Krisenherd Afghanistan

Passende ­Finanzierung

Trotz der andauernden Krise in Afghanistan behauptet sich der Privatsektor gut. Besonders kleine und mittlere Unternehmen haben das Potenzial, die wirtschaftliche Entwicklung zu beflügeln und den Aufbau des Landes voranzutreiben. Voraussetzungen dafür sind gezielte Unterstützung und Zugang zu Finanzierung.
Wer ein Unternehmen gründen will, braucht Geld. In Afghanistan stammt es in der Regel aus Privatdarlehen und dem informellen Sektor. Sanaullah Seiam/picture-alliance/Photoshot Wer ein Unternehmen gründen will, braucht Geld. In Afghanistan stammt es in der Regel aus Privatdarlehen und dem informellen Sektor.

Afghanistan liegt an der alten Seidenstraße und hat eine lange unternehmerische und Händlertradition. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind heute der Motor der Privatwirtschaft: Laut einer Studie des Thinktanks Afghanistan Research and Evaluation Unit von 2014 sind 85 Prozent aller Unternehmen KMU, sie generieren die Hälfte der Wirtschaftsleistung und stellen 35 Prozent der Beschäftigung. Um den Mittelstand weiter zu fördern, kommt der Finanzwirtschaft eine wesentliche Rolle zu.

Zahlreiche Initiativen verbessern den Zugang zu Finanzierung. Nötig ist weitere Formalisierung der Wirtschaft. Banken und offiziell registrierte Mikrofinanzinstitutionen (MFI) haben sich seit 2004 neu eta­bliert, decken bisher aber nur einen kleinen Anteil der Unternehmensfinanzierungen ab. Der größte Anteil entfällt auf Privatdarlehen und den informellen Sektor: Nur zwei Prozent aller Unternehmen nutzen Bankkredite zur Finanzierung ihrer Investitionen. Bankkredite an Privatunternehmen entsprechen nur 3,5 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung. Das ist laut OECD der niedrigste Wert weltweit.

Geschätzte 80 Prozent der Immobilien in Afghanistan haben keinen offiziellen Grundbucheintrag und können daher nicht als Kreditsicherheit dienen. Folglich erfüllen selbst wohlhabende Unternehmer mit umfangreichem Grundbesitz die Anforderungen der Banken nicht. Die meisten Betriebe haben keine geordnete Finanzbuchhaltung, und Geschäftspläne werden äußerst selten vorgelegt. Somit prägt ein sehr hohes Maß an Unsicherheit Kreditentscheidungen in Afghanistan.

Um die Risiken der Kreditvergabe und den Mangel an Sicherheiten abzufedern, die die Banken akzeptieren, sind Kreditbürgschaften wichtig. Die ACGF – Afghan Credit Guarantee Foundation deckt etwa die Hälfte der Kredite an KMU in Höhe von rund 50 Millionen Dollar ab (Stand Ende 2017). Eine externe Evaluierung hat vor kurzem gezeigt, dass die meisten der ACGF-Partner diese Zielgruppe ohne die Kreditbürgschaften nicht oder nur in sehr viel geringerem Maße bedienen würden.

Neben den tatsächlichen spielen auch die hohen angenommenen Risiken eine Rolle. Diese rühren daher, dass der Finanzsektor bisher nur wenig Erfahrung mit KMU hat. Grundlagenausbildung, die Entwicklung innovativer Produkte – zum Beispiel für erneuerbare Energien, islamische Kredite oder Fintech-Instrumente – und Unterstützung bei der Öffnung zu neuen Kunden wie Unternehmensgründern oder frauengeführten Betrieben können dazu beitragen, Mittelstandsfinanzierung zu verbessern.

Millionen von Afghanen mussten während des Bürgerkriegs ihr Land verlassen, die meisten gingen nach Pakistan und in den Iran. Viele von ihnen werden derzeit gezwungen, ihre Gastländer zu verlassen; einige entscheiden sich auch freiwillig dazu. Die vielen Rückkehrer stellen zwar in vielerlei Hinsicht eine Belastung für Afghanistan dar, bergen aber auch Chancen für den Mittelstand. In den meisten Fällen gründen Rückkehrer zunächst Mikrounternehmen, aber viele haben berufliche Qualifikationen und Erfahrungen, mit denen sie auch größere Betriebe führen und so Arbeitsplätze schaffen können.

Die Finanzwirtschaft ist einer der wesentlichen Schlüssel zur weiteren Förderung des Mittelstands. Dies hat auch die afghanische Zentralbank erkannt und vor kurzem Kreditbürgschaften als vollwertigen Ersatz für dingliche Sicherheiten zu­gelassen sowie generell die Vorschriften für die Absicherung von Krediten gelockert. Das erleichtert den Banken und MFI die Kreditvergabe stark. Mit Unterstützung von Weltbank, OECD und EU hat die afghanische Regierung zudem eine Strategie zur Förderung des Privatsektors erarbeitet. Zugang zu Finanzierung und Formalisierung der Wirtschaft sind dabei zentrale Bestandteile, stehen aber noch am Anfang. Mit ­Kreditbürgschaften zur Risikoübernahme, Beratung und Ausbildung für den Finanzsektor und regulatorischer Begleitung durch Zentralbank und Regierung wird sich der Privatsektor weiter positiv entwickeln können.


Bernd Leidner ist Vorstandsvorsitzender der ACGF – Afghan Credit Guarantee Foundation. Die ACGF stellt Bürgschaften für Kredite an KMU und technische Unterstützung des Finanzsektors in Afghanistan bereit.
b.leidner@acgf.de


LINK
OECD, 2019: Boosting private sector ­development and entrepreneurship in ­Afghanistan. OECD Publishing, Paris.
http://www.oecd.org/eurasia/competitiveness-programme/central-asia/Boosting-Private-Sector-Development-and-Entrepreneurship-Afghanistan-2019-EN.pdf