Militärgeschichte
Islamisten in der Truppe
[ Von Shuja Nawaz ]
Pakistan und Indien entstanden im August 1947, als Britisch-Indien geteilt wurde. Zum Erbe gehörten die Armeen der beiden neuen Länder des britischen Commonwealth.
61 Jahre später wird häufig gefragt, wieso sich die beiden Länder so unterschiedlich entwickelt haben und welche Rolle die Armeen dabei spielten. Um es kurz zu fassen: Pakistan wurde mehr als die Hälfte seines Bestehens hindurch vom Militär regiert und verlor 1971 nach einem Bürgerkrieg und einer indischen Invasion einen Großteil des Landes (das heutige Bangladesch). Indien dagegen entwickelte sich zu einer turbulenten Demokratie mit fest etablierter ziviler Kontrolle der Streitkräfte.
Militär und Politik sind in beiden Ländern unterschiedlich verbunden. Als Pakistan 1947 entstand, schwelte schon ein Konflikt. Er wurde zum Kaschmir-Krieg, als einige Offiziere die Invasion von Stammesbanden aus der North West Frontier Province ins indisch besetzte Kaschmir unterstützte. Der Krieg endete mit einem schwachen Patt. Pakistans Armee warf ihrer Zivilregierung vor, zu wenig für den Sieg getan zu haben. Das war die Basis für den ersten, noch erfolglosen Putschversuch von Major General Akbar Khan 1951.
1958 verübte Generalfeldmarschall
Ayub Khan einen erfolgreichen Coup. Weitere folgten. 1969 stürzte General A. M. Yaha Khan Ayub Khan und blieb bis 1971 an der Macht. Sechs Jahre später putschte General Zia ul Haq gegen Premierminister Zulfikar Ali Bhutto und regierte bis 1988. 1999 entmachtete General Pervez Musharraf Premierminister Nawaz Sharif.
Das öffentliche Leben kümmerte dahin, die Verwaltung wurde dysfunktional. Langen Perioden der Militärregierung folgten schwache gewählte Regierungen. In Pakistans kurzer Geschichte dominierte die Armee die politische Bühne – und tat sie es mal nicht, zog sie oft hinter den Kulissen die Fäden.
In Indien gab es Putschgerüchte, aber nie einen Militärcoup. Das lag unter anderem daran, dass zivile und politische Institutionen immer stärker wurden und die schlimmsten kolonialen Gepflogenheiten überwanden. Zudem ist die indische Offiziersklasse heterogener. Unter britischer Herrschaft waren in der indischen Militärakademie 42 Prozent Punjabi. Anfang der 1980er waren das in Indien nur noch 10 Prozent. In Pakistan besteht das Militär bis heute überwiegend aus Punjabis.
Religiöse Ideologie
Indien ist ein vorwiegend hinduistisches Land mit einer erklärt säkularen Verfassung. Pakistan ist per Definition ein muslimisches Land. Es stellt sich also die Frage, ob Pakistans militaristische Tendenzen etwas mit der Religion zu tun haben. Richtig ist, dass das Oberkommando gelernt hat, den Glauben zu instrumentalisieren.
Pakistan entstand als Staat für die Muslime Britisch-Indiens. Er wurde aus muslimisch dominierten Provinzen geschaffen. Die junge Nation huldigte dem Islam rituell, die Institutionen aber blieben kolonial. Zwar gab es das Empire nicht mehr, aber Regierungsapparat und -verfahren änderten sich kaum.
Von Anfang an wurden islamische Symbole genutzt. Das Emblem der pakistanischen Armee etwa zeigt auf grünem Grund zwei gekreuzte islamische Schwerter, einen Halbmond und einen fünfzackigen Stern. Der Identifizierungscode des Armeehauptquartiers „786“ ist das numerologische Äquivalent von „Bismillah ir Rahman ir Rahim“ (im Namen Allahs, des Gütigsten und Barmherzigsten). Derlei war zunächst nur stilisiert. Die ersten beiden pakistanischen Militärführer Ayub Khan und Yahya Khan lehnten die „Mullahs“ ab, benutzten aber religiös orientierte Parteien, um politischen Einfluss zu mehren. In den 1970er und 1980er Jahren lenkte Zia das Militär dann in eine islamistische Richtung. Der Spuk der Verbindung Moschee und Militär in Pakistan begann.
Zia gab der Armee ein islamisches Motto und erlaubte Missionstätigkeit in den Militärinstitutionen. Islamistische Parolen wurden benutzt. „Jihad“ – „heiliger Krieg“ – stand für die Unterstützung afghanischer Freiheitskämpfer gegen die Sowjetinvasoren. Damals fassten die Islamisten in der Armee und im Land Fuß. Aberwitzigerweise kämpft Pakistans Militär heute entlang der Grenze und zunehmend auch im Hinterland gegen die Abkömmlinge und Nachfolger dieser Kräfte.
