Kommentar

Dringende Verfassungsfragen

Nach der Ermordung Benazir Bhuttos steht Pakistans Militärregierung unter Druck, am 18. Februar freie und faire Wahlen zu sichern. Das geht aber nur, wenn zentrale verfassungsrechtliche Fragen geklärt werden – unabhängig davon, wer als Premierminister kandidiert. Selbst wenn Benazir Bhutto, die populärste Politikerin Pakistans, noch lebte und die Wahlen wie geplant Ende Januar stattgefunden hätten, wären sie eine Farce gewesen. Im Schatten Präsident Pervez Musharrafs gibt es keine glaubwürdige Demokratie.


[ Von Baseer Naveed ]

Nachdem Musharraf am 3. November den Ausnahmezustand ausgerufen hatte, entließ er den Vorsitzenden Richter des Obersten Gerichts, Iftikhar Chaudhry, und andere unabhängig denkende Richter, die über die Verfassungsmäßigkeit seiner Wiederwahl als Präsident entscheiden sollten. Damit hat er fundamentale demokratische Rechtsprinzipien verletzt. Chaudhry steht unter Hausarrest. Es gelingt ihm aber, Botschaften herauszuschicken und Musharraf zu kritisieren. Die öffentliche Meinung ist auf seiner Seite – mit gutem Grund. Es ist etwas faul, wenn das Militär Macht, die nicht in der Verfassung verankert ist, ausübt.

Laut Artikel 6 der Verfassung ist „jede Person, die die Verfassung aufheben will, sich verschwört oder versucht, sie aufzuheben, oder die Verfassung untergräbt, (...) oder versucht, sie zu untergraben, sei es durch Gewalt oder deren Androhung oder andere verfassungswidrige Mittel, des Hochverrats schuldig“. Und darauf steht die Todesstrafe. Aber das scheint für Generäle nicht zu gelten. Bisher genossen sie immer Immunität. Dass Militärregierungen bei Verfassungsänderungen Artikel 6 nie anrührten, zeigt, dass sie ihn für ihr außerverfassungsrechtliches Tun nicht für relevant hielten.

Die Armee hat sich zwar stark in die Innenpolitik eingemischt, ihrem eigentlichen sicherheitspolitischen Auftrag wurde sie aber nie gerecht. Von vier Kriegen (inklusive des Kargil-Konflikts im indischen Teil Kaschmirs 1999) hat sie keinen gewonnen. Militante Gruppen in Pakistan bekommt sie nicht in ihre Kontrolle. Im Zuge des „Kriegs gegen den Terror“ haben sich sogar Hunderte Soldaten radikal-islamistischen Einheiten ergeben. Um sie frei zu bekommen, ließ Pakistans Regierung zahlreiche meistgesuchte Islamisten laufen.

Das Versagen der Armee reicht bis zu den Anfängen der Republik zurück. Im April 1948, sieben Monate nach der Staatsgründung, zettelte die Armee einen Krieg gegen Indien an. Nach dessen demütigendem Ausgang beschloss die Militärführung, ihre Macht im Inland auszubauen. Das kam dem Establishment aus Regierungsbeamten und Stammesfürsten gelegen. Wegen der Kolonialtradition der Armee setzten sie darauf, dass die Streitkräfte soziale Ausbeutung unterstützen, aber Demokratieforderungen unterdrücken würden. Und so war es viele Jahre lang. Die Armee verhängte mehrmals das Kriegsrecht, gründete eigene Geheimdienste und sicherte sich die Kontrolle der politischen Parteien.

Dass Pakistans Militär keine inländische Institution über sich respektiert, liegt auch an seiner Söldnerfunktion für den Westen. Dieser nutzte die Streitkräfte mit opportunistischem Kalkül – erst im Kalten Krieg und nun im „Krieg gegen den Terror“ – mit der Folge, dass das pakistanische Oberkommando nationales Recht ebenso ignoriert wie internationale Normen.

Als Musharraf den Vorsitzenden des Obersten Gerichts im März vergangenen Jahres erstmals suspendiert hatte, brachen landesweit Proteste aus. Chaudhry kehrte ins Amt zurück. Im November rief Musharraf dann als Oberbefehlshaber des Militärs den Ausnahmezustand aus, änderte die Verfassung und setzte Grundrechte außer Kraft. In dieser Rolle modifizierte er die Machtarchitektur des Landes und regierte dann als Präsident weiter. Es spielt kaum eine Rolle, dass er nach diesem Manöver die Uniform ablegte.

Entscheidend ist nun,

– ob der Präsident nach den Wahlen im Amt bleiben darf,
– ob es wieder Straffreiheit für die Verfassungsbrüche des Militärs gibt und
– ob die Generäle den nächsten Premierminister auswählen werden.

Die Antworten hängen davon ab, wer das letzte Wort in Verfassungsfragen hat. Nötig ist eine angemessene Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative. Nur wenn die Armee ihre dienende Rolle in einer Demokratie akzeptiert, wird der Staat überleben können.