Demokratie und Menschenrechte
Indigene einbeziehen
[ Von Bettina von Dungen ]
In Peru geht es seit einiger Zeit bergauf mit der Wirtschaft – laut Präsident Alan García ist es eines der wenigen Länder, das in den letzten fünf Jahren jährlich im Durchschnitt mehr als sechs Prozent Wachstum zu verzeichnen hatte. Leider werden dabei rechtsstaatliche und umweltrechtliche Standards kaum berücksichtigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wies schon im Mai 2008 in einer Rede anlässlich der Gründung des peruanischen Umweltministeriums in Lima darauf hin, dass sich das Land nur nachhaltig entwickeln könne, wenn soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz respektiert würden. Merkel sagte dem Umweltministerium deutsche Unterstützung zu.
Noch ist Peru aber weit von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt. Besonders die arme Bevölkerung – Landbevölkerung und indigene Gemeinschaften – ist von den massiven Umweltproblemen betroffen: Bergbau, Öl- und Gasförderung sowie illegaler Holzeinschlag schädigen die Natur erheblich. Die Konflikte zwischen Zivilgesellschaft sowie indigenen Gemeinschaften und dem Staat sowie Wirtschaftsunternehmen um Erdöl, Erdgas und andere Bodenschätze eskalieren.
Das Amazonasgebiet Perus ist fast doppelt so groß wie Deutschland und eine der Boom-Regionen internationaler Öl- und Gasförderindustrie. Mehr als 70 Prozent des peruanischen Amazonasgebietes sind bereits in Öl- und Gaskonzessionsblöcke aufgeteilt, die sich mit den Gebieten der Indigenen, Territorien isoliert lebender Indianer, Waldreservaten und anderen Schutzzonen überlappen. Die Anerkennung indigener Territorien und die Verfügungsgewalt über erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen sind zentral. Indigene Organisationen und internationale Vereinbarungen fordern, die Zustimmung indigener Völker zu Projekten, die ihr Land betreffen, einzuholen – und zwar frei, frühzeitig und indem man sie richtig informiert (siehe Aufsatz von Frank Bliss, S. 461 in diesem Heft).
Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die im September 2007 von den Vereinten Nationen verabschiedete „Deklaration der Rechte Indigener Völker“ bilden den Rahmen für die Formulierung der Rechte indigener Völker in den Unterzeichnerstaaten. Darin werden etwa die Kollektivrechte, indigene Rechtssysteme sowie Rechte auf Territorien und Ressourcen anerkannt, und der Staat wird dazu verpflichtet, entsprechende Maßnahmen und Politiken einzuleiten.
Die ILO-Konvention 169
Die anstehende Verabschiedung des Gesetzesentwurfs zur Vorabkonsultation der indigenen Völker in Peru wird aufmerksam beobachtet. Peru hatte schon 1994 die ILO-Konvention 169 ratifiziert, sie aber nicht angewandt. Das führte zu Protesten und Ausschreitungen, im Juni 2009 kamen dabei in Bagua (Department Amazonas im Nordosten Perus) 33 Menschen ums Leben. Die Indigenen hatten die Abschaffung einiger Gesetze gefordert, die 2008 erlassen worden waren, ohne dass sie vorab konsultiert worden wären – wie es die von Peru ratifizierte ILO-Konvention 169 verlangt, sofern deren Kollektivrechte unmittelbar betroffen sind.
Der Gesetzesentwurf zur Vorabkonsultation der indigenen Völker wurde an den Kongress gesandt, um den Dialog zwischen Staat und Indigenen zu regeln. Präsident Alan García gab das Gesetz an den Kongress zurück, weil Änderungen notwendig seien. Der Staat dürfe nicht in Entscheidungen eingeschränkt werden, die das Interesse der gesamten Bevölkerung betreffen. Nach Ansicht Garcías stärkt das Gesetz partikulare Interessen der indigenen Völker, die denen der Regierung entgegenstehen. Die definitive Verabschiedung des Gesetzes wird somit vertagt. Viele Kongressabgeordnete sprechen sich aber für eine baldige Aufnahme des Dialoges mit den Indigenen aus, um das Gesetz definitiv zu verabschieden, wie es die ILO-Konvention 169 verlangt.
Laut Statistik nehmen die Konflikte in Peru zu: Kam es im Juni 2008 zu 132 Auseinandersetzungen, so waren es im Juni 2009 bereits 273, also doppelt so viele, vor allem in den Regionen Cajamarca, Cusco, Junín, Lima und Puno. Auf regionaler Ebene überwiegen Umweltkonflikte. Fast immer, in 86 Prozent aller Fälle, wird erst dann der Dialog mit den Betroffenen aufgenommen, wenn es bereits zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen ist – und damit im denkbar schlechtesten Moment, denn dann sind die Gruppen bereits radikalisiert.
