Kommentar
UN-Reform: Weniger Vision, mehr Diplomatie
[ Von Johannes Varwick ]
Kofi Annan hat ein ambivalentes Erbe hinterlassen. Die Stichworte, die aus seiner zehnjährigen Amtszeit in Erinnerung bleiben dürften, sind höchst unterschiedlich: Millenniumsentwicklungsziele, Irak-Krieg, „Responsibility to Protect“ und vertagte UN-Reform. Obgleich die Erfolgsbilanz Annans bei Lichte betrachtet eher bescheiden ist, muss sein Nachfolger sich an ihm und insbesondere an seinem Image als sympathischer „Sisyphos am East River“ messen lassen.
Dem Weltenlotsen Annan folgt mit Ban Ki Moon ein pragmatischer Diplomatie-Profi, der die UN – anders als das UN-Eigengewächs Annan – nicht von innen, sondern als südkoreanischer Außenminister von außen kennt. All dies muss für die Weltorganisation kein Nachteil sein. Annan war umtriebig und oftmals überambitioniert. Sein Nachfolger Ban Ki Moon dagegen, darauf deutet alles in der noch jungen Amtszeit des Koreaners hin, setzt mehr auf Konsolidierung, Koordinierung und Verwirklichung der im Konsens der Mitgliedstaaten beschlossenen Ziele. „Weniger reden – mehr leisten“ könnte zum Motto seiner Amtszeit werden.
Annan hat in bester Absicht und auf hohem intellektuellem Niveau die UN-Mitglieder in vielen Fragen vor sich hergetrieben. Dies gilt insbesondere für die Frage der UN-Reform, die weiter mit hoher Priorität auf der UN-Agenda steht. Die Strategie Annans, zum 60. Geburtstag der UN einen großen Wurf beim Thema Reform zu erzwingen, ist ganz offenkundig gescheitert. Denn weder wurde der Sicherheitsrat umgebaut noch eine glaubwürdige Alternative zur diskreditierten Menschenrechtskommission geschaffen. Und die neue UN-Kommission zur Friedenssicherung muss ihre Wirksamkeit erst noch beweisen.
Bans Ansatz könnte nun auf eine „Washingtonisierung“ der UN-Reformagenda hinauslaufen, zumindest inhaltlich. Denn die zu Beginn seiner Amtszeit skizzierten strategischen Änderungen könnten allesamt aus Papieren des US-Außenministeriums stammen: interne Reformen im Generalsekretariat, Erhöhung von Transparenz, Verantwortlichkeit und Effizienz, bessere Finanzkontrollen, Abbau von Doppelstrukturen und von Missbrauch von Geldern in den einzelnen UN-Programmen, Sonderorganisationen und Spezialorganen. Im Januar hatten US-Medien berichtet, das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) habe der Regierung von Nordkorea jahrelang Geld überwiesen, ohne die Verwendung zu überwachen. Ban reagierte umgehend und kündigte an, die Arbeit aller UN-Organisationen durch externe Kontrolleure überprüfen zu lassen. Das alles bedeutet nicht, die Entwicklungsländer zu schwächen. Im Gegenteil: Es müsste auch im Interesse der Gruppe der 77 liegen, die Arbeit der UN effektiver zu machen.
Andererseits muss Ban alles versuchen, die Staaten mitzunehmen. Die UN müssen ein Forum bleiben, das unterschiedlichen Sichtweisen Raum gibt. Dazu gehört auch Rücksichtnahme auf die Interessen von Staatengruppen, die sich nicht so wirksam Gehör verschaffen können wie die Industrieländer. Ban sollte also nicht versuchen, Reformen unter Umgehung der etablierten UN-Entscheidungswege durchzusetzen. Genau das hatten ihm die Entwicklungsländer im Januar mit Blick auf den geplanten Umbau der Abteilungen für Friedenssicherung und für Abrüstung vorgeworfen. Auch hier reagierte der neue Generalsekretär sofort und versicherte Vertretern der Gruppe der 77, jedes UN-Mitglied, egal wie klein oder arm, habe das Recht, seine Interessen zu artikulieren und gehört zu werden.
Ban Ki Moon sollte auf alle hochfliegenden Reforminitiativen verzichten und pragmatisch in jenen Bereichen Verbesserungen anstreben, über die Einigkeit erzielt werden kann. Dieser konsensuale Bereich ist bei 192 Mitgliedstaaten mit überaus heterogenen Interessen und Präferenzen naturgemäß klein. Es scheint, als sähe Ban das realistischer als Annan.