Kinderarbeit

Kindheit im Steinbruch

Im globalen Süden arbeiten noch immer Kinder unter lebensgefährlichen Bedingungen – unter anderem für Grabsteine auf west­lichen Friedhöfen, wie ein Buch zeigt.
Kinder schuften für den Export: Mädchen im  indischen Rajasthan. Doreen Fiedler/picture-alliance/dpa Kinder schuften für den Export: Mädchen im indischen Rajasthan.

Weltweit sind mehr als 150 Millionen Kinder zwischen fünf und 17 Jahren gezwungen zu arbeiten. Zu den besonders geächteten Formen von Kinderarbeit zählen die UN die gefährliche Arbeit in Steinbrüchen. Der Politikwissenschaftler Walter Eberlei hat ein lesenswertes Buch herausgegeben, das diese Missstände thematisiert.

Reiche Länder profitieren demnach davon, dass Kinder anderswo illegal und für einen Hungerlohn in Steinbrüchen schuften. Allein Deutschland führte laut der Studie 2016 fast 20 000 Tonnen Naturstein aus China, Indien und Vietnam ein, unter anderem für Pflastersteine und Grabsteine, aber auch für Küchenplatten und Gartengestaltung. Etwa ein Drittel aller Grabsteine in Deutschland stammt Schätzungen zufolge aus Indien – einem Land, in dem Kinder circa 8 bis 10 Prozent der Arbeiterschaft im Stein- und Minensektor ausmachen. Etwa eine Million Kinder könnten betroffen sein.

Die Minderjährigen arbeiten teils schon ab ihrem fünften Lebensjahr. Sie helfen bei Sprengungen, schleppen schwere Lasten oder schneiden und polieren Gestein. Dabei gebrauchen sie gefähr­liche Werkzeuge und Chemikalien. Neben Hautabschürfungen, Knochenbrüchen und Missbildungen drohen ihnen Unfälle, die Tod oder Behinderung nach sich ziehen sowie Lungenkrankheiten wie Asthma oder Silikose.

In der Regel besuchen diese Kinder keine Schule oder haben sie früh abgebrochen. Sie haben kaum Chancen, der lebenslangen Armut zu entkommen. Obwohl sie wenig verdienen, reicht das Einkommen ihrer Familie ohne ihren Beitrag oft nicht aus, denn ihre Eltern sind unterbezahlt und nicht sozial abgesichert. Das führt in Kreditfallen. Da Kinder die Schulden ihrer Eltern erben, können ganze Familien über Generationen hinweg durch Schuldknechtschaft versklavt sein.

Auch das in Indien nach wie vor stark präsente Kastensystem spielt laut der Studie eine wichtige Rolle. Die Vaddera, die Steinmetz-Kaste, gehöre zu den niedrigeren Kasten in der Hierarchie. Die Angehörigen dieser Kaste sähen in der Regel keinen Wert in der Beschulung ihrer Kinder. Ein beruf­licher Aufstieg sei kaum möglich.

Das Buch wirft auch ein Licht auf China, den weltweit größten Natursteinproduzenten und führenden Exporteur für Halbfertig- und Endprodukte in die USA und nach Europa. Auch wenn die Datenlage intransparent sei, ließe die günstige Preisgestaltung in China auf prekäre Arbeitsverhältnisse und Kinderarbeit schließen, so der Bericht. Obwohl Kinderarbeit in China eher ein Tabuthema sei, werde etwa schwere Arbeit von straffälligen Jugendlichen – auch in Steinbrüchen – als angemessene Behandlung betrachtet. Zudem würden Schulen ihre Schüler teils für schwere Arbeiten vermitteln, um die eigene finanzielle Situation aufzubessern.

Das Fazit des Buches ist ernüchternd: Während beispielsweise Brasilien durchaus Fortschritte im Kampf gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit habe erzielen können, blieben Länder wie Indien, China und auch Vietnam weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Und das, obwohl dort eigentlich Gesetze zum Schutz von Kindern gelten. Als Gründe für diese Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit nennt das Buch unter anderem:

  • mangelnden politischen Willen,
  • weit verbreitete Korruption,
  • wenig konsequente Strafverfolgung,
  • staatliche Kontrolle von investiga­tivem Journalismus.

Die schlimmsten Formen von Kinderarbeit zu verbieten und zu beseitigen gehört zu den wichtigsten Zielen der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs). Hier gibt es noch viel zu tun. In erster Linie müssten die Länder selbst handeln, indem sie geltendes Recht konsequent anwenden, erwachsenen Arbeitnehmern faire Löhne zahlen und wirksame Sozialsysteme etablieren. Aber auch Importländer wie Deutschland könnten ihren Teil beitragen, etwa mit strengen Vergaberichtlinien im öffentlichen Beschaffungswesen oder durch transparente Zertifizierung.


Buch
Eberlei, W. (Hrsg.), 2018: Grabsteine aus Kinderhand. Kinderarbeit in Steinbrüchen des globalen Südens als politische Herausforderung. Frankfurt, Brandes & Apsel.


Dagmar Wolf ist Redaktionsassistentin bei E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit /D+C Development and Cooperation.
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