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Multilaterale Politik

Globale Lasten fair teilen

Das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung (Common But Differentiated Responsibilities – CBDR) gilt als einer der Meilensteine des Erdgipfels von Rio 1992. Reiche Industrieländer wollen sich nun von dem Prinzip verabschieden.
Stadtverkehr in Lima: Beim Klimagipfel in diesem Monat diskutieren die Teilnehmer in Perus Hauptstadt unter anderem darüber, welche Nationen in welchem Maß die Verantwortung für den Klimawandel tragen. Dembowski Stadtverkehr in Lima: Beim Klimagipfel in diesem Monat diskutieren die Teilnehmer in Perus Hauptstadt unter anderem darüber, welche Nationen in welchem Maß die Verantwortung für den Klimawandel tragen.

Bei dem CBDR-Prinzip geht es darum, Lasten und Kosten in Bezug auf globale Herausforderungen wie dem Klimawandel zwischen den Ländern fair aufzuteilen. In Grundsatz 7 der Rio-Erklärung und im Artikel 3 der Klimarahmenkonvention hatten die Regierungen ihren unterschiedlichen Beitrag zur Umweltzerstörung anerkannt. Jedes Land verpflichtet sich je nach Höhe seines Beitrags für die Wiederherstellung des Ökosystems und für Klimaanpassungsmaßnahmen zu bezahlen.

Über 20 Jahre nach seiner Verabschiedung ist dieses Prinzip zum Dreh- und Angelpunkt der Klima- und Post-2015-Verhandlungen geworden. Die in der G77 zusammengeschlossenen Länder des globalen Südens möchten das Prinzip möglichst unverändert bewahren. Die USA, die EU und andere Industrieländer lehnen es in der bisherigen Form jedoch ab. Sie argumentieren, dass es veränderte globale Kräfteverhältnisse gäbe. Zu einer fairen Lastenteilung gehörten auch Klimaschutzbeiträge der aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien.

Ohne eine Einigung in dieser Kontroverse wird es 2015 weder zu einem neuen Klimaabkommen noch zu einer globalen Entwicklungsagenda kommen, die diesen Namen verdient. In den Klimaverhandlungen steht folgende Frage im Mittelpunkt: Wie soll die Verantwortung der einzelnen Länder für den globalen Klimawandel gemessen werden, und welche (finanziellen) Verpflichtungen ergeben sich daraus?

Aber CBDR ist nicht auf den Klimaschutz beschränkt. Bei der Rio+20-Konferenz 2012 beschlossen die Regierungen, gemeinsame Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) in der Post-2015-Agenda zu formulieren. Indem diese SDGs universell gültig und auf alle Länder anwendbar sein sollen, unterstreichen die Regierungen ihre gemeinsame Verantwortung für eine global nachhaltige Entwicklung.

Die Ziele sollen gleichzeitig die ­unterschiedlichen nationalen Realitäten, ­Kapazitäten und Entwicklungsstufen ­berücksichtigen. Also respektieren die Regierungen das Teilprinzip der unterschiedlichen Verantwortung entsprechend ihrer jeweiligen ökonomischen Leistungsfähigkeit. Im Bericht der Offenen Arbeitsgruppe der UN-Generalversammlung zu den SDGs, der im Juli 2014 fertiggestellt wurde, haben die Regierungen dieses Prinzip trotz aller Kontroversen bestätigt.

Generell könnte CBDR für alle globalen öffentlichen Güter (global public goods) als Leitprinzip dienen. Als zwischenstaatliches Gerechtigkeitsprinzip könnte es auch für die Post-2015-Agenda eine wichtige normative Grundlage bilden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Regierungen sich darüber einigen:

  • nach welchen Kriterien Länder und Ziele differenziert werden,
  • welche Indikatoren zur Darstellung der unterschiedlichen nationalen Voraussetzungen herangezogen werden und
  • welche unterschiedlichen (Finanzierungs-)Verpflichtungen sich daraus für die einzelnen Länder ableiten lassen.



