Friedenskonsolidierung

Kassava-Mühle statt Kalaschnikow

In der Provinz West Nile im äußersten Nordwesten Ugandas kämpften Rebellen mehr als zwanzig Jahre lang gegen die Regierung. Seit Dezember 2002 herrscht Frieden und die Menschen hoffen auf etwas mehr Wohlstand. Doch nicht alle Ex-Kämpfer finden sich als Zivilisten zurecht. Und die Regierung investiert zu wenig in die Infrastruktur der Region, die auch durch die Krisen der Nachbarländer Sudan und Kongo destabilisiert wird.


[ Von Tillmann Elliesen ]

Die meiste Zeit seines Lebens hat Acikule Noeh eine Waffe getragen. In den siebziger Jahren war er Soldat in der Armee von Idi Amin. Als der ugandische Diktator 1979 gestürzt wurde, zog er mit 15 000 Gleichgesinnten in den Busch. Vor fünf Jahren legte er seine Waffe nieder. Heute ist Noeh Präsident einer Spar- und Kreditgenossenschaft, die den ehemaligen Kämpfern bei der Rückkehr ins zivile Leben hilft.

Eine zerschossene Hausruine am Ortseingang von Yumbe zeugt noch vom Krieg. Die von kleinen Läden gesäumte rotbraune Staubpiste quer durch die 15 000-Einwohner-Gemeinde erinnert an ein trostloses Wildwest-Städtchen. Es gibt keinen Strom, kein fließend Wasser, und die letzte Asphaltstraße endet 60 Kilometer weiter südlich. Im Norden liegt der Sudan, im Westen der Kongo, und im Osten drängt der Nil die nach ihm benannte Provinz buchstäblich an den Rand.

Das Gebiet um Yumbe zählt zu den ärmsten in Uganda. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt umgerechnet keine hundert Euro. Der Zigarettenhersteller BAT lässt in der Gegend Tabak anbauen, aber viel springt dabei für die Bauern nicht heraus. Nach dem Ende der Rebellion hofften die Menschen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung – bislang vergeblich.

In der Region sind die Folgen der Bürgerkriege im Sudan und in Uganda deutlich zu spüren. Ex-Diktator Idi Amin und seine Schergen waren hier einst zu Hause. Nach seinem Sturz rächten die neuen Machthaber seine Bluttaten an der Bevölkerung seiner Heimatprovinz. Viele flohen vor der Gewalt in den Sudan. Frühere Amin-Soldaten wie Acikule Noeh schlossen sich zur Uganda National Rescue Front (UNRF) zusammen und kämpften gegen die neue Regierung. Dann kam der heute noch amtierende Präsident Yoweri Museveni an die Macht. 1986 eroberte er Kampala. Die Menschen schöpften Hoffnung und trauten sich in ihre Heimat zurück.

Die West-Nile-Rebellen kämpften trotzdem weiter. „Museveni ließ unseren Anführer verhaften“, erzählt Noeh. „Wir fühlten uns hintergangen und gründeten eine neue Organisation.“ Die UNRF II verstand sich nicht mehr nur als Bewegung geschasster Amin-Soldaten. Jetzt wollten die Rebellen auch die Aufmerksamkeit Kampalas auf ihre vernachlässigte Heimat lenken. Erst nach weiteren 16 Jahren Krieg einigten sich die Konfliktparteien. Die UNRF-Kämpfer waren ausgelaugt und stimmten einem Friedensvertrag mit der Regierung zu.

Vom Rebellen zum Bauern

Samir Bange Zubeir steht in einer Wolke aus feinem weißen Staub und stopft kleine Brocken Kassavawurzel in einen Metalltrichter. Der Dieselmotor der Mühle rattert ohrenbetäubend laut. Sie gehört der Drajini-Bauernkooperative, die ein paar Kilometer außerhalb von Yumbe auf zehn Hektar Land Erdnüsse, Reis, etwas Gemüse und vor allem Kassava anbaut. Das Mehl verkaufen die Bauern auf dem Markt. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die in West Nile ein Projekt zur Ernährungssicherung und Konfliktprävention durchführt, unterstützt die Kooperative.

Zubair schaltet die Mühle aus und nimmt den Atemschutz vom Gesicht. 1997 habe er sich der UNRF II angeschlossen, sagt der schüchterne Mann leise. Da war er 20 Jahre alt. Mit dem Startgeld, das die Regierung den Ex-Rebellen nach dem Krieg für den Wiedereinstieg ins zivile Leben zahlte, kaufte er sich zwei Kühe. Heute hat er sechs. „Mit meiner Vergangenheit als Rebell will ich nichts mehr zu tun haben“, sagt er und blickt zu Boden. Am Anfang hatten einige Mitglieder Bedenken, frühere Rebellen aufzunehmen. Aber die Dorfältesten appellierten an die Gemeinschaften, auf die Männer zuzugehen.

