Web 2.0
Ohne Computer und Festnetz
[ Von Andreas Mandler ]
In vielen Städten in Entwicklungsländern ist Internetzugang heute etwas Selbstverständliches. Obwohl Internetcafés oft Spielhöllen ähneln, regeln Nutzer dort auch Behördenverkehr, kaufen online ein oder suchen Jobs. Anders sieht es auf dem Land aus. Dort ist Analphabetismus immer noch weit verbreitet, obendrein herrscht Mangel an technischen Kenntnissen und nötiger Ausrüstung. Die meisten Menschen in ländlichen Gebieten sind weit davon entfernt, das Internet zu nutzen.
Dennoch bietet die moderne Kommunikationstechnik auch ihnen Möglichkeiten. Technologie und die eingesetzten Programme sind immer nutzerfreundlicher und leichter zu handhaben. Zudem erreicht der Mobilfunk immer mehr Dörfer. Damit ist es nicht mehr unbedingt nötig, selbst über das Festnetz buchstäblich „on line“ zu sein, stattdessen stellt das Mobiltelefon die Verbindung her. Das hat für die ländliche Bevölkerung enorme Bedeutung, denn aktuelle Informationen über Marktpreise, Wetter und sonstige agrarisch wichtigen Dinge steigern ihre Einkommenschancen. Bisher informieren sich Landwirte in der Regel mittels sozialer Netzwerke. Ihre konventionellen Kanäle sind Märkte, Versammlungen, Beratungszentren und Radio.
Zunehmend nutzt die Landbevölkerung Mobiltelefone, die neue Optionen eröffnen, wenn sie mit anderen Kommunikationstechnologien verknüpft werden. Digitaler Datenaustausch ist auch dort möglich, wo es weder Computer noch Festnetz gibt. Es erschließen sich auch Möglichkeiten für Finanztransaktionen und das Mikrokreditwesen.
Innovative Interaktionsformen
Schon jetzt lassen sich Webinhalte kostengünstig auf Handys schicken, und die Handhabung solcher Funktionen ist einfach. Andererseits können Internetverbindungen zu PCs auch über Mobil- und Satellitenfunk hergestellt werden. Das macht es möglich, Handys für die Agrarentwicklung zu nutzen und mit ihnen die Optionen des „Web 2.0“. Dieses Kürzel steht für neue digitale Interaktionsformen per geschriebenem Text, Bildern, Video- und Sprachnachrichten (Siehe Glossar). Auf diese Weise können Informationen gezielt abgefragt und verbreitet werden.
Auch in Entwicklungsländern werden diese Möglichkeiten immer mehr genutzt. Interessant ist beispielsweise der Ansatz von BROSDI (Busoga Rural Open Source & Development Initiative). Diese ugandische Organisation unterstützt die nachhaltige Sicherung von Lebensverhältnissen durch den Informations- und Wissensaustausch in der ländlichen Bevölkerung. Die not-for-profit Initiative ist regional verwurzelt und setzt neben mobilen Beratungsteams, Veranstaltungen und Radiosendungen auf ein extensives Online-Angebot – wohl wissend, dass vorläufig nur wenige ländliche Klienten dieses Angebot nutzen können.
Es lohnt sich aber, die gleichen Informationen über mehrere Kanäle zu verbreiten. Dabei arbeitet BROSDI auch mit Blogs, Wikis, Podcasts und RSS Feeds (siehe Glossar) zu Themen wie Landwirtschaft, Gesundheit oder Bildung. Den Großteil ihrer landwirtschaftlichen Klienten erreicht BROSDI mit Kurznachrichten auf Mobiltelefonen. Manche relevante Akteure im ländlichen Raum verfügen indessen auch über Internetzugang – und es gibt selbstverständlich auch Städter wie Händler und Konsumenten, die in der Agrarentwicklung eine Rolle spielen. BRODSI setzt darauf, dass sich die rasante Entwicklung der Telefondichte im urbanen Uganda auch im ländlichen Raum fortsetzt.
