Glauben

„Schwarzweiß-Malerei ist sehr gefährlich“

Südlich der Sahara sind viele christliche und muslimische Missionare aktiv. Oft legen deren Organisationen den Glauben sehr dogmatisch aus. Allerdings ist die Vielfalt auch innerhalb der großen monotheistischen Religionen groß, weshalb der Islamwissenschaftler Rüdiger Seesemann nicht viel von der These von einem Zusammenstoß der Zivilisationen hält.

[ Interview mit Rüdiger Seesemann ]

Stimmt der Eindruck, dass in Afrika zur Zeit die großen monotheistischen Religionen besonders eifrig und auch mit Erfolg missionieren?
Südlich der Sahara findet derzeit ein regelrechter Wettlauf um die Seelen statt. Das gilt aber nicht nur für monotheistische Religionen. Es gibt auch ein ­Comeback der so genannten traditionellen Religionen, ein generelles Erstarken der Spiritualität.

Worin liegt die Anziehungskraft der Religionen?

Religion gibt Menschen Halt, das war seit Menschengedenken so. Wer sich einem Glauben anschließt, wird zudem Mitglied einer Gemeinschaft, das hat nicht nur spirituelle Dimensionen, sondern schafft auch eine gewisse materielle Absicherung. Obendrein haben sich diverse irdische Heilserwartungen nicht erfüllt: Sozialismus, Nation-building, Wohlstandsentwicklung. Es liegt nahe, dass Menschen sich dann auf den Glauben besinnen. Christliche und muslimische Konversionsbestrebungen fallen dabei insofern besonders auf, als es sich um gut vernetzte Weltreligionen handelt, die von der Gleichheit aller Menschen ausgehen und im Prinzip bereit sind, jeden aufzunehmen, auch Arme und Marginalisierte. Außerdem können sie Unterstützung von außen mobilisieren.

Welche Bedeutung haben dabei Missionsbemühungen von außen?

Unterstützung von außen ist immer hilfreich. Zum Teil kopieren islamische Organisationen den Stil christlicher Missionare, sie organisieren Kampagnen und setzen die Medien nach kirchlichen Vorbildern ein. Besonders aktiv sind aber vor allem die „born-again Christians“ und die Pfingstkirchen.

Der englische Begriff deutet an, dass aus den USA viel Geld fließt.

Es stimmt, dass es großzügige Zuwendungen von Evangelikalen aus den USA gibt. Aber es gibt unabhängig davon einen Boom der Religionen. Das wird nicht alles importiert. Besonders in Nigeria schießen afrikanische Kirchen wie Pilze aus dem Boden und verbreiten sich von dort über den Kontinent. Ihre Weltanschauungen sind ähnlich wie die der Pfingstler oder Evangelikalen, aber sie hängen nicht von amerikanischen oder europäischen Geldgebern ab. Bemerkenswert ist aber, dass Geld auch in die andere Richtung fließt. Der Deutsche Reinhard Bonnke führt beispielsweise die in den USA ansässige Missionsorganisation „Christ for All Nations“. Er mobilisiert auf seinen „Crusades“ genannnten Afrika-Reisen gewaltige Menschenmengen und beträchtliche Summen, die dann anderswo verwendet werden.

Wie wichtig ist die Unterstützung für die islamische Mission aus den Golfstaaten?

Das ist ähnlich – es fließt viel Geld nach Afrika, aber der Eindruck, aus arabischen Staaten werde alles ferngesteuert, wäre falsch. Es gibt auf christlicher wie auf muslimischer Seite eine große Vielfalt von Akteuren und Organisationen. Für die Muslime hat sich jedoch nach dem 11. September 2001 viel verändert. Einige Organisationen wurden von den USA auf den Index gesetzt, Washington hat Druck auf Saudi-Arabien und afrikanische Regierungen ausgeübt, deren Aktivitäten zu kontrollieren oder gar ganz zu unterbinden. Missionsarbeit wurde auf einmal hochpolitisch. Allerdings ist die Lage insofern kompliziert, als es auch informelle Finanzierungskanäle gibt. In Saudi-Arabien und den Golfstaaten leben Privatpersonen mit sehr viel Geld. Sie werden als Philanthropen bezeichnet und schicken Spenden nach Afrika – für Schulen, soziale Aktivitäten, den Bau von Moscheen. Das Geld fließt nicht an Privatpersonen in Afrika, sondern, wie ich in Kenia festgestellt habe, an unabhängige islamische Organisationen, lokale NGOs, die recht eigenständig agieren.

