Multilaterale Politik

Mythos globale Zivilgesellschaft

Für die internationalen Klimakonferenzen dürfen sich Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus aller Welt anmelden, denn ihre Teilnahme ist politisch erwünscht. Doch NROs aus Entwicklungsländern können sich die Teilnahme oft nicht leisten. Dabei ist ihre Meinung bei den Verhandlungen besonders wichtig. Internationale NRO-Koope­rationen können ihre Abwesenheit kaum ersetzen.


Von Melanie Müller

Bereits vor rund 20 Jahren, auf der Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro, wurde es noch einmal bekräftigt: Zivilgesellschaftliche Organisationen sollen stärker in internationale Verhandlungen einbezogen werden. Damals war die Hoffnung groß, dass die weltweite Zivilgesellschaft die staatliche Politik mit neuen Ideen bereichern und Prozesse vorantreiben würde. Auf internationaler Ebene sind die Partizipationsmöglichkeiten seitdem erheblich gestiegen. Doch die Hoffnungen wurden enttäuscht, denn die letzten 20 Jahre haben vor allem eins gezeigt: Die globale Zivilgesellschaft mit einer einzigen gemeinsamen Position gibt es nicht.

Dafür gibt es mehrere Gründe:
– Auch zivilgesellschaftliche Akteure sind gefangen in materiellen Zwängen und Konkurrenzkämpfen.
– Die Beteiligungsmöglichkeiten auf internationaler Ebene sind ungleich und teilweise ungerecht.
– Zivilgesellschaftliche Organisationen aus Nord und Süd vertreten oft unterschiedliche Positionen, um die sie auf internationalen Gipfeln kämpfen.
In der internationalen Klimapolitik werden die Unterschiede und Differenzen innerhalb der NRO-Szene besonders deutlich.

Entwicklungsländer im Nachteil

Wenn vom 30. November bis 9. Dezember 2011 die Delegationen aus aller Welt zu Klimaverhandlungen im südafrikanischen Durban zusammenkommen, dann ist das bereits ihr 16. Treffen. Nur wenige internationale Verhandlungen bieten der Zivilgesellschaft derart viele Möglichkeiten sich zu beteiligen: Jede Organisation mit formalem Organi­­­sa­tionsstatus kann sich für die Konferenzen registrieren. Die Vereinten Nationen legen eine sehr breite Definition von „Non-Governmental Organisation“ an und ziehen klassische Nichtregierungsorganisationen ebenso mit ein wie Universitäten, ­Forschungsinstitutionen und Wirtschaftsakteure. Die Gemeinnützigkeit der Organisationen spielt dabei keine Rolle. Mittlerweile sind rund 1400 Akteure bei den Klimaverhandlungen registriert.

Im Jahr 2010 reisten rund 12 000 Mitarbeiter aus Regierungsdelegationen, Nichtregierungsorganisa­tionen und Wirtschaftsverbänden zur Klimakonferenz ins mexikanische Cancún. Die Anzahl der Teilnehmer war im Vergleich zu der Kopenhagen-Konferenz 2009 zwar um die Hälfte zurückgegangen, denn nach dem desaströsen Scheitern der Verhandlungen und neuer Kritik am International Panel on Climate Change der UN (UNFCCC) war die Enttäuschung groß. Dennoch war die Cancún-Konferenz nach Kopenhagen die meist besuchte Klimaverhandlung.

Den teilnehmenden Organisationen geht es nicht immer nur um direktes Lobbying und darum, die politischen Prozesse zu beeinflussen. Wer einmal einen der zahlreichen Empfänge während der Konferenzen besucht hat und sich bei Sekt und Häppchen über neue Projekte informieren durfte, der weiß: Bei den Verhandlungen spielt auch Netzwerken eine große Rolle. Auf den Nebenschauplätzen des internationalen Parketts werden fleißig Visitenkarten ausgetauscht, Projekte angeschoben, Kooperationen lanciert. Registrierte Organisationen können während sogenannter „side events“ ihre Projekte vorstellen – das gilt sowohl für indigene Gemeinschaften, die über die Konsequenzen von Entwaldung reden wollen, wie für Unternehmen, die Technologien im Bereich erneuerbare Energien bewerben.

