Standpunkt

Mechanismen der Unterdrückung

1996 habe ich sowohl das British Museum in London als auch das Indian Museum in Kalkutta besucht. Der Kontrast war so eindrucksvoll, dass ich heute noch davon erzähle. In London wurden alle modernen museumspädagogischen Methoden genutzt, aber in Kalkutta schien außer Staubwischen seit 1947 nichts geschehen zu sein. In der Kolonialzeit war das Indian Museum der stolze Zwilling des British Museum, wirkte im Vergleich aber in den 90ern langweilig und grau.
Darstellung eines Sklavenschiffs, Holzstich von 1875. akg-images/Lineair Darstellung eines Sklavenschiffs, Holzstich von 1875.

Damals erhob ich Daten für meine Doktorarbeit. Nach und nach begriff ich, dass der Unterschied zwischen den Museen den Unterschied zwischen den beiden Staaten widerspiegelte. Britannien hatte sich modernisiert und war offener und inklusiver geworden. In Indien verlief der Fortschritt langsamer. Konventionen aus der Kolonialzeit galten weiter, Englisch war noch Amtssprache, und Massen armer Menschen lebten ausgegrenzt am Rande der Gesellschaft.

Ich will den britischen Kolonialismus nicht loben. Die Unterdrückungsmechanismen dieses ausbeuterischen Systems schlugen so tiefe Wurzeln, dass sie bis heute fortwirken. Leider ist das in vielen ehemaligen Kolonien ähnlich. Befreiungsbewegungen siegten, ersetzten dann aber oft nur die ausländische Elite mit einer heimischen. Allzu oft fühlt sich diese bis heute „in den Betten der alten Meister wohl“, wie kürzlich Job Shipululo Amupanda, ein junger namibischer Wissenschaftler, sagte. 

Das Konzept der Menschenrechte entstand in der europäischen Aufklärung. Heute bildet es das Fundament des UN-Systems. Die Grundidee, auf die sich unter anderem die Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele stützen, ist, dass alle Menschen den gleichen Wert und das Recht auf Selbstbestimmung haben.

Allerdings ging die europäische Aufklärung auch mit Kolonialismus und Sklaverei einher. Beides wird heute von der EU und ihren Mitgliedern abgelehnt. Als die Kolonien zu souveränen Staaten wurden, schlüpften die ehemals imperialen Mächte schnell in neue Rollen als großzügige Geber.

Wenige Jahrzehnte später begannen sie dann, Lektionen über gute Regierungsführung zu halten. Sie erkannten in Entwicklungsländern Korruption, Menschenrechtsverletzungen und undemokratische Attitüden, erinnerten sich aber nicht mehr daran, dass ihre Vorgänger die Grundlagen für Amts- und Machtmissbrauch geschaffen hatten.

Die Geberrhetorik wirkte unter anderem deshalb nicht überzeugend, weil den Menschen in den Entwicklungsländern die Doppelbödigkeit klar war. Die Mehrheit von ihnen hat nie selbst erlebt, dass europäische Gesellschaften – wie die britische – offener wurden. Vielen erscheint autoritär-anmaßende Arroganz, wie sie US-Präsident Donald Trump heute an den Tag legt, als Norm und nicht als Ausnahme. Nach zwei bis drei Generationen in Unabhängigkeit tragen dafür selbstverständlich auch Spitzenpolitiker der Entwicklungsländer Verantwortung.

Demokratie kann keinem Land von außen aufgepfropft werden. Sie kann – und sollte – aber unterstützt werden. Die historische Wahrheit zu begreifen, ist heilsam. Solches Wissen dürfte zur Durchsetzung der Menschenrechte mehr beitragen als an Konditionen gebundene Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA).

Ich war übrigens seit 20 Jahren nicht mehr im Indian Museum, habe mir aber kürzlich seine Website angeschaut. Dass es eine hat, ist gut – aber was sie zeigt, enttäuscht weiterhin.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.