Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Armutsbekämpfung

Fehlschlag

Im Januar 2008 begann eine zivilgesellschaftliche Initiative, in dem namibischen Ort Otjivero an alle Einwohner ein bedingungs­loses Grundeinkommen auszuzahlen. Mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland sollte gezeigt werden, wie Armut und ausgeprägte Ungleichheit reduziert werden können. Da die Maßnahme nicht sorgfältig evaluiert wurde, war das Vorhaben aber kein echter Modellversuch. Mittlerweile sind mögliche Wirkungen verpufft.
Advocates for the guaranteed basic income say that it will result in higher levels of school attendance. Sean Sprague/Lineair Advocates for the guaranteed basic income say that it will result in higher levels of school attendance.

Im Jahr 2005 bildete sich in Namibia nach südafrikanischem Vorbild aus Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen eine „BIG ­Coalition“ – wobei BIG für Basic Income Grant, bedingungsloses Grundeinkommen, steht. Das Bündnis will die Regierung Namibias davon überzeugen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen im gesamten Land die Armut und die große Ungleichheit mindern könnte.

Ein BIG könne Menschen zu wirtschaftlicher Aktivität befähigen und motivieren, argumentieren die Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das BIG würde auch zu stärkerer Nutzung der so­zialen Infrastruktur führen, denn Schulen und Gesundheitszentren erheben in Namibia Gebühren. Die zur Finanzierung eines BIG nötigen Steuern würden die Wirtschaft nicht unzumutbar belasten, sagt das Bündnis, weil das BIG auch die Kaufkraft erhöhen und dadurch das Wachstum beschleunigen würde. Die Regierung lehnt den Vorschlag jedoch ab.

Um die Wirkungen ihres Konzepts zu testen, startete die BIG Coalition 2008 ein Modellprojekt in der Ortschaft Otjivero, 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhoek gelegen. Während der geplanten zweijährigen Projektphase, 2008 und 2009, wurden jedem der rund 1000 Bewohner – ausgenommen wurden die Empfänger einer staatlichen Rente – monatlich 100 Namibia-Dollar (etwa 10 Euro) ausgezahlt. Die Kosten übernahm die Vereinte Evangelische Mission (VEM) in Wuppertal zusammen mit zwei evangelischen Kirchen aus Nordrhein-Westfalen und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat indirekt zum Projekt beigetragen, weil es die FES und die beiden Kirchen fördert. Auf das Projekt selbst hatte es aber keinen Einfluss.

Die namibische Regierung stimmte dem Projekt zu, zumal sie nicht zur Finanzierung beitragen musste. Überzeugt war sie von dem Vorhaben aber nicht. Ein hoher Beamter warf den Projektträgern mehrfach vor, ihr Modell nicht aus einer Analyse der Mängel und Lücken des namibischen Systems der sozialen Sicherung abgeleitet zu haben.

Nach zwei Jahren wurde das Projekt fortgeführt, der ausgezahlte Betrag aber auf 80 Namibia-Dollar verringert. Die institutionelle Förderung lief schrittweise aus, und das Projekt hing zunehmend von privaten Spenden ab, die überwiegend aus Deutschland kamen. Im Laufe des Jahres 2012 wurden die Auszahlungen an die Dorfbevölkerung immer unregelmäßiger. Laut Projektleitung erfolgte die letzte Zahlung im November 2012.


Zweifelhafte ­Ergebnisse

Eine Bestandsaufnahme in Otjivero nach dem ersten Projektjahr kam zu sehr günstigen Ergebnissen. So sollen dank BIG Fälle von Hunger sowie von Untergewicht bei Kindern erheblich zurückgegangen sein. Den Angaben zufolge stiegen Schulbesuch und die Inanspruchnahme des örtlichen Gesundheitszentrums. Das BIG-Bündnis berichtete zudem, mehrere Einwohner Otjiveros hätten, durch die BIG-Zahlung ermutigt, Kleinbetriebe als Bäcker, Schneider oder Maurer gestartet.

