Entwicklung und
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Müttersterblichkeit

Geburtshilfe ist Teil der Kultur

Trotz großer Fortschritte bei der Reduzierung der Mütter- und Kindersterblichkeit sterben jährlich immer noch mehr als 300 000 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt sowie sechs Millionen Kinder unter fünf Jahren. Die Ziele vier und fünf sind die am wenigsten erreichten Millenniumentwicklungsziele. Geburtshelferinnen spielen eine zentrale Rolle bei der Prävention, der Begleitung von Geburten und der Betreuung von Müttern und ihren Neugeborenen. Ihre Möglichkeiten variieren jedoch stark.
Eine traditionelle Hebamme in Guatemala untersucht eine Schwangere. PIES de Occidente Eine traditionelle Hebamme in Guatemala untersucht eine Schwangere.

Millionen Frauen in Entwicklungsländern haben keinen Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft oder wissen gar nicht um deren Bedeutung. Geburten werden nicht von medizinisch qualifiziertem Personal betreut, oder die Frauen bringen ihre Kinder sogar ohne jegliche Unterstützung zur Welt. Im Wochenbett gibt es häufig keine Begleitung für Mütter und Neugeborene.

Rund 830 Frauen sterben täglich an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt sowie 18 000 Kinder unter fünf Jahren. Gründe sind allen voran Armut sowie fehlende Informationen, die Nichterreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen, mangelhafte Gesundheitsdienstleistungen und kulturelle Faktoren einschließlich der Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen.

Der Mangel an medizinischem Fachpersonal ist einer der Hauptgründe für die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass es 2013 weltweit an neun Millionen Hebammen und Krankenschwestern – die ebenfalls häufig Geburten begleiten – fehlte. Nur 78 Prozent der Geburten werden von medizinischem Fachpersonal betreut, in armen Ländern deutlich weniger.

Die Müttersterblichkeit ist sehr ungleich verteilt, nicht nur zwischen Kontinenten und Ländern, sondern auch innerhalb einzelner Länder – je nach sozialer Schicht, Bildungsgrad, ethnischer Herkunft und Wohnort. Frauen in ländlichen Gebieten sind deutlich benachteiligt: Von 40 Millionen Geburten, die 2012 nicht von medizinischem Fachpersonal betreut wurden, fanden 32 Millionen auf dem Land statt. Auch die Prävention ist unzureichend; nur etwa die Hälfte aller Frauen in Entwicklungsländern bekommt die von der WHO als Mindeststandard empfohlenen vier Vorsorgeuntersuchungen.


Traditionelle Geburtshelferinnen

In Guatemala ist Hebamme kein eigenständiger Beruf, sondern die Geburtshilfe ist eine ärztliche Fachrichtung. In Krankenhäusern werden Geburten meist von solchen Fachärzten oder Allgemeinärzten betreut, im ländlichen Raum und an kleineren Gesundheitszentren hingegen häufiger von Krankenschwestern. Deren Anzahl reicht jedoch bei weitem nicht aus. So ist Guatemala in Amerika nach Haiti und Guayana mit 12,5 pro 10 000 Einwohner das Land mit der geringsten Dichte an medizinischem Personal.

Mütter- und Kindersterblichkeit liegen weit über dem amerikanischen Durchschnitt. 2013 betrug die Müttersterblichkeit 113 pro 100 000 Lebendgeborenen und konnte damit gegenüber 1990 noch nicht einmal halbiert werden – vorgesehen war eine Senkung um 75 Prozent. In der indigenen Bevölkerung ist sie mehr als doppelt so hoch.

„Das Ausmaß der Müttersterblichkeit spiegelt die Bedingungen der Frauen in der Gesellschaft, ihren eingeschränkten Zugang zu Gesundheits- und Ernährungsleistungen und ihre prekären wirtschaftlichen Bedingungen“, sagt Aura Pisquiy, Ärztin und Leiterin der guatemaltekischen Non-Governmental Organisation (NGO) PIES de Occidente, die sich im westlichen Hochland seit 1996 für die Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und die Rechte indigener Frauen einsetzt.

