Megacity

Neue Inseln für die Reichen

Obwohl der Meeresspiegel steigt, dehnt sich Lagos in den Atlantischen Ozean aus. Das stetige Wachstum der nigerianischen Millionenmetropole hat zur Folge, dass Bauland immer kostbarer wird. Besonders begehrt sind seit einigen Jahren Grundstücke am Meer. Um Platz für schicke Häuser zu schaffen, werden die armen Anwohner verdrängt, und dem Ozean und der Lagune wird Land abgetrotzt.
In Otodo Gbame wurden viele Behausungen armer Menschen zerstört. Alamba/picture-alliance/AP Photo In Otodo Gbame wurden viele Behausungen armer Menschen zerstört.

Früher wurde das Land an Flussufern und Küsten in vielen Staaten den Armen überlassen. Es bestand die Gefahr von Überschwemmungen, gleichzeitig war die Lage am Wasser aber auch günstig für alle Arten von Geschäften. Doch das hat sich geändert: Küstengrundstücke haben sich zu begehrten Wohngebieten entwickelt. Es ist dort weniger geschäftig als früher, der Verkehr auf dem Wasser ist zurückgegangen. Und Bauland ist ein knappes Gut.

In Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos ist das Interesse an Küstengrundstücken seit der Jahrtausendwende drastisch gestiegen, es sind zahlreiche Wohnhäuser und Strandanlagen entstanden. Die schönsten Strände gehören den Superreichen, die auf eingezäunten Anwesen leben. Einige Privatstrände nehmen Eintrittsgelder, deren Höhe sich nach dem Publikum und der Qualität des Strandes richtet.

In Lagos wurden schon immer arme Menschen vertrieben, damit sich Mächtigere ihr Land aneignen konnten. In den vergangenen Jahren traf es vor allem die Bewohner der Küste und Lagune. Sie wurden vertrieben, um Platz für Bauprojekte zu schaffen. Ihre Häuser wurden abgerissen, und ihre Menschenrechte wurden verletzt.

Am 9. Oktober 2016 wies der Gouverneur von Lagos, Akinwunmi Ambode, einige Küstengemeinschaften an, binnen einer Woche ihre Häuser zu verlassen. Zur Begründung hieß es, nach mehreren Entführungen solle die Sicherheit verbessert werden. Doch der wahre Grund für die Vertreibung dürfte das Interesse an den Grundstücken gewesen sein. Der Oberste Gerichtshof der Region stoppte die Anordnung des Gouverneurs per einstweiliger Verfügung.

Dennoch verloren in Otodo Gbame einige Wochen später rund 30 000 Menschen ihr Zuhause: Ihre Häuser wurden angezündet, und nach einigen Wirren und gewaltsamen Zusammenstößen rissen Polizei und Arbeiter die informelle Siedlung ab. Die Sicherheitskräfte sprachen von ethnisch motivierten Unruhen, legten dafür aber keine überzeugenden Beweise vor. Amnesty International und UN-Experten forderten die Behörden zur Untersuchung der Vorfälle auf. Menschenrechtsaktivisten verweisen auf das Recht auf sicheren Wohnraum. Vor kurzem gab es einen erneuten Angriff auf Otodo Gbame, bei dem 4700 Menschen obdachlos wurden.

Die Erfahrung zeigt, dass Vertreibung keine Lösung ist. Den betroffenen Menschen bleibt nichts anderes übrig, als irgendwo anders erneut Land zu besetzen. Es wäre sinnvoller, mit den Bewohnern zu kooperieren, um Wohnraum zu schaffen. Das muss nicht an derselben Stelle sein, es kann auch an anderen Orten der Stadt sein.


Große Ambitionen

Eine langfristige Strategie muss die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigen. Aber einige ehrgeizige Bauprojekte, die derzeit laufen, kommen ausschließlich den bessergestellten Bürgern zugute. Das hat in Lagos inzwischen Tradition: Zu den ersten großen Immobilienprojekten für eine reiche Klientel gehörten das 1990 errichtete Viertel Dolphin Estate und das 1999 fertiggestellte Projekt Banana Island.

Victoria Island wird derzeit in den Atlantik ausgedehnt, dort entsteht ein neues Wohnviertel namens Eko Atlantic City. Wegen der Landgewinnung ist Victoria Island inzwischen keine Insel mehr, sondern verbunden mit Lekki, der langen Halbinsel zwischen Lagune und Ozean.

Das Projekt Eko Atlantic City ist umstritten. Die Behörden wollen dort bis Ende dieses Jahres die erste ökologische, smarte Stadt Afrikas errichten. Die Regierung des Bundesstaates Lagos verspricht neuen Wohnraum und eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die wachsende Bevölkerung, außerdem soll das vorgelagerte Land die Metropole vor Sturmfluten schützen. Kritische Journalisten schrieben jedoch, Eko Atlantic City sei der Beginn einer „Klima-Apartheid“, in der nur Wohlhabende ein gesundes Lebensumfeld haben – eine „utopische Stadt für Eliten“.

Ironischerweise wurde vor Beginn der Bauarbeiten keine Umweltstudie vorgelegt. Experten zufolge haben sich an anderen Küstenabschnitten durch Baggerarbeiten und Landaufschüttung Bodenerosion und Überschwemmungen verstärkt. Außerdem haben Veränderungen der Küstenlinie Auswirkungen auf das dortige Ökosystem.

In der Lagune entstehen derzeit drei neue Inseln. Die Behörden kündigten die Projekte im vergangenen Jahr an, die Arbeiten kommen offenbar gut voran. In der Lagune ist das Wasser ruhiger.

Für jedes neue Projekt wurden die Behausungen armer Anwohner zerstört. Die Regierung des Bundesstaates behauptet, es gehe um die Verbesserung der Lebensqualität aller Bürger von Lagos. Allerdings sind all die neuen Immobilien nur für höchstens ein Fünftel der Bevölkerung bezahlbar. Umweltaspekte spielen auf den Websites der Immobilienunternehmer überhaupt keine Rolle.

Stadtplaner sollten aber den Klimawandel berücksichtigen. Das Ballungsgebiet Lagos beginnt gerade erst, sich damit auseinanderzusetzen. Die Küstengebiete sind von Überschwemmung, Erosion und Sturmfluten bedroht. Bislang waren Buhnen – Mauern, die rechtwinklig ins Meer hineinragen – die bevorzugte Lösung zum Schutz vor dem Atlantik. Sie brechen die Wellen und stoppen so die Abtragung des Bodens. Im vergangenen Jahr wurden 36 Milliarden nigerianische Naira (110 Millionen Euro) veranschlagt, um 18 Buhnen entlang eines siebeneinhalb Kilometer langen Küstenabschnitts auf Lekki zu errichten.

Die Ausdehnung von Lagos ins Meer und die Lagune erfolgt zu einer Zeit, da der Meeresspiegel ansteigt. So bleibt abzuwarten, ob sich das gewonnene Land auf lange Sicht als bewohnbar erweist.

Olamide Udoma-Ejorh ist Stadtaktivistin und Leiterin der NGO Lagos Urban Network.
olamide@lagosurbannetwork.com

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.