Entwicklung und
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Fachdiskussion

Eingefrorene Evolution

Die strikte Unterscheidung von Natur auf der einen Seite und menschlicher Wirtschaft auf der anderen Seite hilft nicht weiter. Isolierte Schutzräume sind letztlich auch nur künstliche, menschengemachte Umwelten, in denen genetischer Austausch und Evolution nur begrenzt stattfinden. Nötig ist eine gesunde Balance, die es Gesellschaft und biologischer Vielfalt erlaubt, sich flexibel weiterzuentwickeln.

[ Von Rüdiger Korff ]

Laut der Convention on Biodiversity ist der Erhalt der biologischen Vielfalt ein Wert an sich, also nicht durch wirtschaftlichen Nutzen bestimmt. Gleichzeitig wird festgehalten, dass menschliche Aktivität die Diversität bedroht. Also stellt sich die Frage, wie der Erhalt von Biodiversität mit nachhaltiger Wirtschaft vereinbar ist, wo doch Armutsbekämpfung Einkommensverbesserungen erfordert. Letzteres wiederum geht meist mit intensiverer Ressourcennutzung einher, was seinerseits langfristig Biodiversität reduziert. Der Schluss, Biodiversität durch Exklusion menschlicher Aktivitäten aus besonderen Schutzräumen zu erhalten, liegt nahe.

Viele Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt bauen denn auch auf konventionellen Naturschutzprogrammen auf. Im Vordergrund standen dabei zunächst Gebiete, die als weitgehend unberührt und entsprechend „natürlich“ galten. Grzimek warnte 1959 in „Serengeti darf nicht sterben“, die Natur werde zerstört, wo der Mensch versuche, sie zu nutzen. Die Sorge, dass Bauern, indigene Gruppen oder auch Rohstoffkonzerne das Land degradieren, ist also alt.

Isolierender Schutz

Die Ausweisung von Schutzgebieten ist keine echte Lösung. Regelmäßig müssen dafür Menschen umgesiedelt werden – mit gravierenden sozialen Folgeproblemen. Die Parks werden zu ökologischen Inseln, während an ihren Rändern natürliche Ressourcen noch intensiver genutzt werden. Genetischer Austausch zwischen Schutzgebieten wurde deshalb unmöglich. Abhilfe sollten Korridore für die Migration von Genen werden. Dennoch bestehen diese Probleme fort, obwohl sich die Schutzgebiete inzwischen über zehn Prozent der irdischen Landmasse erstrecken (Brockington, Igoe 2006).

Nachhaltige Entwicklung wurde dennoch nicht erreicht. So genannte Integrated Conservation Development Projects (ICBD) sollen seit den späten 80er Jahren Konflikte, die sich aus der Ausweitung von Schutzzonen ergaben, entschärfen. Allerdings blieben die Ergebnisse dieser Projekte eher unbefriedigend (Wells, McShane, 2004). Die Unterscheidung zwischen Schutz- und Nutzgebieten erwies sich als wenig nützlich, zumal in vielen Fällen gerade die Grenzzonen besonders wichtige Habitate bieten. Eine Schlussfolgerung ist, dass Naturnutzung nicht per se schadet. Das gilt nur für die einseitige, monokulturelle Nutzung – die aber oft ein mehr oder weniger unbeabsichtigtes Ergebnis marktwirtschaftlicher Integration ist.

Vielversprechend erschien es dann, sich auf indigene Bevölkerungen und ihr Wissen zu stützen. Die „hotspots of biodiversity“ finden sich schließlich in abgelegenen Gegenden. Da dort lebende ethnische Minderheiten Teil der jeweiligen Ökosysteme sind, wurde davon ausgegangen, dass sie und ihr Wissen für den Erhalt der ökologischen Balance wichtig sind. Unter anderen vertritt die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (http://cms.iucn.org) diesen Ansatz.

