Kommentar
Hoher Grad politischer Exklusion
[ Von Andreas Brunold ]
Seit der Unabhängigkeit von Spanien im Jahr 1821 wurden in Honduras über 100 Staatsstreiche verübt: im Schnitt mindestens alle zwei Jahre einer. Am 28. Juni 2009 wurde abermals eine gewählte Regierung gestürzt.
An diesem Tag wollte Präsident Manuel Zelaya – unter Missachtung einer Gerichtsentscheidung – eine unverbindliche Volksbefragung durchführen. Indirekt ging es darum, ob seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit bei den Wahlen im November möglich gemacht werden könnte, obwohl eine solche laut Verfassung ausgeschlossen ist. Diese Option lehnen die Eli-ten in Honduras allerdings strikt ab, denn Zelaya hat sich im Laufe seiner Amtszeit überraschend auf die Seite der lateinamerikanischen Linken geschlagen.
Honduras ist ein tief gespaltenes Land. Rund ein Drittel der Bevölkerung lebt von weniger als zwei Dollar pro Tag. Elf Prozent der Kinder gelten als unterernährt, und knapp jeder fünfte Erwachsene gilt als Analphabet. Von 7,8 Millionen Honduranern leben mehr als die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze, rund eine Million haben das Land verlassen.
Die Kluft zwischen einer kleinen Oligarchie und den verarmten Massen hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen. Zugleich wuchs auch die Abhängigkeit von Finanzflüssen aus den USA, die allerdings recht unterschiedliche Ursachen haben – Heimatüberweisungen von Arbeitsmigranten („Remesas“) zählen ebenso dazu wie Renditen von Finanzspekulationen und die Umsätze von exportorientierten Industriebetrieben. Zwei Dutzend Familien kontrollieren etwa 60 Prozent der Kapitalflüsse. Die Namen der Präsidenten der letzen Jahrzehnte lesen sich wie ein „Who is who“ dieser Sippen.
Den Zorn der Elite zog sich Zelaya spätestens zu, als er den gesetzlichen Mindestlohn von monatlich 3500 auf 5500 Lempiras (umgerechnet etwa 206 Euro) erhöhte. Damit stellte er sich auch gegen seine eigene Partei, die Partido Liberal, und destabilisierte das fein austarierte Verhältnis der beiden großen Parteien, die sich seit 1982 an der Macht abgewechselt haben.
Wichtiger ist allerdings, dass das politische System ohnehin an Glaubwürdigkeit verloren hatte. Trotz regelmäßiger freier Wahlen ist der Grad der politischen Exklusion in Honduras seit den 80er Jahren gewachsen. Das äußert sich unter anderem in der wachsenden Wahlabsti-nenz. 1985 betrug sie 16 Prozent, 2005 dagegen 49,6 Prozent.
Der jüngste Staatsstreich wurde international geächtet, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat ihr zentralamerikanisches Mitglied ausgeschlossen. Die Geberländer sollten sich daran orientieren und darauf drängen, dass Honduras zu echter demokratischer Normalität findet.
Die hohe und andauernde Streikbereitschaft von Lehrerverbänden im Zuge der Proteste gegen den Staatsstreich zeigt, dass die desolate Bildungspolitik zu den Ursachen der Staatskrise gehört. Bisher absolvieren 70 Prozent der Honduraner keinen Schulabschluss, die Lehrkräfte sind unterbezahlt und oft zumeist nicht gut ausgebildet. Offiziell herrscht in Honduras ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Bedeutung von Bildung für die nachhaltige Entwicklung des Landes. Dennoch bestehen auf diesem Sektor erheblich Defizite.
Derartiges Versagen geht die Geberregierungen unmittelbar an. Honduras ist eines von fünf lateinamerikanischen Schwerpunktländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und sogar der zweitgrößte Empfänger von EU-Hilfe in Lateinamerika. Im April 2005 wurde Honduras in die Entschuldungsinitiative für hochverschuldete arme Entwicklungsländer (HIPC) aufgenommen. Bedingung dafür ist bekanntlich die Formulierung und Implementierung eines stimmigen „Poverty Reduction Strategy Paper“ (PRSP).
Armutsbekämpfung erfordert in Honduras, wie in vielen anderen Ländern auch, gute Regierungsführung einschließlich Korruptionsbekämpfung. Eine nachhaltig bessere Bildungspolitik ist dafür unabdingbar. Die Geber haben im HIPC-Kontext mit Honduras eine rechtsstaatliche Politik vereinbart, aber Putschisten können diese nicht glaubwürdig implementieren.