Interview
„Die Zeit ist knapp“
Das Abkommen von Paris behandelt zum ersten Mal Verluste und Schäden, die durch den Klimawandel entstehen, schließt aber zugleich die Haftung der Industrieländer als Hauptverursacher aus. Wie lässt sich das sinnvoll lösen?
Verluste und Schäden haben die Verantwortlichen im Klimasekretariat bei den Vereinten Nationen (UNFCCC) schon länger im Visier, auch wenn sich diese im Detail nie ganz genau beziffern lassen werden. Aber es ist gut, eine möglichst genaue Gesamtinventur über Klimawandelfolgen und -kosten zu haben. Natürlich liegt es nahe, die Verursacher historischer und aktueller Emissionen zur Kasse zu bitten und Kompensationszahlungen zu fordern. Ich glaube aber, dass die verantwortlichen Entscheider befürchten, dann Länder wie China oder USA im UNFCCC-Prozess zu verlieren. Damit wäre dem Klima überhaupt nicht gedient. Das Wort Kompensation war am Verhandlungstisch nicht nur in Paris mehr als heikel.
Grundsätzlich können Versicherungen Schäden kompensieren, und davon war in Paris auch die Rede. Lässt sich das in sehr armen Ländern wirklich machen? Dort brauchen viele Menschen ihr Einkommen für den täglichen Bedarf und sind kaum bereit, in Schutz vor Schäden zu investieren, die vielleicht gar nie eintreten?
Bestimmte Schäden, die etwa durch den beschleunigten Meeresspiegelanstieg oder längerfristige Gletscherschmelze verursacht werden – also sogenannte „slow-onset events“ –, kann man nicht versichern. Denn sie treffen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr große Regionen und die Schäden sind monetär nicht berechenbar. Das Risiko lässt sich also versicherungsmathematisch nicht umverteilen. Bei Schäden durch Wetterextreme wie Dürren, Stürme und Fluten geht das aber sehr wohl. Ich bin in der Munich Climate Insurance Initiative (MCII) aktiv. Wir haben da beispielsweise in der Karibik eine Deckung für starke Stürme oder Fluten für Menschen mit sehr niedrigem Einkommen entwickelt, die deren Lebensgrundlagen absichern. Für den Gegenwert von etwa vier Mittagessen kann man sich eine Versicherungspolice (Livelihood Protection Cover) kaufen und ist dann gegen Extremwetter wie Stürme und Fluten versichert. Diese Art von „Climate Insurance“ stößt zunehmend auf Interesse, auch in der Politik im Kontext der Anpassung.
Das Pariser Abkommen äußert den Ehrgeiz, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür müsste sofort gehandelt werden, aber erst in fünf Jahren sollen die freiwilligen Selbstverpflichtungen verschärft werden. Was bedeutet das?
Damit sprechen Sie ein Kernproblem an. Es ist klar, dass Länder wie beispielsweise die kleinen Inselstaaten im Pazifik, denen schon heute das Wasser bis zum Hals steht, bereits bei 1,5 Grad schlimme Schäden hinnehmen müssen. Insofern verstehe ich das ambitionierte Ziel sehr gut. Nur: Es ist technisch kaum machbar.
Da helfen auch Methoden wie Geo-Engineering, beispielsweise das viel diskutierte CCS (Carbon Capture and Storage), das Abscheiden von CO2 bei der Emission und die anschließende Einlagerung im Erdinneren, nicht . Die Idee dabei ist, Biogas für die Energiegewinnung zu nutzen, wobei die Emissionen eingefangen werden. Dann ergeben sich sogar negative Emissionen. Was aber die Einlagerung im Erdinneren angeht fürchte ich, dass die gesellschaftliche und politische Akzeptanz dafür weltweit wohl kaum zu erreichen sein wird. Das gilt auch für andere Ideen, die vorschlagen, unsere Atmosphäre so zu verändern, dass sie sich weniger aufheizt.