Spielt dabei auch der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten eine Rolle?

Begrenzt, doch das steht sicherlich nicht im Vordergrund. In Ostafrika leben einige Schiiten indischer Abstammung, und es gibt eine wachsende Konversionsbewegung unter Afrikanern vom sunnitischen zum schiitischen Islam. Der Iran finanziert eine Organisation mit Namen „Bilal Muslim Mission“, um afrikanische Muslime, aber auch Nichtmuslime, für die Schia zu gewinnen. Sie hat durchaus Erfolg, wenn es auch keine Massenbewegung ist. Manchmal kommt es zu lokalen Spannungen, weil Organisationen, die über Geld aus Saudi-Arabien verfügen, dem puritanisch-sunnitischen Islam wahhabitischer Prägung folgen. Zumindest bisher verläuft die Bruchlinie in Afrika jedoch nicht zwischen Sunniten und Schiiten, sondern zwischen solchen Muslimen, die sich mit den mystischen Sufi-Bruderschaften identifizieren, und solchen, die eine Reinigung des Islam nach wahhabitischem Vorbild anstreben. Charakteristisch für die Sufis sind ihre Rituale, wie Gruppenrezitationen oder die Feiern anlässlich des Prophetengeburtstages, die Wahhabiten als bid’a, „unislamische Neuerung“, bekämpfen. Interessanterweise kommt es neuerdings immer öfter zu Allianzen zwischen Sufis und Schiiten, um der wahhabitischen Herausforderung gemeinsam zu begegnen.

Ist denn an dem Verdacht etwas dran, dass Missionsgelder aus dem Mittleren Osten den Fundamentalismus stärken?

Diese Frage entspringt westlichen Ängsten, ist aber nicht unbegründet. Wie gesagt, die christlichen Missionare in Afrika vertreten auch eher evangelikale, fundamentalistische Doktrinen, ob sie aus Afrika kommen oder nicht. Auch Organisationen, die mit Geld aus den Golfstaaten sozial aktiv sind und ihren Glauben predigen, treten sehr dogmatisch auf. Aber was bedeutet jetzt genau Fundamentalismus? Und wo wird es politisch inakzeptabel? Al Kaida als Terrororganisation hat in der islamischen Welt keinen größeren Feind als die saudische Regierung, Osama Bin-Laden will schließlich das autoritäre saudische Königshaus beseitigen. Die genannten saudischen Philanthropen werden kaum Sympathien für Al Kaida haben, selbst wenn ihre Weltanschauung mit der des Terrornetzwerks gemeinsame puritanisch-wahhabitische Wurzeln hat.

Als aufgeklärten Mitteleuropäern ist uns auch die religiöse Rhetorik mancher US-Politiker fremd. Präsident George Bush sagte einmal in einem Interview, er habe sich über den Einmarsch in den Irak nicht mit seinem leiblichen Vater – seinem Vorvorgänger im Weißen Haus – beraten, sondern mit einem „higher Father“. Ist denn wirklich klar zu unterscheiden, wo Strenggläubigkeit oder Puritanismus in politisch gefährlichen Fundamentalismus umschlägt?

Das ist in der Tat sehr schwierig. Auch die heute übliche Differenzierung zwischen „Moderaten“ und „Radikalen“ ist in der Praxis oft fragwürdig. Wenn eine Organisation oder Bewegung eine explizit radikale Agenda hat, die beispielsweise zur Gewalt aufruft, ist das noch vergleichsweise eindeutig. Andererseits gibt es strenggläubige Muslime, die zwar fromm sind, aber nicht unbedingt darauf aus sind, einen islamischen Staat mit islamischem Strafrecht durchzusetzen. Ich fürchte, Differenzierungsversuche zwischen „gutem“ und „bösem“ Islam richten mehr Schaden an, als sie Nutzen stiften.

