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Fachliteratur

Teilhabe und Chancengleichheit

Einer der größten Erfolge der Bewegung von Menschen mit Behinderungen ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wir stellen Literatur zur Konvention und zum Thema vor. Von Constanze Schmoger
Gebärdensprache ermöglicht Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Donal Husni/GIZ Gebärdensprache ermöglicht Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Die Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der unser Verständnis von Menschenrecht erweitert. Kein bisheriger Konventionstext spricht stärker mit der Stimme von Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen.  

Bislang werden Menschen mit Behinderungen oft vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Die Konvention spiegelt ein neues Verständnis von Behinderung wider, das Millionen von Menschen mit Behinderungen und ihre Familien nicht mehr nur als Empfänger von Wohltätigkeiten, sondern endlich als Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten begreift. Der Vertrag, den inzwischen 147 Länder unterzeichnet haben, trat vor acht Jahren in Kraft.


Inklusion ist Partizipation

Die Bedeutung von Partizipation als „neue Art der Diplomatie“ nehmen sich Sabatello und Schulze zum Thema ihres 2013 erschienenen Buches „Human Rights and Disability Advocacy“. Darin bekommen Leser tiefgründige Einblicke in den partnerschaftlichen Verhandlungsprozess zur Konvention: Menschen mit Behinderungen und ihre Interessenvertretungen wurden darin beispielhaft einbezogen. Dies ist unbestreitbar ein historisch erstmaliges Ereignis und integraler Bestandteil des Paradigmenwechsels innerhalb des Menschenrechtsdiskurses.

Das Buch vereint verschiedene Blickwinkel der zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteure und zeigt so, welchen Einfluss ihre Teilhabe auf die generelle Weiterentwicklung der Menschenrechte hat. Gleichzeitig ist es ein entschlossener Appell an alle entwicklungspolitischen Akteure, diese „neue Art der Diplomatie“ zu pflegen und weiter voranzutreiben. Denn die internationale Gemeinschaft der Menschen mit Behinderungen steht vor einer noch größeren Herausforderung: Die Einstellungen und Umgangsweisen gegenüber Menschen mit Behinderungen müssen sich ändern.

Sowohl inhaltlich als auch methodisch richtungweisend ist der erste Weltbericht Behinderung von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Weltbank. Er stellt nach dem Inkrafttreten der Konvention im Mai 2008 die größte Sammlung und Aufarbeitung bisher bekannter Daten, Fakten und Quellen zu Behinderung weltweit dar. Zudem arbeiteten daran Menschen aus mehr als 70 Ländern zusammen – sowohl aus der Zivilgesellschaft als auch aus staatlichen Organisationen.

Der Bericht zeigt den immensen Bedarf nach verbesserten Methoden der Datenerhebung und stärkerer Differenzierung nach Art der Behinderung. Ein realistisches Bild über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen – besonders Mädchen und Frauen – in den verschiedenen Lebenssituationen ist unabdingbar, um die spezifischen Bedürfnisse für entwicklungspolitische Maßnahmen erfassen zu können.


Inklusion braucht fundierte Daten

Seit Mitte der 1990er Jahre gibt das Kinderhilfswerk UNICEF in der Reihe „The State of the World‘s Children“ einen aktuellen Überblick über die Situation von Kindern weltweit. 2013 widmete sich die Serie Kindern mit Behinderungen. Der Bericht ist so gut wie möglich mit Kennzahlen, begleitenden Daten und Statistiken gespickt und betont die verheerende Situation von Kindern mit Behinderungen weltweit.

Er beginnt mit einer Analyse der Ursachen für Ausgrenzung, zeigt bestehende Barrieren und Lösungen in verschiedenen Lebenssituationen auf. Der Bericht endet mit klaren Agendapunkten für Inklusion: Er empfiehlt den Abbau von Barrieren, eine Entwicklung weg von Heimen und hin zu selbstbestimmtem Leben, gibt Vorschläge für die Koordination von Dienstleistungen und zur Unterstützung von Familien und plädiert dafür, Kinder mit Behinderungen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Inklusion von Menschen mit Behinderungen in die Berufsbildung erfährt weltweit große Aufmerksamkeit. Das liegt zum einen an der Entstehung verschiedener nationaler Gesetzgebungen zur Inklusion, andererseits an dem Wunsch, Menschen mit Behinderungen ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen. Die ILO veröffentlicht seit vielen Jahren eine Serie von Ratgebern und Instrumenten, um die Ausbildung, das Training und die Beschäftigung dieser Personengruppe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voranzubringen.

