Antisemitismus
Israel lieben, aber Juden hassen
Ein merkwürdiges Bild kursiert seit einigen Jahren in sozialen Medien. Es zeigt Shmuley Boteach, einen charismatischen, rechtsgerichteten, orthodoxen Rabbiner – und zwar lächelnd zusammen mit Steve Bannon, dem früheren Trump-Berater und bekennenden Antisemiten. Die Frage liegt nahe, weshalb sich ein Rabbi mit jemandem fotografieren lässt, von dem nicht nur bekannt ist, dass er seine Kinder nicht auf „eine Schule mit Juden“ schicken wollte, sondern auch, dass er der Chefredakteur von Breitbart News war. Diese Website ist für rassistischen Nationalismus und antisemitische Verschwörungstheorien bekannt.
Andererseits ließe sich auch fragen, ob dieses Bild eigenartiger ist als die starke Zuneigung der israelischen Regierung zu Donald Trump. Die meisten jüdischen Amerikaner, einschließlich meiner selbst, halten ihn für einen Antisemiten. Er sprach bekanntlich von „sehr feinen Leuten auf beiden Seiten“, nachdem weiße Nationalisten in Charlottesville im Staat Virginia 2017 bei einer Demonstration skandiert hatten: „Juden werden uns nicht verdrängen.“ Einer von ihnen hatte sogar eine Frau getötet, indem er ein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten hineinfuhr. Tatsächlich verwendet Trump immer wieder antisemitische Symbole, etwa wenn seine Wahlkampfwerbung politische Gegner neben einem Davidsstern und auf einem Geldhaufen darstellt oder wenn er prominente jüdische Banker und Finanzexperten mit der globalen Finanzkrise von 2008 in Verbindung bringt.
Trotzdem ist Trump in Israel der bislang beliebteste US-Präsident. Das passt zu der ähnlich irritierenden Bereitschaft der israelischen Regierung, Neonazis in der Ukraine zu bewaffnen oder den ungarischen Premierminister Viktor Orbán zu unterstützen, den antisemitischsten gewählten Spitzenpolitiker Europas.
Viele Menschen halten es für etwas gespenstisch Neues, dass Antisemiten Israel lieben (siehe Beitrag von Jonathan Brenneman in E+Z/D+C e-Paper 2019/10, Schwerpunkt). Tatsächlich ist aber die Vorstellung, dass Juden nach Palästina gehören, historisch nicht nur eine Idee jüdischer Nationalisten. Vielmehr gehörten christliche Politiker zu den Architekten des Zionismus, und oft lag ihnen daran, Juden fortzuschicken. Der britische Diplomat Lord Balfour stellte im kolonialen Mandatsgebiet Palästina eine jüdische Nation in Aussicht. Er war als Antisemit bekannt. Seiner Meinung nach hatten Juden keine echte Heimat in England, würden sich in Palästina aber als handzahme Partner erweisen, deren Staat das britische Empire nie herausfordern könnte. Für Balfour war nationale Identität eine biologisch bedingte Erfahrung, die christlichen Westeuropäern vorbehalten war.
Der britische Außenminister Ernest Bevin sah die Dinge ähnlich. Er fand, es sei besser, hunderttausende von Juden, die den Völkermord der Nazis überlebt hatten, in Palästina anzusiedeln, als sie ins Vereinigte Königreich oder die USA ziehen zu lassen. Dort hatten viele der Überlebenden Verwandte, sodass sie die beiden Länder als neue Heimat in Betracht zogen. Bevin nahm aber wohl zu Recht an, der Westen werde die Opfer von Krieg und Holocaust nicht willkommen heißen.
Die sozialistische Zeitschrift „Jewish Life“ berichtete in den Nachkriegsjahren, dass zionistische Aktivisten solche Haltungen nicht verurteilten, sondern sogar begrüßten. Auch sie wollten Juden nicht erlauben, sich in den USA oder Britannien anzusiedeln.
Doppelt widerlich
Trump hat kürzlich gesagt, amerikanische Juden seien Israel gegenüber nicht loyal, falls sie israelkritische Kongressabgeordnete wie Ilhan Omar und Rashida Tlaib unterstützten. Das war auf doppelte Weise widerlich. Erstens bestätigte er das unter weißen Nationalisten seit langem kursierende Klischee, dass amerikanische Juden keine wirklich loyalen US-Bürger sind. Zweitens unterstellte er, dass richtige Juden Israel über alles stellten, unabhängig von Parteien und Heimat.
Diese zionistische Position vertritt selbstverständlich auch Benjamin Netanjahu, seit vielen Jahren Israels Regierungschef. Die Diaspora – also die Länder, in denen Juden seit Jahrtausenden leben – ist für ihn ein Ort des Todes. Erst kürzlich sagte er in der Gedenkstätte Yad Vashem, die Juden hätten den Holocaust verdient, denn sie seien schwach gewesen und hätten sich nicht gewehrt. Aus dieser Sicht geschieht Juden, die sich nicht der Festung Israel anschließen, recht, was immer ihnen widerfahren mag. Bildungsminister Rafael Peretz sagte kürzlich, „angepassten“ Diaspora-Juden in den USA stehe ein „zweiter Holocaust“ bevor. Man fragt sich, ob er das wortwörtlich gemeint hat.
Dem Historiker Enzo Traverso zufolge ging es beim Zionismus ursprünglich darum, Juden den europäischen Nationalisten ähnlicher zu machen, damit sie sich „regenerieren“ könnten. Und wenn das bedeutete, dass sie zur Kolonialmacht werden würden, sei das willkommen gewesen.
Historisch gab es zwar auch zionistische Visionen, die nicht kolonialistisch ausgerichtet waren, aber Israel wurde von rechtsgerichteten Zionisten gegründet. Sie können sich jüdisches Leben nur in einer ethnisch abgegrenzten Nation vorstellen, in der sie sowohl die Mehrheit als auch die herrschende Elite stellen. Sie sind Ethno-Nationalisten. Deshalb sollte es niemanden überraschen, dass Netanjahu und seinesgleichen schlecht über die Juden reden, die nicht in Israel leben oder nicht finden, dass Rasse die Nation definiert. Inzwischen hat sich weißer Rassismus, der historische Feind aller Juden, mit dem einzigen jüdischen Staat verbündet.
Wir Juden gehören aber nicht zu einem einzigen Staat – weder politisch, noch als Bevölkerung. Wir brauchen auch keine Lord Balfours, die uns sagen, wo wir zu Hause sein sollen. Kritik an Israel ist nicht automatisch Kritik an Juden. Wer das gleichsetzt, verwischt den Unterschied zwischen Israel und den Juden, und das ist im Kern antisemitisch. Denn Juden gehören zu den Nationen und Orten, in denen sie leben – so, wie alle anderen Menschen auch.
Leider nimmt der Antisemitismus zu. Elemente der heutigen politischen Realität sind Donald Trump, Victor Orbán, aber auch Massaker in Synagogen. Wer Antisemitismus bekämpfen will, sollte sich gegen Rechtsextreme richten, aber nicht gegegen wohlbegründete Kritik an Israels Menschenrechtsverletzungen und Besatzungspolitik in Palästina.
Benjamin Balthaser ist Professor an der Anglistikfakultät der Indiana University in South Bend.
bbalthas@iu.edu