Nachhaltigkeit

„Chance für einen ,Green New Deal‘“

Der Trend zur Megastadt ist in Asien besonders deutlich.
Das Modell westeuropäischer oder gar nordamerikanischer Großstädte ist ökologisch allerdings nicht nachhaltig. Urbanisierung in Entwicklungsländern wird andere Wege gehen müssen. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise bietet die Chance, bei der Stadtentwicklung wirtschaftliche und ökologische Ziele zu verbinden, meint der ehemalige UNEP-Chef Klaus Töpfer.


[ Interview mit Klaus Töpfer ]

Warum brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklung?
Die nüchternen Zahlen belegen, dass uns ein „weiter so“ nicht weiterbringt. Wir sind konfrontiert mit massiven Urbanisierungstendenzen. UN-HABITAT geht in den großen Agglomerationen von einem Bevölkerungszuwachs von sechs Prozent pro Jahr aus. Wenn wir mit demselben Denken weitermachen würden wie bisher, dann kämen wir über die Nichtregierbarkeit der Städte zu einer Nichtregierbarkeit der Welt insgesamt. Die Städte sind jetzt ein Teil des Problems, sie müssen in Zukunft ein Teil der Lösung werden; sonst kann Nachhaltigkeit nicht erreicht werden.

Bitte erläutern Sie das konkreter.
Eine Stadt wie Chongqing in China mit über 30 Millionen Einwohnern ist keine Stadt mehr wie wir sie ursprünglich kennen. Sie braucht eine stärker dezentral ausgerichtete Infrastruktur. Dafür müssen die entsprechenden Technologien entwickelt werden. Nur so werden Überschaubarkeit und mithin ein wirkungsvoller Kapital- und Energieeinsatz möglich sein.

Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro betonte schon 1992 die Notwendigkeit der langfristigen Sicherung der Lebensgrundlagen. Dennoch dominiert kurzfristiges Denken, und auch die Klimakrise hat sich weiter zugespitzt. Was ist falsch gelaufen?
Ich glaube, wir waren Opfer einer gewissen Euphorie. Der Kommunismus war zusammengebrochen. Wir haben uns zu wenig darum gekümmert, welche Leistungsschwächen der Kapitalismus hat. Wir haben im Zuge der Globalisierung hin­ge­nommen, dass private Ent­­schei­dungs­träger in großen Unternehmen global handelten – während Kontrolle, Aufsicht, Rahmenbedingungen national geregelt wurden. Es entstand eine deutliche Asymmetrie, die bis heute fortbesteht. Es wurde übersehen, dass der Markt Rahmenbedingungen braucht, und dass die „Global Commons“, die Gemeingüter, auch in der Ära der Globalisierung gepflegt werden müssen. Märkte allein können das nicht. Ihre Logik beruht auf Kurzfristigkeit. Wir müssen jetzt wieder erkennen, dass eine soziale Marktwirtschaft einen Ordnungsrahmen erfordert, der transparent und kontrollierbar ist.

Jetzt scheint die globale Finanz- und Wirtschaftskrise die ökologischen Probleme von der Agenda zu verdrängen. Sind die nötigen Ressourcen, um den Klimawandel zu bekämpfen und seine Folgen erträglich zu machen, noch zu mobilisieren?
Auf der einen Seite gibt es Grund zu Pessimismus. Zur Sicherung von Banken und zur Stabilisierung von Arbeitsplätzen werden in kürzester Zeit Hunderte von Milliarden Euro mobilisiert werden. So schnell haben wir in Deutschland noch nie Gesetze verabschiedet. Dabei hatten die Gesetze der Vergangenheit noch nie so materielle Fernwirkungen wie diejenigen, die jetzt in so kurzer Zeit verabschiedet wurden. Wer aber nur kurzatmig auf den aktuellen Vierteljahresgewinn achtet, handelt sich weltweite Destabilisierung ein.

Also erleben wir eine system-relevante Krise?
Wir müssen erkennen, dass dies ein Zusammenbruch marktwirtschaftlicher Ordnungssysteme ist. Es ist irritierend, dass relevantes Wissen nicht beherzigt wird. Seit Jahren sagen wir, dass wir Kreisläufe schließen und langfristig wirtschaften müssen. Und jetzt setzt Deutschland auf eine „Abwrackprämie“. Der Staat subventioniert die Anschaffung von Neuwagen, wenn im Gegenzug alte verschrottet werden. Das entspricht einer gefährlichen Wegwerfmentalität, die mit Sicherheit in die nächste Absatzkrise führt.

Ein Grund zu Pessimismus?
Ja, aber nicht nur. Es gibt andererseits auch die Chance eines „New Green Deal“, um zwei Krisen mit einer Klappe zu schlagen. Die jetzige Krise kann genutzt werden, um Strukturen so zu verändern, wie sie mittel- und langfristig notwendig sind. Diese Elemente sind leider in den gewaltigen Konjunkturprogrammen bisher nur bedingt zu erkennen.