Nach Berechnung der BIG-Promotoren stieg das Pro-Kopf-Einkommen in 2008 abzüglich der BIG-Zahlungen um 29 Prozent. Eine Haushaltsstichprobe habe eine private Sparquote von 38 Prozent ergeben. Aus diesen Ergebnissen wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass populäre Vorurteile gegen das Grundeinkommen zumindest in Namibia widerlegt seien. Das BIG habe die Bürger nicht „faul“ gemacht, sondern zu sozial erwünschtem Verhalten geführt und die Geldempfänger wirtschaftlich sogar aktiviert.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Behauptungen glaubwürdig sind. Ein Wirtschaftswachstum von 29 Prozent im Jahr – das zudem noch nachhaltig sein soll – wäre dreimal so hoch wie das in China. Laut Weltbank lag das Wirtschaftswachstum in Namibia von 2000 bis 2008 im Schnitt bei 4,4 Prozent. Bei armen Haushalten wie denen in Otjivero ist auch die enorm hohe Sparquote kaum glaubwürdig.

Erstaunlich sind auch die Angaben über den Rückgang von Hunger sowie über die Gewichtsveränderung bei Kindern innerhalb von nur sechs Monaten – zumal die Mehrausgaben für Nahrung nach Einführung des BIG nur 15 Namibia-Dollar pro Kopf und Monat betragen haben sollen.

Hätten sich diese positiven Entwicklungen tatsächlich so ergeben, wäre eine Dauerförderung, wie sie mit einem BIG beabsichtigt ist, nicht sinnvoll. Stattdessen könnte man dann mit dem Geld besser andere Dörfer wirtschaftlich und sozial dynamisieren.

Leider haben es die Projektleiter abgelehnt, ihre Daten allgemein zugänglich zu machen. Sie sagen, sie müssten die Privatsphäre der Dorfbewohner schützen. International übliche Praxis armutsorientierter Projekte ist aber, alle Daten in anonymisierter Form zu veröffentlichen. Zudem haben die Verantwortlichen keinen Vergleichsort ohne BIG ausgewählt und nach denselben Kriterien evaluiert. Solche Vergleichstests gehören aber ebenso zum internationalen Standard.

Die BIG-Promotoren haben es versäumt, mit Sozialwissenschaftlern der University of Namibia (UNAM) und empirischen Wirtschaftsforschern zu kooperieren. Von 2007 bis 2012 haben die Projektleiter keine einzige wissenschaftliche Konferenz zu ihrem Projekt veranstaltet. Die BIG-Projektleiter lehnten Ende 2008 sogar eine Einladung ab, ihr Projekt und die ersten Ergebnisse einer Gruppe von Ökonomen und Statistikern in Windhoek vorzustellen.

Wegen der methodischen Mängel gibt das Projekt keinen Aufschluss darüber, was BIG in Otjivero wirklich bewirkt hat. Die deutschen Geldgeber müssen sich fragen lassen, warum sie nicht für eine sachgemäße Projektsteuerung und Evaluierung gesorgt haben. Eine wirksame Steuerung des Projekts ist wohl letztlich vor allem deswegen nicht zustande gekommen, weil keine der Institutionen, die dafür in Frage gekommen wären, die Projektverantwortung übernommen hat.

Kürzlich hat die VEM mitgeteilt, es werde erwogen, das BIG-Projekt in Namibia noch einmal neu anzupacken und dabei die begangenen methodischen Fehler zu vermeiden. Diesmal sollen zwei Ortschaften erfasst werden, um Vergleiche mit und ohne BIG zu ermöglichen. Außerdem sollen diesmal Wissenschaftler von UNAM an dem Projekt beteiligt werden.

Solche und andere Änderungen bei einem eventuellen neuen Projekt sind wichtig und notwendig, um zu vermeiden, dass erneut ein jahrelanger Projektaufwand betrieben wird, der aber aufgrund fachlicher Mängel keine Chance hat, bei der Regierung ein Umdenken zu bewirken.