Doch auch er führt zu Problemen. Zum Beispiel kommt es vor, dass Personen, die aus anderen Regionen zuwandern, Ressourcen ausplündern. Zudem verhalten sich auch indigene Gruppen sehr unterschiedlich, wie das Beispiel des Mekong in Südostasien zeigt. Die Karen erhalten die Biodiversität, während die Hmong sie ausnutzen. Der Hintergrund ist, dass die Karen ihre Subsistenzwirtschaft optimieren wollen, wohingegen die Hmong längst dazu übergegangen sind, Einkommen zu maximieren (Indigenous Knowledge and People, IKAP, http://www.ikap-mmsea.org; Centre for Biodiversity and Indigenous Knowl­edge, http://www.cbik.ac.cn). Auch in anderen Gebieten haben Untersuchungen gezeigt, dass indigene Gruppen nicht zwangsläufig Biodiversität erhalten (Nygren 1999).

Ökotourismus kann helfen, nachhaltige Entwicklung und die Konservierung von Biodiversität miteinander zu verbinden – muss das aber nicht. Er kann das Spannungsverhältnis auch verschärfen, wenn sich etwa der Bau von Hotels verselbstständigt oder Tourismusfirmen gegenüber der lokalen Bevölkerung Privilegien bekommen. Fraglich ist ohnehin, ob Flugreisen in der Ära des Klimawandels überhaupt umweltpolitisch korrekt sind.

Sinnvolle Elefantenjagd

Konzeptionell wird indessen fast immer zwischen Natur einerseits und Wirtschaft und Gesellschaft andererseits unterschieden – gerade so, als würde Natur ohne menschlichen Einfluss immer natürlicher. Thompson (2002) bietet dazu eine interessante Fallstudie: Im Amboseli Nationalpark in Kenia war die Elefantenpopulation aufgrund des Jagdverbots so groß geworden, dass sie die Vegetation gefährdete. Es gab zwei Alternativen, das Problem zu lösen: Die Elefantenpopulation musste verkleinert oder der Park vergrößert werden. Die Elefantenexperten favorisierten die zweite Lösung. Die Parkverwaltung sollte Bauern, die dabei ihre Felder verloren, entschädigen.

Die Entwicklungsexperten argumentierten anders: Sie betrachteten sowohl die Elefanten als auch die lokale Bevölkerung, die Massai, als Stakeholder. Ihnen sollte erlaubt werden, Elefanten im begrenzten Maße zu jagen, wenn diese auf ihre Felder kämen. Gleichzeitig sollten sie an den Einkünften aus dem Tourismusgeschäft beteiligt werden, damit sie ein Eigeninteresse am Wohlergehen der Elefanten bekämen. Dieser Ansatz weist in die richtige Richtung, auch wenn er seinerseits Probleme aufwirft: Nicht nur die Massai, auch viele andere Menschen in der Umgebung wollen vom Tourismus profitieren, und legalisierte Elefantenjagd kann das Image des Nationalparks beeinträchtigen.

Wichtig ist aber auf alle Fälle die Einsicht, dass Natur und Menschheit interdependent sind oder sogar eine Einheit bilden. Das hatte Bateson (2000) schon in den späten sechziger Jahren erkannt. Er führte aus, dass Umwelt und Organismen sich wechselseitig beeinflussen und ständiger Evolution unterworfen sind. Wenn sich die Umwelt verändert, verändern sich auch die Organismen und umgekehrt. Isolierte Schutzzonen bieten letztlich nur eine künstlich geschaffene Umwelt – und eben nicht reine Natur.

Menschliches Handeln hat Auswirkungen auf die Biodiversität, was in der Landwirtschaft besonders deutlich wird. Die Grundlage des Erhalts der biologischen Vielfalt kann auf Dauer nicht die Konservierung in abgeschlossenen Schutzzonen oder gar Genbanken sein. Derlei Einfrieren der Evolution kann, wenn überhaupt, nur eine temporäre Maßnahme sein. Nachhaltige Entwicklung muss also auf neuen Möglichkeiten beruhen, die Biodiversität zu sichern und die menschliche Lebensqualität zu verbessern. Beides muss sich weiterentwickeln. Letztlich geht es um eine sich dauernd neu justierende Interdependenz. Konservative Konservierungspolitik führt dagegen ebenso in die Sackgasse wie eine ausschließlich auf Nutzenmaximierung abzielende Wirtschaftspolitik.