Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Migration

Schwierige Konsensfindung

Seit gut einem Jahrzehnt betonen internationale Organisationen, dass Migration entwicklungspolitisch wertvoll sein kann. Im politischen Diskurs der Zielländer gilt Zuwanderung aber in erster Linie als Problem.
Migranten treten zunehmend selbstbewusst auf: Protest während des High-Level Dialogue 2013 in New York gegen mangelnden Rechtsschutz in Katar. Rother Migranten treten zunehmend selbstbewusst auf: Protest während des High-Level Dialogue 2013 in New York gegen mangelnden Rechtsschutz in Katar.

Differenzen traten auch auf dem Global Forum on Migration and Development (GFMD) zutage, das sein jährliches Treffen im Mai in Schweden abhielt. Das GFMD ist eine freiwillige, nichtbindende Veranstaltungsreihe außerhalb des UN-Systems, an der Regierungen, internationale Organisationen und Zivilgesellschaft teilnehmen.

Unterschiedlich fällt nach wie vor die Einschätzung über den Zusammenhang von Migration und Entwicklung aus: Einerseits gibt es die Meinung, dass das im Ausland erwirtschaftete Geld, das Migranten an ihre Familien in den Ursprungsländern überweisen, wesentlich zur Entwicklung beitragen könne. Andererseits mahnen Stimmen, dass man privates Geld nicht einfach in Entwicklungspläne einbeziehen könne und auch die Kosten der Migration berücksichtigen müsse.

Uneinigkeit besteht auch darüber, welche Rolle jeweils die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der UN und die Internationale Organisation für Migration (IOM), die außerhalb der UN entstanden ist, einnehmen sollen. Viele am GFMD beteiligten Migrantenorganisationen setzen auf eine stärkere Rolle der ILO. In ihr sind neben den Mitgliedsländern und Arbeitgeberverbänden auch Gewerkschaften vertreten. Sie ist vergleichsweise transparent organisiert und setzt sich für Arbeitnehmerrechte ein. So profitieren beispielsweise auch Zuwanderer von der rechtlich bindenden ILO-Konvention für die Rechte von Hausangestellten (siehe E+Z/D+C 2010/7–8, S. 307). Dagegen bevorzugen aber vor allem die Regierungen der reichen Länder die IOM, auf die sie als Beitragszahler stärker Einfluss nehmen können.

Sehr vage blieb das GFMD hinsichtlich der humanitären Flüchtlingskatastrophe an den Außengrenzen der EU (siehe Kommentar von Samir Abi auf S. 261). Hoffnung auf Unterstützung können sich indessen Migranten machen, die aufgrund von Naturkatastrophen oder Gewalt aus ihrer Heimat geflohen sind und in Transitländern hängengeblieben sind. Die Türkei, die das GFMD 2015 ausrichten wird, beherbergt beispielsweise derzeit 600 000 bis 700 000 syrische Flüchtlinge. International wächst das Bewusstsein dafür, dass Transitländer nicht überfordert werden dürfen.

Das GFMD ist ein Ergebnis des ersten High-Level Dialogue der UN zu Migration und Entwicklung im Jahr 2006. Seither haben sich die Migrantenverbände im Forum zunehmend Raum erkämpft, um ihre Posi­tionen vorzutragen. 2006 blieben Themen wie die Rechte von Migranten oder das Schicksal von Zuwanderern ohne gültige Papiere noch weitgehend unbeachtet. Beim zweiten High-Level Dialogue der UN standen sie dann 2013 auf der Agenda.

Dazu trug neben der kontinuierlichen Debatte im GFMD auch die Gründung von Migrantennetzwerken wie der Global Coalition on Migration (GCM) bei. Diese ist ein Zusammenschluss von Migrantenorga­nisationen, Gewerkschaften, kirchlichen Gruppen und Wissenschaftlern. Sie kämpft unter anderem für:

  • eine strengere Regulierung von privatwirtschaftlichen Rekrutierungsagenturen und anderen Akteuren, die vom Migrationsgeschäft profitieren,
  • die spezifischen Rechte von Migrantinnen, wie etwa Haushaltshilfen, und
  • die Gewährung von grundlegenden Arbeitsrechten für Migranten.

Diese Themen werden heute ernst genommen, aber die GCM ist noch längst nicht am Ziel. Es mag sich atmosphärisch in der Diskussion vieles gebessert haben, und die Debatten werden offener geführt – allerdings treffen immer noch unterschiedliche bis unvereinbare Positionen von ­internationalen Organisationen, der Privatwirtschaft, Herkunfts-, Transit- und Zielländern aufeinander. Einigkeit herrschte indessen in Stockholm darüber, dass ­Migration in der neuen globalen Post-2015-Agenda eine zentrale Rolle spielen muss. Die Millenniumsentwicklungsziele hatten das Thema vernachlässigt.

Stefan Rother