Die Zeit ist knapp. Das hat uns der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) gut vorgerechnet. Die Zeitverzögerung, die das Paris-Abkommen jetzt ermöglicht, sehe ich als sehr ernstes Problem. Wir müssten eigentlich bereits gestern mit starken Emissionsreduktionen angefangen haben, wenn wir nur das 2-Grad-Ziel schaffen wollen. Jedes Jahr, das verstreicht, verschlechtert unsere Chancen, den Klimawandel zu stoppen.
Die Industrieländer haben nochmals bestätigt, dass sie ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Anpassung an den Wandel in Entwicklungsländer mobilisieren wollen. Darin sind aber Privatinvestitionen enthalten, die Regierungen per Definition nicht steuern können. Worauf sollen wir uns einstellen?
Die 100 Milliarden Dollar ab 2020 sind keine Neuigkeit, das hört man jetzt schon seit Jahren. Absichtserklärungen und Zusagen – sogenannte Pledges – gibt es viele. Abgerechnet wird zum Schluss. Die Mittel, die bis dato im sogenannten Green Climate Fund angespart sind, sind recht überschaubar und man darf gespannt sein, wie das 2020 aussieht. Auch die Beiträge der Privatwirtschaft, die sich die Regierungen so sehr wünschen, sehe ich derzeit noch nicht. Die Wirtschaft wird erst dann viel investieren, wenn es sich lohnt – das liegt in der Natur der Sache. Im Bereich der Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft, den sogenannten Public-private Partnerships (PPP), braucht es gute Angebote auf beiden Seiten und einen langen Atem. Hier wird im Moment noch mehr geredet als gehandelt.
Im Abkommen kommt das Wort „Dekarbonisierung“ nicht vor, obwohl es in der Praxis auf Dekarbonisierung ankommen wird. Welche Konsequenzen hat das?
Ohne Dekarbonisierung schaffen wir gar kein Ziel, weder das 2-Grad-, noch das 1,5-Grad-Ziel. Wenn wir überhaupt ein Ziel erreichen wollen, muss die Weltgemeinschaft spätestens zwischen 2050 und 2070 CO2-neutral wirtschaften. Das mutet angesichts heutiger Emissionen mehr als ambitioniert an. Gut ist aber, dass die Dekarbonisierung und beispielsweise die Debatte um das „Divestment“, also den Ausstieg aus Geldanlagen in fossile Energie, einen deutlichen Schub erfahren haben. Wenn es die Regierungen nicht schaffen, den Klimawandel zu stoppen, dann hat die Wirtschaft eine große Chance und Aufgabe. Auch wenn das Paris-Abkommen hier noch nicht sehr konkret ist, hoffe ich darauf.
Mir scheint, dass nach Paris noch genauso viele Fragen offen sind wie vorher. Welchen konkreten Fortschritt hat das Abkommen denn gebracht?
Auch wenn meine Antworten ein wenig pessimistisch klingen: COP21 war ein großer Erfolg. Die Euphorie am Ende der Gipfels war vielleicht etwas verfrüht, denn, wie gesagt, die Vereinbarungen müssen erst noch umgesetzt werden und im Abschlussdokument tauchen Formulierungen wie „Länder sollten“ – auf Englisch „should“– noch sehr oft auf. Aber stellen Sie sich vor, Paris hätte kein Ergebnis gebracht oder die Staaten hätten sich am Ende verweigert. Dann wäre der Verhandlungsprozess – gerade auch nach dem Debakel vom Klimagipfel in Kopenhagen 2009, der mit Pauken und Trompeten scheiterte – insgesamt in Frage zu stellen. Ein Abbruch des UNFCCC-Prozesses hätte weitreichende Folgen für uns alle. Bei Klimakonferenzen ist es wie bei Verhandlungen zu Frieden und Sicherheit: Auch wenn einzelne Teilergebnisse nicht voll zufriedenstellend sind, wäre es um die Welt viel schlechter bestellt, wenn gar nicht verhandelt würde. Insofern bewerte ich den Klimagipfel von Paris trotz der geäußerter Kritik als großen Erfolg.
Thomas Loster ist Geschäftsführer der Münchener Rück Stiftung. Er hat an 20 Klimagipfeln teilgenommen.
tloster@munichre-foundation.org