Die Hanns-Seidel-Stiftung versucht, dem mit entsprechender Fortbildung entgegenzuwirken. Sie informiert Repräsentanten der lokalen und regionalen Regierung, der Justiz wie auch der Zivilgesellschaft in Workshops über die Rechtslage bezüglich nationaler Gesetzgebung und internationaler Konventionen.
Gefährdeter Frieden
Peru ist das Andenland mit der schwächsten indigenen innenpolitischen Repräsentanz. Für den gesellschaftlichen Frieden Perus ist es daher sehr wichtig, Vertreter indigener Gemeinschaften dauerhaft einzubeziehen und zu schulen, wie etwa in Seminaren der Hanns-Seidel-Stiftung. Die fehlende Rechtskenntnis der Zivilgesellschaft und der indigenen Bevölkerung führt dazu, dass es sehr schwierig ist, Gesetze und Maßnahmen umzusetzen – auch, weil der Staat die Informationen nicht in deren Sprachen verfügbar macht. Bei der Wissensvermittlung ist nicht nur die Erfahrung der Einheimischen zu integrieren, sondern auch auf eine einfache Sprache zu achten. Was die Vertreter in den Workshops lernen, bereiten sie in lokalen Radiosendungen auf – in Spanisch und in Quechua. So wird das Wissen für eine größere Bevölkerungsgruppe zugänglich.
Aufkeimende Konflikte sollten frühzeitig entschärft werden. Da die Projektpartner oft tatsächlich die Ersten sind, die zu Rate gezogen werden, werden ihnen zusätzliche Workshops zur Konfliktlösung angeboten. Fortbildungen, Runde Tische und Öffentlichkeitsarbeit sind sinnvoll, um Mitarbeitern der regionalen und lokalen Regierungen, des Justizwesens und auch der Zivilgesellschaft die bestehenden internationalen Konventionen und die nationale Rechtsprechung im Umweltbereich zu vermitteln. Partner der Hanns-Seidel-Stiftung ist hierbei die international renommierte Nichtregierungsorganisation „Instituto de Defensa Legal“ (IDL) in Lima, die sich in Peru seit Jahrzehnten für Demokratie und Menschenrechte einsetzt.
Rückschritte und Konflikte
Die jüngsten Entwicklungen in Peru zeigen, dass die Stärkung des Demokratieverständnisses sowie der Rechte einzelner Gemeinschaften Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit und unbedingt
nötig ist. Wenn die Arbeit renommierter Institutionen diffamiert wird, die sich für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und des Umweltschutzes engagieren, zeugt das nicht von einer gut funktionierenden Demokratie. Auch der Versuch, den britischen Geistlichen John McAuley auszuweisen, der sich für Indigene und den Umweltschutz im Amazonasgebiet einsetzt, belegt, dass der Regierung soziales und umweltpolitisches Engagement ein Dorn im Auge ist. Der Oberste Gerichtshof der Region Loreto konnte den Ausweisungsbefehl des peruanischen Innenministeriums letztlich stoppen. Aber auch das Vorgehen der Regierung gegen „unbequeme“ Radiosender spricht Bände: Der bekannteste Fall war die vorübergehende Schließung des Radiosenders „Die Stimme Baguas“ (La Voz de Bagua). Dieser hatte im Jahr 2009 ausführlich über die gewaltsamen Ausschreitungen in Bagua berichtet. Dank etlicher einflussreicher Institutionen darf der zuvor relativ kleine und unbekannte Sender mit Verweis auf Informations- und Meinungsfreiheit nun wieder senden.
Die Rückschritte in der Demokratieentwicklung und die vielen sozialen Konflikte im Land erklären auch, warum die derzeitige Regierung Alan Garcías zu einer der unbeliebtesten Regierungen Lateinamerikas zählt. Auch in seinem letzten Amtsjahr konnte der Präsident nicht den Widerspruch zwischen den positiven makroökonomischen Daten und der enormen Unbeliebtheit seiner Regierung überwinden.
Nur wenn es der Regierung gelingt, den Umweltschutz und die Stärkung des Rechtsstaats zu fördern sowie die anhaltende Marginalisierung der indigenen Bevölkerung zu überwinden, wird eine friedliche und nachhaltige Entwicklung möglich sein.