Warum?

Die implizite Stigmatisierung weckt Ressentiments, die eher zur Radikalisierung als zur Mäßigung führen. Viele Muslime fühlen sich ohnehin in die Ecke gedrängt. Auf Druck der USA hin wurden in den meisten subsaharischen Staaten mit großer muslimischer Bevölkerung Anti-Terror-Gesetze erlassen, welche die Bürgerrechte einschränkten und oft zur willkürlichen Verhaftung von Muslimen führten. Wenn solche repressiven Maßnahmen zu bereits vorher existierenden Vorbehalten zwischen einzelnen Bevölkerungs- und Religionsgruppen treten, wird es politisch hoch brisant. Die Wahrscheinlichkeit, dass so genannte „moderate“ Muslime sich dann mit den „Radikalen“ solidarisieren und die fremde Unterscheidung zwischen „gut“ und „böse“ nicht mitmachen, ist groß.

Mich treibt manchmal um, dass christliche Fundamentalisten in den USA mit radikalen Muslimen ein gewisses apokalyptisches Denken verbindet. Es scheint mir aber so atavistisch, dass mir die These vom „Clash of Civilisations“ überzogen scheint.

Ich sehe auch nicht, dass es einen solchen Clash gibt. Es gibt allerdings auf christlicher wie auf muslimischer Seite Kräfte mit einem stark ausgeprägten dualistischen Weltbild, und diese Kräfte sind es, die den Konflikt anheizen. Aber in Afrika sieht man auch, dass vermeintlich rein religiöse Konflikte oft sehr komplexe Hintergründe haben. Und in den meisten afrikanischen Gesellschaften, die heterogen und religiös plural sind, funktioniert das Zusammenleben sehr friedlich. Blutvergießen zwischen Christen und Muslimen ist die Ausnahme, nicht die Norm.

Aus Nigeria beispielsweise kommen aber immer wieder Meldungen über Tote bei religiös motivierten Konflikten.

Das stimmt, aber die Ursachen sind meistens nicht unmittelbar religiös und jedenfalls nicht ausschließlich religiös. Es geht immer auch um politische Machtstrukturen, die sich häufig in religiöser oder ethnischer Gruppenzugehörigkeit spiegeln. In Nigeria spielen bei den Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen auch ökonomische Faktoren eine Rolle. In einigen Städten des Nordens, die traditionell muslimisch geprägt sind, gibt es christliche Einwanderergruppen, die teilweise sehr erfolgreich als Händler tätig sind und in Konkurrenz zu angestammten Händlern treten. Solcher Wettbewerb kann in Gewalt münden, und dann kann der sprichwörtliche Funken ein Pulverfass zur Explosion bringen. Es wäre absurd, solche komplexen Prozesse mit dem Koran oder der Bibel erklären zu wollen.

Gibt es eine arabische politische Agenda für Afrika?

Es gibt verschiedene arabische Agenden. Ägypten hat immer eine eigene Afrikapolitik verfolgt, für einen bevölkerungsreichen Nilanrainer ist das auch völlig selbstverständlich. Was Saudis in Afrika unternehmen und vorhaben, hat damit nichts zu tun, und durchkreuzt manchmal die Anliegen Kairos. Saudis und Ägypter sprechen sich nicht ab, im Gegenteil, sie stehen in Konkurrenz zueinander, vor allem seit die Saudis dank ihres Ölreichtums, also seit Beginn der 1970er Jahre, ihre Präsenz ausgeweitet haben.

Wie passt Libyen in das Bild?

Libyen ist der dritte große arabische Akteur, aber Ghaddafi verträgt sich weder mit den Ägyptern noch mit den Saudis. Sein Regime verfolgt eine ganz eigene Afrikapolitik und setzt dabei – vor allem mit der staatlich finanzierten und gesteuerten Organisation „Islamic Call“ – auch auf die religiöse Karte. Aber insgesamt wirkt das eher erratisch. Klar ist lediglich, dass Ghaddafi seit jeher seinen Einfluss in Afrika auszudehnen sucht. Die verschiedenen arabischen Akteure ziehen nicht an einem Strang, jeder kocht sein eigenes Süppchen.

