Wissenschaft
Grünschattierungen
Die Begriffe „grünes Wachstum“ und „grüne Wirtschaft“ stehen dafür, ökonomische Interessen und wachsende Volkswirtschaften mit Umweltschutz zu vereinbaren. Sie stehen seit einigen Jahren auf der Agenda von Politikern sowie Wissenschaftlern und haben die internationale Debatte in einer Zeit von Rezession und Finanzkrisen angeheizt. Leitidee ist die Umsetzung des Prinzips nachhaltiger Entwicklung, das die internationale Gemeinschaft auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992 definiert und auf der Bestandsaufnahme-Konferenz Rio+20 im vergangenen Jahr erneut bestätigt hat. Ziel ist die Armutsbeseitigung und gleichzeitige Respektierung der ökologischen Grenzen unseres Planeten.
Im Vorfeld von Rio+20 entschieden sich einige Entwicklungsländer für Strategien für eine grüne Wirtschaftsentwicklung, während viele andere dies zumindest erwogen. Costa Rica, Sri Lanka, Mauritius, Ghana und Bangladesch gehören zu den vielen Entwicklungsländern, die ökologische Fragen in ihren nationalen Entwicklungsplänen berücksichtigen. Wegen ihrer nationalen Strategien für grünes Wachstum gelten Ruanda und Äthiopien als leuchtende Vorbilder in Afrika.
Der Wunsch nach stärker ökologisch nachhaltiger Politik zeigt sich in der Erklärung von Bamako, auf die sich die Minister auf einer Konferenz der Afrikanischen Union 2010 einigten (zitiert in UNEP 2011): „Wir werden unseren Teil tun, um beim Übergang zu einer grünen Wirtschaft in Afrika voranzugehen ... um sicherzustellen, dass grüne Ökonomien zu nachhaltiger Entwicklung und zu Armutsbekämpfungszielen beitragen.“
Während andere politische Führungspersönlichkeiten das ähnlich optimistisch sehen, gibt es auch skeptische Stimmen. Einige Experten bezweifeln, dass grünes Wachstum viel dazu beitragen kann, die Armut zu reduzieren. Die Kernfrage ist, ob umweltfreundliche Politik eher positive oder nachteilige Folgen für die Armen hat.
Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst herausarbeiten, wer die Armen sind, wo sie leben und wie sich Strategien für grünes Wachstum auf ihre Lebensbedingungen auswirken. Dank der Grundlagenarbeit von Andy Sumner (2012, 2012b) wissen wir, dass die Mehrheit der Armen der Welt nicht mehr in Ländern mit niedrigem Einkommen (Low-Income-Countries) lebt, sondern in Ländern mit mittlerem Einkommen (Middle-Income-Countries). Es muss daher berücksichtigt werden, dass die Auswirkungen grüner Politik in Low-Income-Countries sich deutlich von denen in Middle-Income-Countries unterscheiden können.
Die meisten Forschungsergebnisse von internationalen Organisationen und Geberagenturen bescheinigen grünen Wachstumsstrategien derzeit deutliche Vorteile für Low-Income-Countries. Das UN-Environment Programme (UNEP, 2011) argumentiert etwa, dass viele der am wenigsten entwickelten Länder (Least-developed countries, LDCs) profitieren würden. Der Hauptgrund ist, dass ihr Naturkapital bisher von großer Bedeutung für die Wirtschaftsaktivitäten ist und nicht durch umweltschädigende Branchen beeinträchtigt werden sollte. Zudem bieten erneuerbare Energielösungen überzeugende Optionen für ländliche Elektrifizierung, die dazu beitragen kann, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Gleichzeitig generiert ein Wachstum des Sektors erneuerbare Energien Arbeitsplätze vor Ort.
Ähnlich zielt die gegenwärtige Strategie Äthiopiens für eine klimaverträgliche grüne Wirtschaft darauf hin, durch erneuerbare Technologien und Energieeffizienz den Status eines Middle-Income-Countrys zu erreichen. Es werden Themen angepackt wie ländliche Elektrifizierung, eine verbesserte Produktivität im Agrarbereich und besserer Waldschutz. Die Machbarkeit hängt sicherlich von der internationalen Klimafinanzierung und CO2-Zertifikaten ab, aber die Strategie hat zweifellos großes Potenzial.
Zweischneidige Perspektive
Für Länder mit mittlerem Einkommen und aufstrebenden Märkten sieht die Sache dagegen anders aus. Viele von ihnen haben in den vergangenen Jahren hohe Wachstumsraten verzeichnet, die auf großem CO2-Ausstoß beruhen. Ein Großteil ihrer bestehenden Infrastruktur basiert auf der Nutzung fossiler Brennstoffe. Dementsprechend wird die Umwandlung hin zu einer grünen Wirtschaft in ökonomischer und politischer Hinsicht teuer sein. Sich verschlechternde ökologische Bedingungen werden sich natürlich nachteilig für viele arme Menschen auswirken. Das werden aber steigende Energiepreise auf andere Weise ebenfalls tun.