Längst etablierte Rechtsgrundsätze

Argumente, dass das CBDR-Prinzip angesichts der geopolitischen und wirtschaft­lichen Veränderungen in der Welt nicht mehr zeitgemäß sei, sind irreführend:

Zum einen würde die ersatzlose Streichung des CBDR-Prinzips nichts an den realen sozioökonomischen Disparitäten zwischen den Ländern ändern. Nach wie vor bestehen zwischen ihnen massive Einkommensunterschiede, die sich in den letzten Jahren zum Teil noch verschärft haben. Entsprechend unterschiedlich sind einerseits ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und andererseits ihre Beiträge zur globalen Umweltbelastung. Diese Unterschiede zwischen den Ländern müssten in der internationalen Politik berücksichtigt werden, auch wenn das CBDR-Prinzip abgeschafft würde.

Zum anderen basiert das CBDR-Prinzip selbst auf weltweit anerkannten Rechtsgrundsätzen, die auch bei Abschaffung des Prinzips erhalten blieben. Dies sind vor allem das Solidaritätsprinzip, das Verursacherprinzip, das Leistungsfähigkeitsprinzip sowie implizit der Gleichbehandlungsgrundsatz.

  • Der Grundsatz, globale Herausforderungen von allen Staaten in gemeinsamer Verantwortung zu bewältigen, basiert auf dem Solidaritätsprinzip, wie es seit langem auf nationaler Ebene existiert. Die Gleichheit der Bürger und ihre gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl sind zentrale Elemente dieses Konzepts. In der UN-Millenniumserklärung haben die Regierungen die Solidarität ausdrücklich als einen von sechs gemeinsamen Grundwerten bezeichnet.
  • Selbst wenn Länder ihre historische Verantwortung für Klimaveränderungen und Umweltschäden leugnen, könnten ihnen nach dem Verursacherprinzip (‚polluter pays’ principle, Prinzip 16 der Rio-Erklärung von 1992) grundsätzlich die Kosten zur Vermeidung, zur Beseitigung und zum Ausgleich dieser Schäden zugerechnet werden.
  • Das Leistungsfähigkeitsprinzip gilt als allgemein akzeptiertes Fundamentalprinzip der Besteuerung und ist in den nationalen Steuergesetzen vieler Länder ebenso verankert wie in den Beitragsregeln internationaler Organisationen.
  • Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht nur in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten, sondern auch in vielen nationalen Verfassungen (etwa Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes).


Es gäbe somit auch ohne das CBDR-Prinzip politische und rechtliche Instrumentarien, um die unterschiedliche Verantwortung und Behandlung von Ländern zu begründen. Der Vorteil von CBDR ist aber, dass es die Instrumentarien bündelt und völkerrechtlich in der Klimarahmenkonvention verankert ist.


Konkretisieren, nicht abschaffen

Um den veränderten internationalen Rahmenbedingungen gerecht zu werden, sollte das CBDR-Prinzip daher nicht abgeschafft, sondern konkretisiert werden. Auf diese Weise könnte es sowohl den veränderten sozioökonomischen Realitäten der Länder als auch ihren historischen Verantwortlichkeiten gerecht werden.

Vergleicht man die gegensätzlichen Positionen zum CBDR-Prinzip, erscheint ein Kompromiss zwischen den USA, die es fundamental ablehnen, und den G77, die darauf beharren, kaum möglich. Vor allem in den Klimaverhandlungen schienen die Regierungen lange Zeit nach der Mikado-Regel zu verfahren: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die kürzliche Einigung von US-Präsident Barack Obama und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über die Begrenzung der Treibhausgasemissionen hat. Dass sich die Staatschefs erstmals auf gemeinsame, aber unterschiedliche Ziele geeinigt haben, ist bemerkenswert. In der Substanz sind die Ziele jedoch völlig unzureichend. Mit der Ankündigung einer Reduzierung der Emissionen um 26 bis 28 Prozent bis 2025 gegenüber 2005 fällt Obama noch hinter seine Zusagen beim Kopenhagener Klimagipfel (Reduzierung um 30 Prozent) zurück. Xi legt sich überhaupt nicht fest, sondern versprach lediglich eine Begrenzung der Emissionen bis 2030 oder früher. Die USA und China folgen damit eher dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortungslosigkeit.

