grund war, dass konservative Spitzenpolitiker wie Margaret Thatcher in London oder Ronald Reagan in Washington überzogenes Staatshandeln für Inflation und Arbeitslosigkeit verantwortlich machten. Die multilateralen Institutionen folgten ihrem Beispiel.

Keynesianismus verschwand nie vollständig

Völlig verdrängt wurde der Keynesianismus aber nie. Republikanische US-Präsidenten haben immer wieder mit Deficit-Spending die Wirtschaft belebt, wenn das opportun schien. Allerdings lehnten sie die sozialen Dienste, die der britische Volkswirt befürwortete, tendenziell ab.

Weltbank und IWF sind derweil allmählich zu ihren keynesianischen Wurzeln zurückgekehrt. Ein wichtiger Schritt war zur Jahrtausendwende der Schuldenerlass für geringentwickelte Länder, welche von der Kreditbedienung überfordert waren (siehe Jürgen Zattler in E+Z/D+C e-Paper 2018/08, Schwerpunkt). Den Aufwand für die Armutsbekämpfung im Inland zu steigern bringt Entwicklung nun mal schneller voran, als exzessive Darlehen an bi- und multilaterale Institutionen zurückzuzahlen.

Keynesianismus heute

Im Zuge der globalen Finanzkrise, die mit der Pleite von Lehman Brothers in New York 2008 begann, orientierte sich der IWF immer stärker an Keynes. Tatsächlich passt seine Theorie zu aktuellen Problemen. Es mangelt an Wachstum und Investitionen, während der Handlungsbedarf – etwa mit Blick auf globale Erhitzung – ständig wächst und die globale Armut wieder zunimmt (siehe Rezension des Weltbank-Berichts im Schwerpunkt von E+Z/D+C e-Paper 2020/10). Vernünftigerweise sollten Staaten jetzt mit Krediten Ausgaben finanzieren, die ohnehin nötig sind. Aus IWF-Sicht ist das sogar alternativlos.