Auch die journalistische Berichterstattung über Otjivero ist wenig ermutigend. Im Mai 2012 schrieb die deutschsprachige Allgemeine Zeitung aus Windhoek, trotz der Einkommensstütze sei „in Otjivero keinerlei Entwicklung zu sehen“. Aber es sind viele Hoffnungen geweckt und dann enttäuscht worden. Statt erneut ein – wenn auch fachlich besser fundiertes – BIG-Experiment zu veranstalten, sollte man nun konkret die Einkommens- und Beschäftigungslage im Ort verbessern – mit einem ganz konventionellen Projekt der Entwicklungszusammenarbeit. Projektideen haben die Dörfler viele.

Einer der deutschen Projektleiter hat über das BIG-Projekt mal gesagt: „Es geht dabei nicht um eine akademische Übung – sondern um den Menschen.“ Der letztere Anspruch muss aber erst noch eingelöst werden.


Rigmar Osterkamp hat im Auftrag des Centrums für Internationale Migration von 2007 bis 2011 als integrierter Experte in Namibia gearbeitet, zunächst am Wirtschaftsforschungs­institut NEPRU (Namibia Economic Policy Research Unit), dann an der University of Namibia (UNAM). In dieser Zeit hat er das BIG-Projekt mit kritischen Analysen begleitet.
rigmar.osterkamp@gmx.de
 

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Der Aufsatz von Rigmar Osterkamp ist in Namibia auf Widerspruch gestoßen. Claudia Haarmann, Dirk Haarmann und Herbert Jauch haben sich mit der untenstehenden Richtigstellung bei der Redaktikon gemeldet.   

Als ehemalige Projektleiter des Basic Income Grant Pilotprojektes in Namibia und Autoren der  Forschungsberichte möchten wir die folgende Behauptungen von Herrn Osterkamp in seinem Beitrag richtig stellen:

Herr Osterkamp behauptet, das Projekt habe nicht mit empirischen Wirtschaftsforschern kooperiert. Diese Aussage ist unzutreffend. Das namibische Forschungsteam wurde von drei international anerkannten Professoren begleitet. Alle drei sind Professoren der Wirtschaftswissenschaft mit langjähriger Erfahrung in der empirischen Forschung und Publikationen in unterschiedlichen Fachbereichen. Es sind dies Professor Nicoli Nattrass, Professor Mike Samson und Professor Guy Standing, tätig an Universitäten in Südafrika (Kapstadt), Amerika (Yale & Williamstown), und England (Bath).

Gleichermaßen entsprechen Herrn Osterkamps Behauptungen zur Finanzierung des BIG-Pilotprojektes nicht der Realität. Das BIG-Pilotprojekt wurde aus vielen unterschiedlichen privaten und öffentlichen Quellen finanziert. Die Finanzierung kam aus verschiedenen Ländern und nicht nur aus Deutschland. Die Friedrich-Ebert-Stiftung war an der Ausbezahlung des BIGs in Otjivero finanziell nicht beteiligt. Die Evangelische Kirche im Rheinland hat hauptsächlich eine Kollektensammlung zur Finanzierung des BIGs gespendet. Zu behaupten, Otjivero sei hierdurch 'indirekt' vom BMZ mitgetragen worden, ist eine Verdrehung der Tatsachen.

Ferner verweist Herr Osterkamp auf seine eigene Publikation aus dem Jahre 2008 aus dem NEPRU Quarterly Review. Kurz nach deren Erscheinen hat die BIG-Koalition das Forschungsinstitut NEPRU auf grundlegende methodische Fehler in der Analyse von Herrn Osterkamp hingewiesen. Fälschlicherweise hatte Herr Osterkamp Mittelwerte für seine Armutsanalyse benutzt und war deshalb zu dem völlig unzutreffenden Schluss gekommen, dass „es zwar arme Haushalte in Namibia [gegeben habe], aber nicht in Omitara“. NEPRU hat diesen gravierenden Fehler in einer nachfolgenden Presseerklärung (NEPRU 5.12.2008) eingestanden und den Review zurückgezogen.

 

 

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