Ölmärkte
Der Fall der Mächtigen
Die globalen Ölpreise sind in den vergangenen Monaten drastisch gesunken. Das hat mit dem vermehrten Fracking in den USA und einer weltweiten Zunahme erneuerbarer Energien zu tun. Aktuell drückt zudem die Corona-Krise die Preise. Die Organisation erdölexportierender Länder (Organization of Petroleum Exporting Countries – OPEC) hat versucht, die Produktion zu drosseln, um die Preise hoch zu halten, aber das wird immer schwieriger (siehe meinen Kommentar im Schwerpunt des E+Z/D+C e-Paper 2020/05).
Im April 2019 kostete ein Barrel OPEC-Öl (gewichteter Durchschnitt der OPEC-Mitgliedstaaten) etwa 70 Dollar. Ein Jahr später lag der Preis tagesaktuell zwischen 20 und 30 Dollar. Der Website Hydrocarbon Engineering zufolge wurden im ersten Quartal 2020 weltweit täglich 3,8 Millionen Barrel pro Tag (barrels per day – bpd) weniger nachgefragt als im gleichen Zeitraum 2019. Auf der Website heißt es: „Dies entspricht einer Abwärtskorrektur von 4,5 Millionen bpd gegenüber Schätzungen vor dem Covid-19-Ausbruch. Nie zuvor wurde ein derartiger vierteljährlicher Rückgang verzeichnet.“
Die zunehmende Konkurrenz von Nicht-Kartell-Produzenten wie Russland, Norwegen und USA hat den Einfluss der OPEC geschwächt. Heute hat das Kartell mit einem Anteil von gerade einmal rund einem Drittel am Weltölmarkt keine dominante Position mehr. Was die OPEC an Produktion senkt, gleichen andere Länder aus. OPEC-Mitglieder sind die Öl-Königreiche im Nahen Osten, Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate, sowie Iran, Irak, Libyen und Algerien. Auch fünf afrikanische Länder und Venezuela gehören dazu. In einem gewissen Rahmen kooperiert zudem Russland mit der OPEC.
Die Länder des Nahen Ostens dominieren die OPEC. Der Sturz der Weltölpreise trifft sie mitten in der Bemühung, ihre Volkswirtschaften zu diversifizieren. Sie wollen weniger abhängig von Ölexporten werden. Diversifizierung erfordert teure Investitionen – der massive Einbruch der Öleinnahmen erschwert dies.
Der Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council – GCC: Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, Katar, Bahrain und Oman) produziert immer noch etwa ein Fünftel des weltweiten Öls. Doch sein Vermögen hängt eng mit dem der OPEC zusammen. Die Aussichten sind momentan düster.
Die steuerlichen Folgen sinkender Öleinnahmen könnten größer und akuter sein als in den Prognosen der GCC-Länder, warnte der Internationale Währungsfonds (IWF) Anfang dieses Jahres in seinem Bericht „Die Zukunft des Öls und die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in der GCC-Region“. Und: „Bei der aktuellen Haushaltslage könnte der Wohlstand der Region bis 2034 erschöpft sein.“
Investoren anlocken
Die Abschwächung durch den langfristigen Ölpreisverfall und die Corona-Pandemie haben auch das Interesse ausländischer Investitionen aus Nicht-Öl-Branchen im Nahen Osten gedämpft. Die Ölmonarchien wollen Investitionen in technische Branchen anleiern und neue Exportmärkte erschließen. Entsprechend interessieren sie sich für ausländische Direktinvestitionen und internationale Joint Ventures in der Fertigung.
Die negativen Aussichten der Region schrecken Anleger ab. Der Analyst Jihad Azour wies Ende März in einem IWF-Blog darauf hin: „Niedrigere Exporteinnahmen werden externe Positionen schwächen und Einnahmen senken, Staatshaushalte unter Druck bringen und auf die restliche Wirtschaft übergreifen.“ Er ergänzte, dass die hohe „globale Risikoaversion und die Kapitalflucht zu sicheren Vermögenswerten seit Mitte Februar zu einem Rückgang der Portfolioströme in die Region um fast 2 Milliarden Dollar“ geführt haben.
Für das OPEC-Mitglied Iran sieht es besonders düster aus. Es kämpft mit den Folgen der US-Sanktionen – unter anderem werden ausländische Investitionen in den Energiesektor des Landes blockiert. Die iranische Regierung prognostiziert, dass die Öleinnahmen im nächsten Geschäftsjahr um 70 Prozent sinken werden. Das Wirtschaftswachstum des Landes wird 2020 voraussichtlich bei null liegen. Seine beträchtlichen Kohlenwasserstoffreserven sind derzeit keine Hilfe.
Die einzige Hoffnung für die Ölproduzenten im Nahen Osten ist, dass ein Rückgang des Weltölpreises auch den US-Ölproduzenten schadet. Die Schieferöl-Revolution hat die USA zu einem Netto-Öl-Exporteur gemacht. Präsident Donald Trump hat die heimische Industrie dafür gelobt, die Abhängigkeit der USA von ausländischem Öl verringert, hoch bezahlte Jobs geschaffen und die Steuereinnahmen erhöht zu haben. Liegen die Preise unter einem bestimmten Niveau, bedeutet das jedoch, dass die US-Unternehmen Schieferöl nicht mehr rentabel produzieren können. Womöglich müssen etliche aufgeben.
Sobald der Ölpreis steigt, würden gewiss neue Fracking-Unternehmen Schieferöl ausbeuten. Für die OPEC ist die Lage unangenehm: Produzieren Mitglieder weniger, stabilisieren sich die Preise – zum Nutzen der OPEC-Konkurrenten. Produzieren sie mehr, leidet die Konkurrenz, aber auch die eigenen Einnahmen sinken. Es ist unmöglich, die Konkurrenz über niedrige Preise zu verdrängen und eine Art Monopol zurückzugewinnen, da steigende Preise wieder zu Wettbewerb führen. Das Wissen, dass fossile Brennstoffe Hauptursache für die Klima-krise sind, erhöht den Druck. Auch multinationale Ölfirmen stehen unter Druck (siehe Kasten).
Die Lage ist völlig anders als 1973, als die Organisation der arabischen erdölexportierenden Staaten ein Embargo verkündete, den Ölpreis innerhalb von sechs Monaten vervierfachte und so die Weltwirtschaft ins Wanken brachte. 1979 folgte eine zweite Ölkrise mit ebenso drastischen Folgen. Heute sorgen die Verbraucher für diese Schocks – unterstützt von konkurrierenden Nicht-OPEC-Produzenten. Erstaunlich, wie tief die Mächtigen gefallen sind.
Links
Hydrocarbon Engineering, 2020: IHS Markit predicts largest oil demand fall in history.
https://www.hydrocarbonengineering.com/special-reports/05032020/ihs-markit-predicts-largest-oil-demand-fall-in-history/
IMF, 2020: The future of oil and fiscal sustainability in the GCC region.
https://www.imf.org/en/Publications/Departmental-Papers-Policy-Papers/Issues/2020/01/31/The-Future-of-Oil-and-Fiscal-Sustainability-in-the-GCC-Region-48934
Aviva Freudmann ist freiberufliche Wirtschaftsjournalistin mit Sitz in Frankfurt. Sie unterstützt die Redaktion von E+Z/D+C regelmäßig. Omid Shokri Kalehsar aus Washington hat als Energie- und Sicherheitsanalyst sowie als Gastdozent an der George Mason University Recherchen für diesen Artikel durchgeführt.
euz.editor@dandc.eu