Neutralisieren sie sich vielleicht sogar?

Da bin ich mir nicht so sicher. Es ist ja nicht so, dass in einem Land wie etwa Niger libysch finanzierte Muslime gegen saudisch finanzierte Muslime vorgehen würden. Aber sie bilden eben auch auf keinen Fall eine homogene Gruppe mit übereinstimmenden Interessen und einer geschlossenen Agenda dem Staat oder anderen Glaubensgemeinschaften gegenüber. Das wirklich große Thema unter Muslimen – auch in Afrika – ist die mangelnde Einheit. Das Spektrum ist sehr breit, und zwar aus verschiedenen Gründen. Geschichte, Sprache, ethnische Zugehörigkeit, regionale Traditionen und so weiter: Das alles prägt Menschen und ganze Gesellschaften über ihre Religionszugehörigkeit hinaus. Das sollte man im Kopf behalten und nicht auf die Idee kommen, dass es EINE homogene islamische Gefahr gebe, die sich heimlich in Afrika zusammenbraut.

Was ist denn von den islamischen Gerichten in Somalia zu halten? Die US-Regierung sah sie als Statthalter oder vielleicht auch nur Wegbereiter fundamentalistischer Terroristen. Sie ließ deshalb zu, dass äthiopische Truppen einmarschierten, um diese Gefahr zu unterbinden. Sie kamen offiziell der amtierenden Regierung Somalias zu Hilfe, die im Land selbst aber weder allgemein anerkannt war noch großen Einfluss hatte.

Die „Union islamischer Gerichte“ fungierte ursprünglich als eine Art Grassroots-Bewegung. Sie entstand vor dem Hintergrund, dass der somalische Staat kollabiert war und es keinerlei Rechtsordnung mehr gab. Muslime haben versucht, die Lücke zu füllen, und haben naheliegenderweise mit islamischem Recht gearbeitet. Solche althergebrachten Rechtsvorstellungen beinhalten Körperstrafen, die aus der modernen Menschenrechtsperspektive absolut verwerflich sind. Für die Leute dort vor Ort ist das aber kein Thema. Sicherlich streiten moderne islamische Juristen darüber, ob – und wenn überhaupt, wie – diese Körperstrafen gehandhabt werden sollen. Aber das ist ein Diskurs, der in einem kollabierten Staat wie Somalia so gut wie keine Rolle spielt. Dass es wieder Gerichte gab und nicht einfach das Faustrecht herrschte, hat Sympathien geweckt. Deswegen waren die islamischen Gerichte in der Bevölkerung zwar nicht sonderlich populär, aber doch weitgehend anerkannt. In manchen Regionen hatten sie wieder so etwas wie Stabilität hergestellt. Es war gewissermaßen von unten her eine neue Ordnung gewachsen.

Gab es denn keine Verbindung der islamischen Gerichte zu Al Kaida oder anderen Terrororganisationen?

Sicherlich hatte und hat die „Union islamischer Gerichte“ Mitglieder, die mit radikalen Organisationen im Ausland Kontakt hatten und haben. Ohne Zweifel haben auch gewaltbereite radikale Muslime in Somalia Zuflucht gefunden. Dennoch ist die Vorstellung, ein extremistischer Islam der Marke Osama Bin Laden habe Somalia übernommen, völlig überzogen. Die Frage ist jetzt, was aus dem Land werden soll. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass es gelingt, wieder einen funktionierenden somalischen Staat aufzubauen, solange man die Kräfte, die die islamischen Gerichte getragen haben, nicht in irgendeiner Weise integriert. So, wie das jetzt mit militärischer Gewalt versucht wird, fürchte ich, dass es wieder schiefgeht. Schwarzweiß-Malerei führt in der Regel zu übertriebenen Reaktionen und ist deshalb sehr gefährlich. Die Lage ist sehr kompliziert und durch die äthiopischen Truppen noch komplizierter geworden. Die Erfahrung zeigt, dass massive Einmischung von außen meist nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.