Legt man die verschiedenen Positionen zum CBDR-Prinzip übereinander, um ihre Schnittmenge zu ermitteln, ergibt sich folgendes Bild:

  • Kein Land, auch nicht die USA, lehnt den Grundgedanken der unterschiedlichen Verantwortung der Länder ab. Umstritten ist nicht die Differenzierung der Länder per se, sondern ihre Kategorisierung in nur zwei (anachronistische) Staatengruppen – Industrie- und Entwicklungsländer.
  • Alle Länder teilen grundsätzlich auch die Idee der gemeinsamen Verantwortung für eine weltweit nachhaltige Entwicklung. Sie spiegelt sich beispielsweise in der UNESCO-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt wider und liegt auch der Entscheidung der Regierungen zugrunde, bis 2015 universelle Nachhaltigkeitsziele zu vereinbaren.
  • Reiche Länder fordern die Differenzierung aller Länder nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Entwicklungsländer – besonders die ärmsten Länder und Südafrika – tun dies ebenfalls zunehmend in den Klimaverhandlungen. Sie koppeln ihre Unterstützung an die Unterscheidung der Länder nach ihrer historischen Verantwortung (beziffert in den kumulierten Treibhausgasemissionen).
  • Der Teilaspekt der unterschiedlichen Verantwortung der Länder für die vorhandenen Umweltschäden ist kongruent mit dem Verursacherprinzip, das als Prinzip 16 ebenfalls Teil der Rio-Erklärung von 1992 ist. Diesem Prinzip haben alle Länder vorbehaltlos zugestimmt. Umstritten ist also auch hier nicht das Prinzip an sich, sondern die Kausalität zwischen Ursachen und Schaden sowie Form und Höhe des Schadensersatzes.


Um zu einem Konsens über die Zukunft des CBDR-Prinzips zu kommen, müssten die Regierungen vor allem in zwei Konfliktbereichen Kompromissbereitschaft signalisieren. Dabei geht es erstens um unterschiedlicher Behandlung unterschiedlicher Entwicklungsländern und um die historische Verantwortung der Industrieländer.

Die 133 Länder der G77 müssten für die Zukunft anerkennen, dass sie kein monolithischer Block sind, sondern dass sie sich in ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit und ihrem Beitrag zur globalen Umweltbelastung ebenso stark unterscheiden, wie dies bei den klassischen Industrieländern der Fall ist. Daraus ergeben sich für die Zukunft entsprechend differenzierte (finanzielle) Verantwortlichkeiten für die G77-Mitglieder.

Eine solche Differenzierung der Länder bei der Wahrnehmung und Finanzierung globaler Aufgaben ist weder außergewöhnlich noch neu. Ein triviales Beispiel sind die Pflichtbeiträge der Mitgliedsstaaten der UN. Sie basieren auf einem Beitragsschlüssel, der in erster Linie von der wirtschaft­lichen Leistungsfähigkeit der Länder bestimmt wird. Unter den 30 Hauptbeitragszahlern der UN befinden sich immerhin zehn, die nicht zum Kreis der klassischen Industrieländer gehören, darunter sechs Mitglieder der G77 (China, Brasilien, SaudiArabien, Indien, Venezuela und die Vereinigten Arabischen Emirate).

Dass beim CBDR-Prinzip die Staaten nicht mehr allein in Industrie- und Entwicklungsländer kategorisiert werden, bedeutete ausdrücklich nicht die Auflösung der politischen Ländergruppen, allen voran der G77. Dennoch ist die Sorge der armen Länder ernst zu nehmen, dass das Einreißen der Brandmauer zwischen Industrie- und Entwicklungsländern für sie negative Konsequenzen hätte. Dies muss aber nicht der Fall sein, im Gegenteil: Die Länder des globalen Südens könnten insgesamt profitieren, wenn in einem Post-2015-System fairer Lastenteilung allen Ländern ein Exis­tenzminimum zugesichert wird, um ihr „Recht auf nachhaltige Entwicklung“ verwirklichen zu können. Gleichzeitig müssten die reicheren Länder bereit sein, verbindliche Verpflichtungen zu Finanz- und Technologietransfers zu übernehmen.