Strategien für grünes Wachstum sind daher für arme Menschen in Ländern mit mittlerem Einkommen zweischneidiger als in Ländern mit niedrigem Einkommen. Was die Armut betrifft, argumentieren Holle Wlokas et al. (2012), dass es für Länder mit mittlerem Einkommen ratsamer sei, sich stärker auf die Abschwächung der Folgen des Klimawandels zu konzentrieren als auf Klimaschutz selbst. Ihre Einschätzung basiert auf verschiedenen Fallstudien.
Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen warnen vor der hastigen Einführung grüner Wachstumsstrategien, ohne eine vorherige sorgfältige Folgenanalyse. Es könnte tatsächlich sogar in Ländern mit geringem Einkommen so sein, dass ökologische Nachhaltigkeit bedeutende Kompromisse bei der Armutsbekämpfung erfordert. Danielle Resnick et al. (2012) haben etwa gezeigt, dass grüne Wachstumspolitik Länder wie Malawi dazu ermutigen kann, ihre Strategien auf eine Weise zu verändern, die nicht mit ihrem komparativen Kostenvorteil und bisherigen Entwicklungsplanung vereinbar sind.
Resnick et al. beziehen sich auf Malawis erfolgreiches Agricultural Input Subsidy Programme (AISP), das durch die Förderung von Düngung die ländliche Armut verringert und deutlich die Nahrungsmittelsicherheit verbessert hat. Die Kehrseite ist, dass AISP zu mehr Treibhausgas-Emissionen führt, weil es auf chemischen Düngern basiert. Malawis Regierung muss daher zwischen einer erwiesenermaßen erfolgreichen Strategie und anderen Ansätzen wählen, die zwar langfristig nachhaltiger sind, aber die Armut kurzfristig weniger reduzieren. Die Nutzung organischen Düngers wäre etwa ebenso sinnvoll wie Zwischenfruchtbau und schonendes minimales Pflügen. Allerdings sind diese Praktiken in Malawi nicht üblich.
Im Gegensatz zu vielen Berichten, nach denen die Armen von grüner Politik profitieren, geht Stefan Dercon (2012) vom Gegenteil aus. Nach herkömmlicher Entwicklungstheorie ist ökonomisches Wachstum das Ergebnis eines Strukturwandels, bei dem die Landwirtschaft an Bedeutung verliert, während andere Sektoren höhere Erträge generieren und dadurch florieren. Dercon betont aber, dass die neuen Industrien arbeitsintensiv sein müssen, wenn die Armen von diesem Wandel profitieren sollen. Er warnt davor, dass eine grüne Politik, die sich auf kapitalintensive Technologien und ausgebildete Arbeitskräfte stützt, nicht die Lebensbedingungen der Armen verbessern werde. Denn sie lasse die Arbeiter aus ländlichen Gebieten außen vor.
Solche Forschung zeigt, dass grünes Wachstum sicher kein Allheilmittel ist. Die politischen Auswirkungen müssen in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Es ist sinnvoll, eine Bandbreite an grünen Ideen in Betracht zu ziehen und Länder ihre eigenen Grünschattierungen auf ihre spezifischen Bedürfnisse hin zuschneiden zu lassen.
Ausblick
Augenscheinlich gibt es einen Bedarf an mehr Forschung zu diesem Thema. Wir müssen die lokalen Auswirkungen grüner Wachstumsstrategien besser verstehen und die Wechselwirkung zwischen kurzfristigen und langfristigen Effekten beurteilen. Ein Großteil der bestehenden Literatur basiert auf stilisierten Fakten. Deshalb sind mehr empirische Belege notwendig, um gute politische Strategien für Entwicklungsländer zu entwerfen.
Die jährlich stattfindende PEGNet-Konferenz wird sich in diesem Jahr am 17. und 18. Oktober in Kopenhagen mit diesen Themen beschäftigen. PEGNet ist ein Netzwerk für Armutsbekämpfung, Gleichheit und Wachstum, das Forschungsinstitutionen, Politiker und Entwicklungsorganisationen auf einer internationalen Ebene zusammen bringt. Finanziert wird es unter anderem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, von GIZ und KfW sowie vom Kieler Institut für Weltwirtschaft und der Universität Göttingen. Die diesjährige Konferenz wird in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kopenhagen ausgerichtet. Als innovative Neuheit ist eine „Speedmatching session“ geplant, bei der Nichtregierungsorganisationen mit Entwicklungsforschern, Regierungsorganisationen und Politikern zusammen gebracht werden.
Linda Kleemann forscht als Postdoktorandin am Kieler Institut für Weltwirtschaft und ist Geschäftsführerin von PEGNet.
linda.kleemann@ifw-kiel.de
Pablo Selaya ist außerordentlicher Professor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kopenhagen und Gastdozent an der Harvard University.
pablo.selaya@econ.ku.dk
Kacana Sipangule ist Doktorandin an der Universität Göttingen sowie Forscherin am Kieler Institut für Weltwirtschaft und am German Institute for Global Area Studies (GIGA). Sie koordiniert die PEGNet-Konferenz.
kacana.sipangule@ifw-kiel.de