Die überwiegend indigene Bevölkerung dieser Region kann Gesundheitseinrichtungen oft nicht erreichen. Zudem spricht das Personal häufig nicht ihre Sprache, und die Patientinnen fühlen sich diskriminiert. So übernehmen traditionelle Geburtshelferinnen – sogenannte Comadronas – die Betreuung von Schwangeren und Geburten. 22 500 Comadronas sind offiziell registriert, ihre Zahl dürfte aber weitaus höher sein. Laut einer nationalen Erhebung zur Mutter-Kind-Gesundheit begleiten sie landesweit 31 Prozent, in Regionen mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung sogar 60 Prozent der Geburten.

Comadronas sind Frauen, die für diese Rolle durch eine Art „Eingebung“ berufen wurden und ihre Kenntnisse vor allem praktisch und durch Anleitung ihrer Mütter erworben haben. Zu ihren Aufgaben gehören Schwangerschaftsvorsorge, Geburtshilfe, Wochenbett-Betreuung und die Versorgung von Neugeborenen und Babys. Bei Komplikationen sollen sie die Frauen an öffentliche Gesundheitseinrichtungen überweisen.

Comadronas sind in ihren Gemeinden respektierte Autoritäten und für die Frauen wichtige Vertrauenspersonen in der Schwangerschaft. Sie werden für ihre Arbeit meist nicht formal bezahlt, sondern erhalten das, was die Familien ihnen geben können: ein Säckchen Reis, ein paar Eier, mal ein Huhn oder auch Geld.

Pisquiy erläutert: „Die indigene Comadrona in Guatemala ist die Besitzerin generationenalter Maya-Traditionen der Versorgung von Mutter und Neugeborenem. Sie hat die Gabe und Bestimmung, sich um die Gesundheit von Müttern zu kümmern. Diese Gabe wird schon bei Geburt mitgegeben und im Laufe des Lebens offenbart oder bestätigt. Sie genießt den Respekt und das Vertrauen der Frauen und Familien, weil sie Teil ihrer Kultur ist und die gleiche Sprache spricht.“

Bei PIES lernen Comadronas unter anderem, Gefahrensignale in der Schwangerschaft eindeutig zu erkennen und ihre Patientinnen an Gesundheitseinrichtungen zu überweisen. Die Verbesserung der Zusammenarbeit der Comadronas mit den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und deren Personal ist ein Schwerpunkt der Arbeit der NGO. „Das öffentliche Gesundheitswesen soll das traditionelle Maya-System wertschätzen und als Teil der kulturellen und sozialen Realität Guatemalas anerkennen. Beide Systeme sollen sich ergänzen und nach klar abgestimmten Regeln zusammenarbeiten“, erklärt Pisquiy.

Doch der Mangel an gegenseitiger Wertschätzung sowie fehlendes Vertrauen in die Fähigkeiten des anderen behindern häufig noch die Verknüpfung der gemeindebasierten Versorgung mit dem staatlichen Gesundheitssystem. Die Comadronas scheuen sich, ihre Patientinnen an staatliche Gesundheitszentren zu verweisen oder sie dorthin zu begleiten, weil sie dort häufig schlecht behandelt und diskriminiert wurden. Von Seiten des medizinischen Personals gibt es oft große Vorurteile gegenüber den Fähigkeiten der Comadronas. Diese wurden in der Vergangenheit auch für die hohe Müttersterblichkeit im Land verantwortlich gemacht.

PIES bindet das Gesundheitspersonal in seine Projekte mit ein, so dass durch den persönlichen Kontakt Vorurteile abgebaut und gegenseitiges Verständnis verstärkt wird. Die Comadronas lernen dabei auch, die Grenzen ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten bezüglich der Geburtsbegleitung zu erkennen.

Pisquiy kritisiert: „Trotz der unbestreitbaren Unterstützung und der großen Verantwortung, die die Comadronas für die Müttergesundheit übernehmen, sind sie vom Gesundheitsministerium nicht ausreichend wertgeschätzt, gefördert und unterstützt worden.“ Allmählich finde jedoch ein Umdenken statt. Seit einigen Jahren seien leichte Veränderungen in der Politik zu beobachten (siehe Kasten).


Barbara Kühlen ist freie Beraterin für globale Gesundheit und Entwicklungszusammenarbeit. Bis 2013 war sie Leiterin der Projektabteilung des Hilfswerks action medeor und hat dessen Kooperationsprojekte mit PIES de Occidente betreut.
barbara.kuehlen@web.de


Link
PIES de Occidente (auf Spanisch):
http://www.asociacionpiesdeoccidente.org

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