Jahrelang weigerte sich die pakistanische Armee, die potentielle Bedrohung durch den wachsenden Islamismus in ihren Reihen zuzugeben. Nach Zias Tod entfernte sein Nachfolger als oberster Militär General Mirza Aslam Beg einige offensichtlich islamistische Elemente. Auch wurden alle Hinweise auf das religiöse Verhalten der Offiziere aus den vertraulichen Jahresberichten gestrichen. Er versprach, dass keine radikalen Islamisten in der Armee aufsteigen würden.
Dennoch neigten einige höhere Offiziere mehr oder weniger offen zu islamistischen Ansichten. Ein prominentes Beispiel war Leutnant-General Javed Nasir. Als Generaldirektor des mächtigen Geheimdienstes Inter Services Intelligence Directorate (ISI) unterstützte er Jihadisten in der ganzen Welt, vor allem aber in Indien. Er wurde entlassen, nachdem die USA seine Aktivitäten bewiesen und sein Ausscheiden nahelegten.
Ein weiterer wichtiger Islamist, der seine Ansichten nicht öffentlich zur Schau trug, war Leutnant-General Mahmud Ahmed. Er startete 1999 für Musharraf den Coup gegen Sharif. Später wurde er Chef des ISI und hatte diese Position im Vorfeld des 11. September 2001 inne – einer Zeit, in der Pakistan die afghanische Taliban-Regierung unterstützte.
Tatsächlich war Ahmed einer der zentralen Verhandlungsführer, die die Taliban und ihren Führer Mullah Omar dazu bringen sollten, die Verbindung zu Osama bin Ladens Terrornetzwerk Al Qaida zu kappen. Er tat das nicht sonderlich zielstrebig und verlor – als das klar wurde – seinen Posten. Trotzdem gab Musharraf ihm nach seinem Abschied vom Militär ein hohes Amt im öffentlichen Dienst. Das militärische Oberkommando tut sich schwer, dem zunehmendem Konservatismus und vielleicht sogar Islamismus in der Truppe entgegenzutreten. Es heißt, man habe Mittel, um Islamisten in Schlüsselpositionen zu verhindern. Demographische Trends weisen aber in eine andere Richtung.
Heute ist der teils in den USA ausgebildete General Ashfaq Parvez Kayani Chef der Armee. Er stammt vom Land und ist nicht islamistisch gesinnt. Viele seiner jungen Brigadiere und Generäle wuchsen unter Zias islamistisch geprägter Herrschaft heran. Damals hatte der Westen ein Embargo gegen Pakistan und seine Armee verhängt. In prägenden Jahren konnten viele dieser Offiziere nicht reisen und kamen nicht mit kontroversen Ideen in Berührung. Zudem stammen viele von ihnen aus der Stadt und vertreten das konservativ-religiöse Kleinbürgertum. Pakistans Zukunft hängt davon ab, wie stark all das noch ihr Denken prägt.
Ausblick
Indien hat heute eine Armee, die sich streng an die verfassungsgemäßen säkularen Werte hält. Es erlebt allerdings zunehmend politische Unruhen, die mit von der wachsenden ökonomischen Not der großen muslimischen Minderheit genährt werden. Der kürzlich erschienene Bericht der Sachar-Kommission der indischen Regierung zur Lage der Muslime im Land zeichnete ein trauriges Bild verpasster Chancen und regelrechter antimuslimischer Tendenzen im sozioökonomischen System. Es ist schwer zu sagen, wie die Armee reagieren wird. Die erneuten Unruhen im größtenteils muslimischen Kaschmir, wo mehr als 500 000
indische Soldaten für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, sind eine große Herausforderung. Der Anteil an Muslimen im indischen Militär und Oberkommando bleibt verschwindend gering. Es gibt keine Bemühungen, daran etwas zu ändern.
Beide Länder sind stolz auf ihre Berufsarmeen und prahlen mit – in Relation zur Wirtschaftskraft – gewaltigen Streitkräften. Indiens Armee hat mehr als eine Million Soldaten, Pakistans reguläre Armee
484 000. Beide Länder geben dafür viel Geld aus: Pakistan 3,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts, Indien 2,3 Prozent.
Indiens Truppen schauen nicht nur auf Pakistan. Delhi will den Indischen Ozean und seine Anrainerstaaten dominieren. Pakistan fühlt sich aber genötigt mitzuhalten, da es ein hegemoniales Indien als größte regionale Bedrohung empfindet. Derweil eskaliert seit einigen Jahren die Gewalt im Inland. Religiös legitimierte Aufstände nehmen zu und binden die Armee in der North West Frontier Province und entlang der afghanischen Grenze.
Es bleibt eine Herausforderung für die Regierungen beider Länder, Feindseligkeiten, Konfrontation und letztlich den Bedarf an solch großen und teuren Armeen zu mindern. Da beide Nationen Atomwaffen besitzen, ist das wirklich dringend.