Die westlichen Industrieländer, allen voran die USA und die EU, müssten ihre his­torische Verantwortung für Umweltschäden und Erderwärmung politisch anerkennen und zu Ausgleichsleistungen gegenüber Entwicklungsländern grundsätzlich bereit sein. Dies muss nicht in Form einer völkerrechtlichen Verpflichtung zu Schadensersatz und Reparation geschehen, sondern kann als politische Selbstverpflichtung der betreffenden Länder erfolgen.

Angesichts der Tatsache, dass viele Industrieländer ihre internationalen Zusagen oft nicht erfüllt haben (wie etwa die Verwirklichung des 0,7-Prozent-Ziels für die öffentliche Entwicklungsfinanzierung), ist das Misstrauen bei den Ländern der G77 groß. Um dem zu begegnen, müssten die Industrieländer zunächst mit vertrauensbildenden Maßnahmen in Vorleistung treten – sie müssten quasi den ersten Mikado-Stab bewegen. Nur wenn auf diese Weise der Teufelskreis kollektiver Verantwortungslosigkeit durchbrochen wird, kann verhindert werden, dass es bei den Verhandlungen im Jahr 2015 am Ende nur Verlierer gibt.


Wertvolle Chancen

Meist wird das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung gleichgesetzt mit einer fairen Aufteilung von Lasten und Kosten zwischen den Ländern. Aber darum geht es nicht nur. Denn aus den Anstrengungen und Kosten, die die Länder im Einsatz gegen die globalen Krisen auf sich nehmen, ergeben sich auch immense Vorteile.

Die Förderung der Energieeffizienz und der Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft hätten positive Effekte für die Volkswirtschaften und steigerten längerfristig die Lebensqualität der Menschen. Kurzfristig verlieren würden lediglich die Unternehmen, die vom Status quo profitierten. Sie blockieren daher Schritte zu einer sozial-ökologischen Transformation, wie etwa die Automobilindustrie, die striktere CO2-Abgasnormen auf europäischer Ebene verhindert. Die Konfliktlinien verlaufen hierbei nicht zwischen Ländern, sondern zwischen den Gewinnern und Verlierern einer wirtschaftlichen Transformation.

Fest steht zudem, dass das Nichtstun viel mehr als das CBDR-Prinzip kosten würde. Nicholas Stern hat darauf bereits 2006 in seinem Report über die Ökonomie des Klimawandels (Review on the Economics of Climate Change) hingewiesen. Wenn die Staatengemeinschaft sich nicht auf effektive Klimaschutzmaßnahmen einigt, kann dies nach seinen Schätzungen zu Wohlfahrtsverlusten von mindestens fünf Prozent des globalen Bruttonationaleinkommens (BNE) pro Jahr führen. Die jährlichen Kosten für Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen schätzte Stern damals dagegen auf nur rund ein Prozent des globalen BNE.

Zwischen den Kosten des Handelns und Nichthandelns besteht zudem ein entscheidender Unterschied: Die Kosten des Nichthandelns trägt vor allem die Masse derer, die besonders verwundbar sind. Dies sind die Menschen in den armen Ländern, allen voran Kinder, Jugendliche und alte Menschen.

Die Kosten des Handelns können Regierungen hingegen denen übertragen, die die ökologischen Schäden verursacht haben und die die ökonomische Leis­tungsfähigkeit besitzen, diese Schäden zu beheben oder zu kompensieren. Dies gilt auch auf nationaler Ebene. Das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung hat seine Berechtigung somit nicht nur in den internationalen Beziehungen zwischen Staaten. Es kann auch innerhalb der Gesellschaften als Leitprinzip der gerechten Aufteilung von Las­ten und Nutzen dienen.


Jens Martens ist Geschäftsführer des Global Policy Forums.
jensmartens@globalpolicy.org
http://www.globalpolicy.org


Literatur:
Martens, J., 2014: Gemeinsame Ziele – ­unterschiedliche Verantwortung. Das Gerechtigkeitsprinzip in den Klima-und Post-2015-Verhandlungen.  
http://www.globalpolicy.org/publications/publications-in-german.html
Stern, N., 2006: Review on the Economics of Climate Change.
http://webarchive.nationalarchives.gov.uk/20100407172811/http://www.hm-treasury.gov.uk/stern_review_report.htm

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