Kommerzielle Anbieter wie die Kenya Agricultural Commodity Exchange oder TradeNet in Ghana wollen regionale Marktinformationen professionell bereitstellen. TradeNet bietet online Daten von 500 Märkten in 13 afrikanischen Ländern an und versteht sich als Plattform für Geschäftsabschlüsse. Sämtliche Informationen, Angebote und Nachfragen können als Kurznachricht auf Mobiltelefone vermittelt werden. Die Daten, die im Netz stehen, liefern Mitarbeiter auf lokalen Märkten ihrerseits per Handy. Im Herbst 2007 berichtete TradeNet auf der „Web2forDev“-Konferenz in Rom bereits von 5000 registrierten Nutzern.
Viel versprechend sind vor allem Projekte, die auf örtlich verankerte Institutionen aufbauen. Bestehende Beratungsdienste kennen die örtliche Lebenswirklichkeit oft sehr gut, sie verfügen über lokale Informationen, die mehr Menschen nutzen könnten, als bislang darüber verfügen. DealIndia vernetzt zum Beispiel mit einer Online-Plattform fünf Agrarberatungszentren in benachbarten Distrikten. Technisch unterstützt wird es vom Indian Institute of Technology Kanpur. Die gemeinsame Website der Beratungszentren bietet Informationen über Wetter- und Bodenbedingungen, Pflege landwirtschaftlicher Erzeugnisse und lokale Marktpreise.
Audioblog auf Hindi
Eine viel versprechende Innovation von DealIndia ist der Audiodienst Kisan Blog. Landwirte stellen per Sprachnachricht Fragen, die Antworten von Fachleuten werden auf der Kisan-Website als Audiodateien veröffentlicht. Dass das ganze auf Hindi läuft ist wesentlich – denn das ist die Sprache derBauern. Noch im Laufe dieses Jahres soll dieser Dienst per Mobiltelefon nutzbar werden.
Indien hat seit Beginn dieses Jahrzehnts Erfahrungen mit dörflichen Telekiosken gesammelt. Eine Reihe von Misserfolgen – auch in anderen Ländern – hat gezeigt, dass es auf lokal relevante Inhalte ankommt (Siehe Niemann, 2007). Um diesen Ansatz voranzutreiben, soll eine private-public Partnership in Indien bis Jahresende 100 000 dörfliche Telekioske und etwa 4000 lokale Radiostationen einrichten. Örtlich relevante Inhalte liefern indessen am besten die Mitglieder der jeweiligen Zielgruppe selbst, indem sie die Themen wählen, ihr Wissen organisieren und diskutieren. Sie kennen die Prioritäten, und mittels des öffentlichen Austauschs können sie ihre Einsichten verbreiten.
Im Mittelpunkt solcher interaktiver Angebote für Agrarregionen stehen angemessene Inhalte für die jeweilige Zielgruppe. Wird die Entstehung lokaler Webangebote gefördert und damit dieses Wissen im Web gespeichert, so stärkt das die Sichtbarkeit und Erreichbarkeit der ländlichen Bevölkerung insgesamt.
Bisher sind derlei Projekte nur mit Anbindung an regionale urbane Zentren möglich. Dort gibt es die notwendige Technik, um Informationen von einem Medium in ein anderes zu übernehmen. Die Kommunikation mit den ländlichen Gebieten liegt auch im Interesse der Städte. Schließlich stehen sie als Konsumenten, Händler oder Dienstleister mit dem Land in Verbindung.
Wichtig für den Aufbau und Unterhalt von komplexen Informationsketten sind vor allem reale Ansprechpartner. Projekte wie BROSDI oder DealIndia haben vorbildliche lokale Angebote geschaffen und erreichen dank der Kombination verschiedener Medien mehr Nutzer. Dabei ist die Verwendung örtlicher Sprachen essentiell, es ermöglicht Verstehen und Vertrauen.
Keine Frage: Erfolgreiche ländliche Entwicklung hängt weiterhin vom Ausbau diverser Infrastrukturen ab. Zuverlässige Stromversorgung und Telefonfestnetze können die Nutzung der Web-0.2-Möglichkeiten in Dörfern erleichtern und verbilligen. Aber es ist nicht länger so, dass der digitale Graben abgelegene Gemeinschaften grundsätzlich aus dem Netz ausgrenzt. Mittels einer Verbindung zum Internet machen Mobiltelefone vielfältige Informationen verfügbar und können damit zur Entwicklung der ländlichen Räume beitragen.