Wie müssten denn sinnvolle Maß­nahmen mit Blick auf die Stadtentwicklung aussehen?
Wir wissen, dass sich unsere Städte in Europa – und erst recht die in Nordamerika – entwickelt haben auf der Basis vergleichsweise hoch subventionierter individueller Mobilität. Es bewahrheitet sich das alte Lied, dass die Strukturen von heute die Preise von gestern reflektieren. Wenn individuelle Mobilität billig ist, begünstigt dies eine sehr ausufernde Stadtstruktur, die sehr ungeeignet ist für alternative Verkehrssysteme, für den nicht motorisierten Verkehr und den öffentlichen Personennahverkehr. Das wird sich jedoch ändern. Wir sehen gerade, dass in Amerika ganze Strukturen obsolet werden, weil die Mobilitätskosten sich ändern. Deshalb bin ich nicht nur pessimis­tisch. Diese Krise kann und muss genutzt werden, zum Beispiel zum Ausbau von Nahverkehrs- und Nahwärmenetzen sowie der Kraftwärmekopplung. Dies würde dezentral Arbeitsplätze schaffen, bei kleinen und mittleren Unternehmen. Also, man sollte nicht resignieren.

Sie sind Mitglied des Advisory Board der Cities Development Initiative for Asia (CDIA), die von der Asiatischen Entwicklungsbank sowie der deutschen, schwedischen und spanischen Entwicklungspolitik getragen wird. Wie sieht nach einem Jahr Ihre Zwischenbilanz aus?
Es ist offensichtlich, dass diese Initiative dringend notwendig war. Das zeigt sich gerade jetzt, wo die Möglichkeit besteht, zwei Krisen mit einer Klappe zu schlagen. Jetzt werden vorbereitende Machbarkeitsstudien für innovative Projekte gebraucht – und genau das leistet die CDIA. Ganz sicherlich müssen wir aber darauf achten, dass man sich nicht mit den Pre-Feasibility Studies begnügt, sondern auch die Umsetzung im Auge behält. Gerade bei multidimensionalen Projektkonzepten ist es zudem nicht immer einfach, geeignete Finanziers zu finden. Klar ist, dass die CDIA eine gute Grundlage für richtungweisende In­ves­titionen für eine nachhaltige Entwick­lung asiatischer Städte geschaffen hat.

Welche Möglichkeiten bietet die internationale Kooperation auf der kommunalen Ebene?
In der Klimadiskussion haben wir immer wieder gefragt, warum die Städte nicht miteinander kooperieren und beispielsweise Clean-Development-Mechanism-Projekte umsetzen.

Dabei geht es darum, dass vermiedene Emissionen in armen Ländern auf die Reduktionspflichten reicher Länder angerechnet werden, wenn diese entsprechende Maßnahmen finanziert haben. Kritiker monieren aber, die Industrieländer drückten sich auf diesem Weg darum, bei sich selbst aufzuräumen.
Diese Argumentation übersieht, dass jede Tonne CO2, die beispielsweise in Indien emittiert wird, genauso schädlich ist wie eine Tonne CO2 aus Deutschland. Aber in Indien ist es mit vergleichsweise wenig Geld sehr schnell möglich, sehr viel CO2 einzusparen. Kooperation nach den Regeln des Clean-Development-Mechanism bedeutet, „low hanging fruits“ zu ernten. Solche Investitionen sind besonders ertragreich. Warum soll in Zukunft eine Stadt in Deutschland nicht mit Emissionszertifikaten für die Ansiedlung von Industrie werben, zu deren Zustandekommen sie durch die Kooperation mit Kommunen in anderen Teilen der Welt beigetragen hat?

Aber die Praxis, sagen Sie, ist schwierig.
Es sind einige Beispiele in Gang gekommen, aber es läuft insgesamt recht zäh. Das hat sicherlich auch mit den hohen Transaktionskosten zu tun. Die deutschen Städte schwimmen ja auch nicht im Geld. Aber Sachverstand haben sie zur Genüge. Deswegen wäre es gut, wenn wir diese zum Teil schon bestehende Zusammenarbeit noch stärker auf die Fragen der nachhaltigen Stadtentwicklung hin ausrichten könnten. Ich glaube, dass da noch viele Möglichkeiten vorhanden sind, für beide Seiten, gerade bei der Reduzierung von CO2.

Die CDIA fokussiert auf Asien. Bräuchten wir solch eine Initiative auch für Afrika?
Bei Afrika muss man immer sagen „aber natürlich“. Andererseits ist es wichtig, sich zu konzentrieren. Asien ist ökonomisch ein gutes Stück weiter. Eine Stadt wie Hanoi ist in ihrer Struktur, in ihrer Entwicklungsdynamik nicht zu vergleichen mit einer Stadt wie Nairobi, in der ich lange gelebt habe. Aber dass wir uns massiv um die Stadtentwicklung in Afrika zu kümmern haben, hat etwas zu tun mit der gesellschaftlichen Stabilität auf diesem Kontinent. Und machen wir uns nichts vor: Die Rückwirkung von destabilisierten sozialen Systemen in Afrika sehen wir ganz unmittelbar am Mittelmeer, auf Lampedusa und die sehen wir in einer Weise, wie unsere Gesellschaft sie offenbar nicht zu beherrschen in der Lage ist. Deswegen ist es dort noch naheliegender zu belegen, dass solche Investitionen nicht Ausdruck von Barmherzigkeit sind, sondern eine Investition in soziale Stabilität auch bei uns darstellen.

Die Fragen stellte Michael Funcke-Bartz, der den InWEnt-Beitrag zur CDIA koordiniert.