Radio in Westafrika

Neues von der Radio Ecole APM in Benin

In Westafrika wachsen die Rundfunkmedien rasant. Viele Sender hätten gerne Hilfe – nur nicht unbedingt so, wie die Geber es erwarten. Ein in den Niederlanden arbeitender Experte hat kürzlich eine Bestandsaufnahme gemacht.


[ Von Jonathan Marks ]

Fünf Flaschen Wasser; Ingwerbonbons, eine hoch auflösende Kamera und Batterien; Malariatabletten; Schlafsachen, T-Shirts als Geschenke und 50 000 CFA-Francs: Ende vergangenen Jahres packte ich meine Tasche für eine Reise nach Benin, Togo und Ghana.

Im Internet hatte ich erstaunt entdeckt, dass Google Earth 5 unseren Ausgangspunkt östlich des Handelszentrums Cotonou bis auf wenige Meter genau bestimmen konnte. Man konnte die Klimaanlagen auf dem Dach zählen und die Erosionsschäden der letzten fünf Jahre am nahe gelegenen Strand sehen.

Knapp drei Jahre zuvor war im Genfer Hauptsitz der International Telecommunication Union, ITU, eine bedeutende Entscheidung gefallen. Die Fernmeldeunion spielt eine wichtige Rolle im globalen Management der Radiofrequenzen und Satellitenbahnen. Im Juli 2006 also verpflichteten sich alle Mitgliedstaaten aus Europa, Afrika und dem Nahen Osten (einschließlich Iran) vertraglich, bis 2015 auf digitalen Rundfunk umzustellen.

Teil meiner Mission in Westafrika war herauszufinden, wie das überhaupt umzusetzen ist, wenn es scheinbar kein Geld gibt, um den UKW-Radiostationen, Förderern und Hörern dabei zu helfen. Die ITU-Entscheidungen wurden zu einer Zeit getroffen, als es der Weltwirtschaft weit besser ging als heute.

Der zweite Teil meiner Aufgabe war, die zweite Etappe von Radio Ecole APM in Benins offizieller Hauptstadt Porto Novo aufzubauen. Dieses Zentrum war einige Jahre zuvor als anerkannte Ausbildungseinrichtung für Journalisten und Radioleute eingerichtet worden. Jetzt, wo sich die digitale Produktion extrem verändert und die mobile Kommunikation sehr zunimmt, baut Benins Vereinigung der Medienschaffenden, APM (Association pour la Promotion des Médias) das aus, was bereits im vollen Gange ist. Die eigenen praktischen Erfahrungen werden genutzt, um rund 40 kommunale Radiostationen in Benin und hundert weitere in den Nachbarländern zu beraten. Sie nehmen die neuen Technologien unter die Lupe und prüfen, inwieweit diese für afrikanische Verhältnisse geeignet sind, wo eine andere klimatische und Finanzsituation herrscht.

Lokale Bedürfnisse

Gespräche mit afrikanischen Kollegen zeigen, dass die größte Herausforderung für uns alle nicht darin liegt, neue Ideen einzuführen, sondern darin, sich von den alten zu lösen. Aus Sicht des Praktikers ist eine gemeinsame Deadline für ganz Europa, Afrika und den Nahen Osten absurd. Keine zwei Länder sind je auf genau dem gleichen Stand ihrer Medienentwicklung. Die Faktoren, die bestimmen, ob die Industrie wächst oder schrumpft, sind komplex und hängen unter anderem mit Gesetzgebung und Wachstum der Telekommunikation zusammen.

Viele Macher von Community- und Regionalsendern sagen klar und deutlich, was sie wollen: nachhaltige Unterstützung. Jerome Carlos, der Leiter von Cotonous CAPP FM, beklagt: „Viele nichtstaatliche Organisationen haben uns technische Ausrüstung gegeben – und dazu die unmöglich einzuhaltende Frist auferlegt, uns binnen drei Jahren durch Werbung selbst zu tragen.“ Die NROs scheinen zu glauben, dass die Hardware genügt, um dieses Ziel zu erreichen.

Laut Carlos ist das ein Trugschluss: „Eine solche Gabe ist, als leihe man jemandem ein Auto. Ohne regelmäßige Wartung – und ohne Benzin – kann das schnell schief gehen.“ Regel Nummer eins sei, dass man die lokale Situation genau berücksichtige. In Benin dauere es normalerweise fünf bis sechs Jahre, bis ein Sender sich etabliert hat und sich so etwas wie finanzieller Unabhängigkeit nähert. Insbesondere da die globale Wirtschaftskrise auch Westafrika schwer trifft, als eine Region, die vom internationalen Handel und den Rücküberweisungen der Diaspora abhängig ist.