Der zuletzt erschienene ILO Praxisleitfaden „Inclusion of People with Disabilities in Vocational Training“ basiert auf allen internationalen Gesetzgebungen sowie den seit 1955 zu diesem Thema existierenden ILO-Standards, Empfehlungen und Konventionen. Er richtet sich erstmals konkret an Leiter von Berufsbildungseinrichtungen, Berufsschullehrer und Arbeitgeber. Kernstück dieser Publikation sind Ratschläge und Handlungsanweisungen, wie Menschen mit Behinderungen in die Berufsausbildung integriert und in eine geregelte Beschäftigung gebracht werden können.

„One in Seven“, so überschreibt der Disability Rights Fund (DRF) seinen ersten Jahresrückblick. Jeder Siebte, das sind weltweit eine Milliarde Menschen, die mit einer Form von Behinderung leben. Der DRF ist ein internationaler Fonds, der Selbsthilfe­organisationen auf lokaler Ebene direkt unterstützt und berät. Der Bericht gibt einen sehr pointierten Überblick über die Bewegung der Menschen mit Behinderungen und veranschaulicht die Dynamik des sich ständig wandelnden (Menschen-)Rechtsbegriffs. Außerdem zeigt er auf, was konkrete Maßnahmen erreicht haben.

Es wird sehr deutlich, welch zerstörerischen Effekt die Kombination aus Armut, Behinderung und nicht vorhandener politischer Stimme hat. Der Bericht zeigt auch, wie viel es zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen beiträgt, Selbsthilfeorganisationen zu beraten und finanziell zu stärken. „One in Seven“ ist ein Aufruf an alle Akteure, besonders bi- und multilaterale Geber, den Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, sie partizipatorisch in Entscheidungsprozesse einzubinden und ihre Entwicklung aktiv zu unterstützen.


Frauen und Mädchen mit Behinderungen

Frauen und Mädchen mit Behinderungen werden zweifach ausgeschlossen: aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung. Dieser Tatsache versucht Mobility International USA (MIUSA) seit ihrer Gründung in den 80er-Jahren gerecht zu werden. Als Nichtregierungsorganisation von Menschen mit Behinderungen fördert sie durch diverse Programme den internationalen Austausch von Menschen mit Behinderungen.

Eines ihrer interessanten Austausch­programme ist das Women’s Institute on Leadership and Disability (WILD), in dessen Rahmen sich jährlich Rechtsaktivistinnen mit Behinderungen aus Entwicklungsländern in den USA treffen. Ihnen geht es in erster Linie darum, ihre Führungs- und Managementfähigkeiten sowie die eigenen Netzwerke für eine inklusive Entwicklung im eigenen Land zu erweitern. Der 2013 erschienene sehens- und lesenswerte Fotoband „Brilliant & Resilient“ von MIUSA dokumentiert 50 dieser außergewöhnlichen Erfolgsgeschichten von Rechtsaktivistinnen mit Behinderungen in Entwicklungsländern.

Die Protagonistinnen gewähren dem Leser sehr persönliche und einzigartige Einblicke in ihre individuellen Lebenssituationen. Sie erzählen von Diskriminierung und Ungerechtigkeit ihnen gegenüber und wie sie sich schließlich ihr eigenes Recht auf Bildung, Arbeit, politische Teilhabe oder Gesundheitsdienstleistungen erkämpft haben.


Constanze Schmoger arbeitet bei der GIZ im Sektorvorhaben Inklusion von Menschen mit Behinderungen. constanze.schmoger@giz.de

 

Literatur:
Disability Rights Fund, 2013: One in Seven – How One Billion People are redefining the Global Movement for Human Rights. Boston: DRF.
International Labour Organisation (ILO), 2013: Inclusion of People with Disabilities in Vocational Training: A Practical Guide. Geneva: ILO.
Mobility International USA (MIUSA), 2013: Brilliant and Resilient: Celebrating the Power of Disabled Women Activists. Eugene: MIUSA.
Sabatello, M., and Schulze, M., 2013: Human Rights and Disability Advocacy: Philadelphia: Penn/University of Pennsylvania Press.
UNICEF, 2013: The state of the world’s children: Children with disabilities. New York: UNICEF.
WHO and World Bank, 2011: World Report on Disability. Geneva: WHO.

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