Denn obwohl die West-Nile-Rebellion bis zum Schluss Rückhalt in der Bevölkerung hatte, gab es auch viel Verbitterung. Je aussichtsloser der Kampf wurde, desto stärker litten schließlich auch die Bewohner der Region. „Die Rebellen kamen aus ihren Rückzugsgebieten im Sudan genau durch unser Dorf“, sagt Ahmed Fala und weist zu den grünen Hügeln, hinter denen die sudanesische Grenze liegt. Falas Heimat, die Gemeinde Midigo, besteht aus einem kleinen Ortskern und einigen im Busch verteilten Siedlungen von jeweils vier oder fünf Lehmhütten. „Ich habe aus Angst vor den Rebellen zwei Jahre lang nicht im Haus geschlafen, sondern jede Nacht irgendwo anders im Busch“, sagte der kräftige Mann mit einer Stimme, die viel unterdrückte Wut enthält. „Männer wurden getötet, verstümmelt und entführt. Unser Vieh wurde gestohlen. Unsere Kinder konnten nicht zur Schule gehen. Nach dem Krieg haben die Kämpfer eine Entschädigung bekommen. Und wir, die Opfer? Die Regierung will, dass wir den Rebellen vergeben. Aber das kann ich nicht. Ich akzeptiere sie heute, aber ich verzeihe ihnen nicht.“


Schwierige Reintegration

Auch mancher Ex-Kämpfer tut sich schwer, ins zivile Leben zurückzufinden. Viele haben nie etwas anderes gelernt, als zu schießen. Nicht alle haben so selbstverständlich das Gewehr gegen einen Pflug getauscht wie Samir Bange Zubair von der Drajini-Kooperative. Von den 84 Ex-Rebellen, die sich nach dem Krieg der Bauernkooperative anschlossen, sind nur vier geblieben.

Insgesamt hat die Regierung in Kampala 4,2 Milliarden ugandische Schilling (1,7 Millionen Euro) Starthilfe an die knapp 3000 UNRF-II-Kämpfer gezahlt. Agotri Zubeira schätzt, dass lediglich 20 bis 30 Prozent dieser Summe „sinnvoll investiert“ wurden. Das meiste sei einfach ausgegeben worden. „Durch die Jahre im Exil hat sich bei den Rebellen ein Abhängigkeitssyndrom entwickelt. Die Leute müssen erst wieder aktiv werden“, sagt der Geschäftsführer der von Ex-Rebellen geführten Bidibidi-Spar- und Kreditgenossenschaft. Dabei habe West Nile durchaus wirtschaftliches Potenzial. „Durch Yumbe fahren täglich Lastwagen, voll beladen mit Gütern für den Südsudan. Sogar Kassava ist dabei. Warum liefern wir eigentlich nichts?“

Tatsächlich hat der Anfang 2005 geschlossene Frieden in Südsudan einen neuen Markt geschaffen, auf dem sich viel Geld verdienen lässt. In der südsudanesischen Hauptstadt Juba wird alles gebraucht und es gibt fast nichts – ein Eldorado für Händler aus den Nachbarländern Uganda, Kenia und Äthiopien. Meterhoch beladen quälen sich altersschwache LKWs über die hügeligen Lehmpisten in West Nile. Die Vereinten Nationen appellierten im September 2007 an die Verantwortlichen in West Nile, die Landwirtschaft zu fördern. Sie würden gern bei den Bauern der Region einkaufen, um die Menschen im Südsudan mit Lebensmitteln zu versorgen.

Nach Jahrzehnten Krieg und Konflikt hat die Provinz im Nordwesten Ugandas erstmals Aussicht auf länger anhaltende Stabilität und auf ein wenig mehr Wohlstand. Voraussetzung ist, dass der fragile Frieden in Südsudan hält und die ugandische Regierung in der Gegend die Infrastruktur ausbaut und in wirtschaftliche Entwicklung investiert – so wie sie es im Abkommen mit den UNRF-Rebellen zugesagt hat.

Das ist bisher allerdings kaum geschehen, und die Frustration darüber wächst. Im Herbst vergangenen Jahres gab es Gerüchte über neue Rebellenaktivitäten in Yumbe. Es gibt nach wie vor viele Waffen in der Region. Ein Aufkaufprogramm wurde eingestellt, nachdem Händler Gewehre aus dem Sudan und Kongo schmuggelten und gewinnbringend an die Regierung verkauften. Aber dass es wieder zu Kämpfen kommt, hält kaum jemand für möglich. Die Menschen haben genug vom Krieg. „Es gibt ein paar Unzufriedene, die Ärger machen wollen. Aber das wir lassen nicht zu“, sagt Rebellenveteran Acikule Noeh.