Neben der Technik könnten viele Rundfunksender auch Beratung im Management gebrauchen. Sie brauchen Businesspläne, um die technische Ausrüstung systematisch zu erneuern. Und irgendwann müssen auch professionelle Mitarbeiter her. Solange Journalisten und Producer nicht von ihrer Arbeit leben können, kann sich ein Sender nicht halten. Diejenigen, die sich auf Freiwillige verlassen, gehen schnell unter.

Die wirtschaftliche Dimension ist entscheidend. „Wir werden in diesem Teil des Landes niemals öffentlich oder staatlich finanzierten Rundfunk haben“, sagt Rodrigue Azinnongbe, der Direktor von Radio Fraternité, einem kommerziellen Sender in Parakou im Norden von Benin. Die Zukunft der Branche sei eng mit der Ausbreitung des Mobilfunks verbunden: „Bedenken Sie, dass man in vielen Ländern in Ost- und Westafrika Geld von Handy zu Handy überweisen kann.“

Manche Sender laden das Handy eines Hörers auf, wenn er zur Radiostation kommt, um eine Anzeige zu kaufen oder eine Nachricht zu liefern. Derartige Top-credits werden, ebenso wie Informationen, zur neuen sozialen Währung. Radio Fraternité hat sich ausgeklügelte Software angeschafft, um die an den Sender gehenden SMS zu verwalten und relevante SMS-Dienste für einen lokalen Telefonanbieter zu übernehmen. Auch hat Radio Fraternité eine Vereinbarung mit der lokalen staatlichen Lotterie. „Ruft man unseren Sender über die richtige Mobilfunkfirma an, kann man kostenlose Handygespräche für die nächsten fünf Jahre gewinnen“, berichtet Azinnongbe.

Zweifellos wächst Afrikas Rundfunkmarkt schnell, ähnlich wie in Lateinamerika vor zehn Jahren. Der Wachstum hat zwei Aspekte: Erstens erneuern die nationalen privaten und staatlichen Sender ihre alte Technik, da der Unterhalt der analogen Produktion offensichtlich teurer ist als der der digitalen. Zweitens sind die Medien auf lokaler und regionaler Ebene sehr aktiv. Allerdings unterscheidet sich die Entwicklung in Afrika von der in Lateinamerika im Umgang mit Sprache.

In Lateinamerika sind die Sendesprachen vor allem Spanisch und Portugiesisch. Obwohl mehr als zehn Millionen Menschen indigene Sprachen wie Quechua sprechen, gibt es kaum Programme in diesen Sprachen. Weder die privaten noch die staatlichen Sender investieren in diese Landessprachen, weil sie wissen, dass sie die Mehrheit mit Spanisch oder Portugiesisch erreichen.

Linguistische Gemeinschaften

In Afrika sieht das anders aus. Hier haben die europäischen Kolonialmächte den Rundfunk eingeführt, um ihre Imperien zusammen zu halten. In einigen Ländern hat der nationale Rundfunk noch immer ein Monopol und dient zumeist als Sprachrohr der Regierung. In anderen Ländern schreitet die Demokratisierung voran, teils durch die Medien, die Debatten anregen. Die afrikanischen Community-Medien sind wegen der Notwendigkeit, in lokalen Sprachen zu kommunizieren, so groß geworden.

Zudem sind Sprachgemeinschaften nicht auf nationale Grenzen beschränkt. „Allein in Benin gibt es 42 ethnische Gruppen, wobei Fon, Adja, Yoruba und Bariba die wichtigsten sind“, erklärt Soulé Issiaka, Leiter des Afrika-Büros von Radio Netherlands Worldwide. Diese ethnischen Gruppen bestehen über die während der europäischen Kolonialherrschaft gezogenen politischen Grenzen hinweg.

Dementsprechend hat ein Radiosender wie Deeman Cultural Radio 90.2 MHZ in Parakou eine große und bedeutende Hörerschaft im Nachbarland Nigeria. Mit dem Geld, das er von den schätzungsweise 100 000 Menschen, die dort Bariba sprechen, erhält, kann es sich Deeman sogar leisten, Moderatoren von der anderen Seite der Grenze zu engagieren. „Man darf den afrikanischen Unternehmergeist nicht unterschätzen, auch nicht in diesen rauen Zeiten“, sagt Issiaka.

Die Bedeutung der Community-Medien sei groß: „In Europa gibt es rund 200 Sprachen, auf dem afrikanischen Kontinent haben wir mehr als 2000 - ein Drittel des linguistischen Welterbes. Soll eine Botschaft die Mehrheit der Bevölkerung erreichen, genügen nicht allein Französisch oder Englisch.“ Erfolg und Wachstum der Community-Medien sei daher ein zentraler Faktor für die Stabilität ganzer Länder Westafrikas, insbesondere Nigerias, dem bevölkerungsreichsten Staat der Region.