Gleiche Beteiligungsrechte bedeuten aber nicht unbedingt, dass die Organisa­tionen auch gleiche Beteiligungschancen haben. Dies zeigt ein Blick in die Statistiken der UNFCCC: Viele der beteiligten Organisationen kommen aus Europa, den USA oder anderen Ländern, in denen zivilgesellschaftliche Organisationen tendenziell über größere Ressourcen verfügen. Selbst aus den großen Schwellenländern haben sich nur wenige Organisationen für die Verhandlungen registriert, obwohl es hier in den meisten Fällen mehr Umweltorganisationen gibt. So sind aus Deutschland über 120 Organisationen angemeldet, aus Frankreich sind es an die 50. Brasilien hat rund 25 Organisationen für die Verhandlungen registriert und Kenia bringt es auf 17. Bangladesch jedoch, ein Land, das vom Klimawandel voraussichtlich mit am stärksten betroffen sein wird, kommt gerade mal auf acht Organisationen.

Dies hat etwas mit den hohen Kosten zu tun, die für Anreise und Unterkunft anfallen. Viele Organisationen aus Ländern, in denen NROs wenig staatliche Unterstützung und auch tendenziell weniger Spenden erhalten, können sich die Reise nicht leisten. Außerdem sind sie dadurch häufig gezwungen, in ihrer Arbeit andere Prioritäten zu setzen. Dass bei der Klimakonferenz in Kopenhagen die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen von den Verhandlungen ausgeschlossen wurden, hat vor allem jene NROs hart getroffen, die nicht aus Europa anreisten. Sie wurden doppelt enttäuscht: Zum einen natürlich von dem enttäuschenden Verhandlungsergebnis. Zum anderen, weil sie viel in die Reise investiert hatten und trotzdem kaum Möglichkeiten erhielten, die politischen Prozesse zu unterstützen. Deshalb fragen sich viele von ihnen nun, ob sich die Teilnahme an den Verhandlungen überhaupt lohnt – wenn ihre Stimme doch so wenig gehört wird – oder ob die Mittel nicht an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnten.

Keine gemeinsame Position der NROs

Diese vor allem finanziellen Nachteile der NROs aus Entwicklungsländern sind inhaltlich tragisch. Häufig vertreten sie andere Positionen als die ressourcenstarken NROs aus dem globalen Norden. Sie können ihrer Meinung auf den Konferenzen jedoch weniger Gehör verschaffen, wenn sie sich die Reise nicht leisten können.

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich Böll Stiftung, beobachtet die Verhandlungen seit vielen Jahren und hat kürzlich die Hauptkonfliktlinien zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen beschrieben. Zwar hätten fast alle NROs einen Konsens über das 2-Grad-Ziel erreicht – wie dieses Ziel erreicht werden soll, darüber gebe es innerhalb der NRO-Szene allerdings weiterhin Differenzen. Ein erster Konflikt sei die Lastenteilung zwischen Nord und Süd, so Unmüßig. Vor allem westliche NROs fordern, die Schwellenländer in die Reduktionsverpflichtungen eines Post-Kyoto-Abkommens einzubeziehen. Außerdem scheiden sich die Meinungen darüber, ob das 2-Grad-Ziel eher durch Marktmechanismen oder durch einen Systemwechsel erreicht werden kann. Nach den enttäuschenden Klimaverhandlungen in Kopenhagen sind zudem die Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit internationaler Politik wieder gewachsen. Viele NROs fragen sich daher, ob es sinnvoller wäre, stärker auf nationaler Ebene für Klimaschutz zu kämpfen.

