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Psychische Gesundheit

„Mangelnde Informationen richten Schaden an“

Während einer psychotischen Episode nehmen Betroffene Dinge als real wahr, die für andere Menschen nicht existieren. Eine professionelle medizinische Behandlung ist hilfreich, aber in Ländern niedrigen Einkommens oft nicht verfügbar. Der liberianische Psychiater Selekie M. Tulay Jr. beschreibt die Lage.
Die Verletzungen aus dem Bürgerkrieg in Liberia sind nicht nur körperlicher Art. picture-alliance/dpa Die Verletzungen aus dem Bürgerkrieg in Liberia sind nicht nur körperlicher Art.

Können Sie kurz erklären, was eine Psychose und was Schizophrenie ist?
Ein Psychose ist ein Krankheitsbild, das mit Realitätsverlust einhergeht. Betroffene hören zum Beispiel Stimmen oder sehen Dinge, die nicht da sind. Psychotische Episoden tauchen meistens erstmals zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr auf. Sie können durch dramatische Erlebnisse ausgelöst werden, etwa den Verlust einer Beziehung, Krieg, Missbrauch, Diskriminierung et cetera. Wissenschaftlich sind derartige Störungen noch nicht voll erforscht. Wir wissen aber, dass Schizophrenie eine Gruppe von psychotischen Störungen ist, die das Denken, das Verhalten, die Gefühle und die Realitätswahrnehmung beeinflussen. Ihre Ursache liegt in einer Kombination aus genetischen und nicht genetischen Faktoren. Dazu können eine Verletzung bei der Geburt, hormonelles Ungleichgewicht, eine Virusinfektion, Mangelernährung und anderes gehören.

In Liberia wurden sehr viele Menschen durch die Gewalt im Bürgerkrieg traumatisiert. Spielt das eine Rolle?
Ja, Traumatisierung ist auf jeden Fall ein Faktor. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann zum Beispiel zu Alpträumen führen. Wenn ein furchtbares Ereignis immer wieder durchlebt wird, löst das großen Stress aus. Betroffene können sich nur schwer auf etwas anderes konzentrieren oder werden depressiv. Auch psychotische Episoden können eine Folge sein. Katastrophen wie ein Bürgerkrieg wirken sich langfristig auf die psychische Gesundheit der Menschen aus.

Inwieweit kann das Gesundheitssystem Menschen behandeln, die unter psychotischen Episoden leiden?
Betroffene können sowohl in Krankenhäusern als auch außerhalb behandelt werden. Selbst in nicht spezialisierten Gesundheitszentren gibt es Hilfe. Die medizinische Versorgung ist einfach und effektiv. Ein wichtiger Teil davon ist die Gabe von Medikamenten, die die Menschen beruhigen. Während einer psychotischen Episode können die Patienten zumeist nicht schlafen. Sie sind extrem unruhig, und die Kommunikation mit ihnen ist schwierig, weil ihre Realitätswahrnehmung so anders ist. Leider gibt es nur in zehn der 15 Regionen Liberias eine spezialisierte Versorgung. Unser Gesundheitssystem kann nicht alle Menschen behandeln. Vor allem in ländlichen Gegenden fehlt es an Einrichtungen und qualifiziertem Personal.

Was passiert mit den Menschen, die keine professionelle Hilfe erhalten?
Die Gefahr, dass sich ihr psychischer Gesundheitszustand weiter verschlechtert, ist groß. Manche Betroffene stellen eine ernsthafte Gefahr für ihre Angehörigen dar – oder für sich selbst, wenn sie zum Beispiel versuchen, sich umzubringen. Professionelle Hilfe ist essenziell. Aber es kann auch Rückfälle geben. Manche Liberianer glauben, dass psychische Störungen übernatürliche Ursachen haben.

Menschen mit einer Psychose stellen eine große Belastung für ihr Umfeld dar. Es heißt, dass sie in armen Gegenden in Entwicklungsländern oft einfach angebunden oder eingeschlossen werden, bis die Episode vorüber ist, oder dass Exorzismus oder Zauberei angewendet werden.
Nun, welche Alternativen haben Menschen ohne Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung denn? Die Allgemeinheit weiß nicht viel über psychische Krankheiten. Es ist sehr wichtig, dafür zu sensibilisieren und den Zugang zu professioneller medizinischer Versorgung zu verbessern. Mangelnde Informationen richten Schaden an, aber eine angemessene soziale Infrastruktur ist ebenfalls unerlässlich. Liberia hat fast fünf Millionen Einwohner, aber nur eine stationäre Einrichtung für psychisch Kranke. Sie ist in der Hauptstadt Monrovia und nimmt Patienten mit vielen verschiedenen Problemen auf, etwa Drogenmissbrauch, Angstzuständen, Depressionen, Epilepsie, bipolaren und manischen Störungen, Psychosen und Schizophrenie. Es wäre gut, das Bewusstsein dafür zu schärfen und mehr Einrichtungen zu bauen. Beides könnte die Art, wie psychische Krankheiten wahrgenommen werden, verändern.


Selekie M. Tulay Jr. ist Psychiater und leitet die Abteilung für psychische Gesundheit am Ganta United Methodist Hospital in der liberianischen Region Nimba.
http://gantahospital.com

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