Kollektive Erinnerung

Tatsächlich ist mündliche Überlieferung in diesem Teil der Welt enorm wichtig. Wissen wird eher über das gesprochene Wort weiter gegeben als über Bücher. Elektronische Medien, insbesondere das Radio, sind auch deshalb so stark, weil Programme für relativ kleine Sprachgruppen produziert werden können. Lokale TV-Produktion in diesen Sprachen dagegen lohnt sich nicht, trotz der enorm niedrigen Produktionskosten.

Die Rolle des Rundfunks besteht keineswegs nur darin, über aktuelle Ereignisse zu berichten. Er hat auch die Aufgabe, Themen aus der Vergangenheit in einen aktuellen Zusammenhang zu stellen. In der modernen Gesellschaft dienen Medien als kollektives Gedächtnis.

Ein Sprichwort besagt, dass wenn ein alter Mensch in Afrika stirbt, ein wichtiger Teil des Erbes des Kontinents verloren geht. Ich habe viele Radioarchive in Afrika und Lateinamerika gesehen und kann die UNESCO-Statistik nur bestätigen, dass 80 Prozent der Archive der Welt in einem miserablen Zustand sind. Zum Teil ist das eine technologische Herausforderung, die lösbar ist. Die Kosten für digitale Speicherung sind drastisch gesunken: ein TB kostete im März 2009 weniger als 100 Euro.

Es ist kein technisches Problem mehr, den Beginn des globalen kulturellen Alzheimers aufzuhalten. Aber solange sich die Community-Medien dessen nicht bewusst sind, werden sie sich dem auch nicht stellen. Sie müssten Archive aufbauen und Sendeformate entwickeln, um die gespeicherten Daten systematisch zu nutzen. Zweifelsohne besteht hier Bedarf an Capacity-Building.

Fernstudien werden in Entwicklungsländern immer wichtiger. Und das kann eigentlich auch nur zunehmen, da die Menschen ihre Lebensweise der globalen Erwärmung und dem daraus folgenden Klimawandel anpassen müssen. Kenntnisse und Debatten über Adaptionsmöglichkeiten sind bereits überlebenswichtig in Subsahara-Afrika, insbesondere an der von der Erosion besonders stark betroffenen westafrikanischen Küste.

Dennoch bewahren viele Rundfunksender bedeutende Gespräche und Radio-Features in lokalen Sprachen nicht auf, weil sie diesen Wissensschatz noch nicht auf einfache Weise katalogisieren können. Es bleibt zu hoffen, dass sich afrikanische Universitäten dem annehmen, und dass die Zahl der Studenten außerhalb der Universitäten weiter zunimmt.

In Benin hat die Radioschule APM mit der automatischen Aufzeichnung verschiedener Merkmale experimentiert, deren Details auf RFID-Chips übertragen werden. Die Lehrkräfte nutzen ihre Sicherheitsausweise, um im Vorlesungsraum das Licht einzuschalten. Zeitgleich wird dabei alles aufgezeichnet und ein Datensatz erstellt, durch den sich später das Material identifizieren lässt.
Ausblick

Digitale Ausstrahlung ist aber nicht das, was Radiomacher und ihre Hörer in Westafrika am meisten beschäftigt. Viele Sender produzieren bereits digital, wobei die Sendeketten weiter analog arbeiten.

Derzeit haben die Hörer weder das Interesse noch das Geld, auf digitale Sendesysteme wie DAB oder HD Radio umzustellen. Der Frequenzbereich für UKW ist nicht überfüllt und UKW-Radios sind auf dem Markt schon ab vier Euro erhältlich. Da sind die Batterien, die das Gerät am Laufen halten, teurer als diese erste Investition.

Die Art der Verbreitung variiert aber. Größere Länder etwa - wie Äthiopien, wo die Bevölkerung weitflächig verteilt ist - bauen neue Mittelwellensender, um die landesweite Versorgung über Mittelwelle wieder zu ermöglichen. Vielleicht stellen sie eines Tages auch auf digitale Sendung um, zumindest wäre das kostengünstig möglich.

Von wachsender Bedeutung ist das Internet. Die Kenianer nutzen es bereits, um die Diaspora im Ausland zu bedienen, und zwar mit wirtschaftlichem Erfolg. Schließlich leisten die Auslandskenianer einen bedeutenden Beitrag zur nationalen Ökonomie.

Aus verschiedenen Gründen ist eine gemeinsame ITU-Deadline „2015 auf digitale Sendung umzustellen“ ein schwieriges Unterfangen, besonders wenn die Radioempfänger noch zu teuer sind. Es wäre schade, die Gelder zu nutzen, um die Umstellung auf digital künstlich zu beschleunigen, statt zu versuchen, Qualität und Verlässlichkeit lokaler digitaler Produktionen zu fördern. Schließlich dient die Zukunft des Radios einer Interessensgemeinschaft. Für Afrika - und den Rest der Welt.

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