Für Organisationen aus Ländern, die über geringe finanzielle Möglichkeiten verfügen und von ihren Delegationen nicht unterstützt werden, gibt es dennoch einige Möglichkeiten, mit ihren Positionen auf den Konferenzen präsent zu sein:
– Der Wechsel der Austragungsorte erleichtert es den jeweiligen lokalen Organisationen, sich in die politischen Prozesse einzubringen.
– Manchmal können NROs durch internationale Netzwerke finanzielle Unterstützung erhalten – so wurde vor einigen Jahren die Teilnahme chinesischer NROs an internationalen Umweltkonferenzen gefördert.
– Einige europäische NROs wie zum Beispiel Oxfam oder Germanwatch bemühen sich darum, die Stimmen von NROs aus Entwicklungsländern zu vertreten. Dies kann und darf eine eigene Präsenz der Akteure aber nicht gänzlich ersetzen.

Die Konferenz im eigenen Land

In Südafrika sind die Vorbereitungen bereits in vollem Gange: Viele NROs aus ganz Afrika werden in Durban erwartet, der Koordinierungsprozess zwischen ihnen läuft. Vor allem die Vernetzung ist für afrikanische NROs wichtig. Zwar haben sie häufig schon internationale Partner, doch die Konferenz im eigenen Land bietet neue Möglichkeiten, Verbindungen zu vertiefen, Projekte stärker zu forcieren oder auch neue Allianzen zu knüpfen.

Für die Umweltnetzwerke und NROs aus dem Gastgeberland Südafrika können sich zudem Chancen ergeben, bessere Beteiligungsmöglichkeiten an der Umweltpolitik im eigenen Land zu erreichen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Austragung einer internationalen Konferenz Auswirkungen auf die ­nationale Politik hat. So konnten japanische NROs während der Konferenz in Kyoto 1997 über Umwege die nationale Politik beeinflussen. In Workshops, Symposien und weiteren Treffen fanden sich über 200 japanische NROs zusammen, um gemeinsam Druck auf die eigene Regierung auszuüben.

Ähnliches geschah in Mexiko. Vor der Konferenz verbesserte sich der Kontakt zu den zuständigen ­Ministerien. Die NROs wurden zu regelmäßigen Treffen eingeladen und konnten vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien ihre Anliegen einbringen. Auch die südafrikanische Regierung sucht verstärkt den Dialog mit den NROs und hat Treffen durchgeführt. Sie kündigte weitere Dialoge mit der Zivilgesellschaft an, vor allem zu Projekten für erneuerbare Energien.

Gerade in Ländern mit einer schwach strukturierten Zivilgesellschaft kann eine Konferenz im eigenen Land die Zusammenarbeit der lokalen Organisationen verbessern sowie die Kooperationen mit internationalen Partnern. Ob diese Impulse auch auf lange Sicht erfolgreich sind, muss über einen längeren Zeitraum analysiert werden.

Bisher sind noch viele Fragen unbeantwortet: Was ist nötig, um lokale Organisationen vor Ort wirklich und nachhaltig zu stärken? Ist Vernetzung mit internationalen Organisationen und transnationalen Akteuren für sie wirklich immer von Vorteil, oder werden sie mit unrealistischen Erwartungen überhäuft? Können die lokalen Organisationen trotz finanzieller und personeller Unterstützung von außen weiterhin für ihre eigenen Ziele einstehen, oder werden sie von den unterstützenden Organisationen kooptiert für deren Ziele?

Mehr über diese Prozesse zu erfahren könnte ein erster Schritt sein, um Lösungen für eine bessere Inklusion von NROs in Entwicklungs- und Schwellenländern zu finden. Ihre Präsenz auf dem internationalen Parkett muss auch langfristig gesichert sein, nicht nur bei Treffen im eigenen Land. Stärkere Inklusion der NROs könnte international pluralistischere Debatten und Meinungsvielfalt bringen und gegenseitige Lernprozesse weiter befördern. Dieser Prozess würde auch ein realistisches Bild globaler Differenzen widerspiegeln – im Gegensatz zu illusorischen Erwartungen an eine homogene globale Zivilgesellschaft.