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Jugendarbeitslosigkeit

Tickende Zeitbombe

Jugendarbeitslosigkeit ist ein riesiges Problem in Kenia, wie ein aktuelles Buch zum Thema bestätigt. Die 21 Autoren, davon 18 Kenianer, beschreiben und diskutieren die Problematik, zeigen Erwerbsmöglichkeiten auf und beschreiben, was zur Verbesserung der Situation getan werden muss. Das Buch ging aus einem Forschungsprojekt in Kenia mit deutschen und kenianischen Studenten im Jahr 2013 hervor.
Die meisten Jugendlichen in Kenia sind auf den informellen Sektor angewiesen: Markt in Nairobi, Kenia. Schytte/Lineair Die meisten Jugendlichen in Kenia sind auf den informellen Sektor angewiesen: Markt in Nairobi, Kenia.

Ein Handkarren im dichtesten Stadtverkehr Nairobis – Was ist das? Ein Ärgernis für die Autofahrer. Und er ist ein Zeichen dafür, dass ein junger arbeitsloser Mann sich als Lastenträger selbständig gemacht hat. Vorher überlebte er wahrscheinlich mit seltenen Gelegenheitsjobs. Wie viele Arbeitslose es in Kenia gibt, kann niemand genau sagen. Im Land machen die 10- bis 24-Jährigen 32 Prozent der Bevölkerung aus, die unter 35-Jährigen 78 Prozent. 800 000 Schulabgänger drängen jährlich auf den Arbeitsmarkt und finden selten eine Beschäftigung. Schätzungsweise 70 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Das ist ein wirtschaftliches, politisches und gesellschaftliches Problem.

Die Autoren des Buches „Youth unemployment in Kenya“ prangern strukturelle Hindernisse für junge Arbeitssuchende an. Sie bemängeln aber auch die persönliche Einstellung der jungen Leute zur Arbeit. Den Arbeitssuchenden fehle häufig die Fähigkeit zu kommunizieren, sie seien unzuverlässig, und sie möchten mit geringem Aufwand schnell zu Geld kommen. Das schaffe eine schlechte Voraussetzung für eine Anstellung und gar für selbständiges Unternehmertum; kurz: Es fehle an einer Arbeitsethik und an allgemeinen Fähigkeiten, die zum Leben gehören, an sogenannten life skills. Die Autoren kritisieren das kenianische Bildungssystem, das geistloses Memorieren und examenorientiertes Lernen fördere anstelle der Fähigkeit zu verstehen und selbständig, innovativ zu denken. Gerade dies sei notwendig für einen Unternehmer.

Eine grundlegende Reform des ke­nianischen Bildungssystems sei notwendig, finden die Autoren. Schulbildung müsse eine umfassende Erziehung für das Leben insgesamt bieten und damit auch eine angemessene Vorbereitung für das Berufsleben. Kenia hat sogenannte technical schools, die eine Berufsausbildung vermitteln sollen; aber diese Ausbildung sei kopflastig und praxisfern, urteilen die Autoren. In Europa – so der Hinweis – hätten jene Länder, die eine duale Berufsbildung durchführen, die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Deshalb wird in einem Beitrag das deutsche System der dualen Berufsbildung vorgestellt – als Anregung, nicht um es zu kopieren.


Arbeitschancen

Auf dem afrikanischen Kontinent ist Kenia führend in der Kommunikationstechnologie (s. Interview S. 18 ff. und e-Paper E+Z/D+C 2016/06, S. 34 ff.). In diesem Bereich gibt es Arbeitsmöglichkeiten, und viele junge Universitätsabgänger streben dorthin. Aber die Chancen sind naturgemäß begrenzt. Deshalb setzen die Autoren die Hoffnung auf Programme, die junge Menschen zu einer Arbeit in der Landwirtschaft ermutigen – auch wenn sie vielleicht davor geflohen sind.

Beispielsweise gibt es ein Programm der anglikanischen Kirche in West-Kenia, wo Landwirtschaft als Geschäftsmöglichkeit (agri-business) propagiert wird. Das Programm zielt darauf, auftretende Hindernisse zu überwinden und nicht zuletzt die Alten davon zu überzeugen, dass es Zeit ist, Land zu übergeben, mit dem die Jungen wirtschaften können.

Kenia braucht unternehmerisch gesinnte Landwirte. Das Mazingira Institut in Nairobi leitet vor allem junge Frauen an, „urbane Landwirtschaft“ zu betreiben. Das bedeutet, dass kleine Hinterhöfe oder anderes Brachland innerhalb der Stadt genutzt werden, um Gemüse anzubauen oder Hühner zu halten. Die Teilnehmer an diesem Programm erhalten eine grundlegende landwirtschaftliche Ausbildung und bekommen so die Möglichkeiten, ein geringes Einkommen zu erwirtschaften.

Angesichts der verschwindend geringen Chancen, im regulären Arbeitsmarkt unterzukommen, versuchten junge Leute im informellen Sektor ein Einkommen zu finden, erklären die Autoren. Das betreffe zunächst und vor allem die Slums, die eine eigene Wirtschaftsstruktur entwickelt haben. Mit Improvisation, Kreativität und Energie würden kleine Geschäfte gegründet, die eine Familie ernähren können.

Das Mini-Restaurant an der Straßenecke unter freiem Himmel sei ein Beispiel hierfür. „Jua kali“ heißt dieser Erwerbszweig, dem beispielsweise auch Schreiner, Automechaniker und Metallberufe angehörten. Typische geldbringende Tätigkeiten in diesem Sektor sind auch der Taxi-Service auf Motorrädern (boda-boda), Straßenverkauf, Wassertransport, Sammeln und Recycling von Abfall. Das weist darauf hin, so die Autoren, dass dieser informelle Sektor eine wichtige Rolle für die Gesamtwirtschaft übernehme.

Die Abgänger von den zahlreichen Universitäten scheinen bessere Beschäftigungschancen zu haben als die Slumbewohner. Aber die Qualität ihrer Ausbildung mache dies wieder zunichte, meinen die Autoren. Denn sie seien auf den Arbeitsmarkt in keiner Weise vorbereitet. Das führe zur Frustration auf Seiten der Arbeitgeber und der jungen Leute. Zwei andere Gruppen von Jugendlichen hätten ebenfalls ihre spezifischen Probleme auf dem Arbeitsmarkt: Frauen und Behinderte. Sie seien mit Vorurteilen, die auch traditionell bedingt sind, konfrontiert. Das habe Ausbeutung und Diskriminierung zur Folge.

Die kenianische Regierung ist sich der fatalen Lage der unbeschäftigten Jugend durchaus bewusst. Das Problem steckt zum großen Teil im System; deshalb versuchen Politiker mit verschiedenen Programmen, Beschäftigung für die Jugend zu schaffen. Beispielsweise sollen junge Unternehmer bei öffentlichen Ausschreibungen besonders berücksichtigt werden. Der Staat stellt ein umfangreiches Budget zur Jugendförderung zur Verfügung. Es gibt ein Programm mit Unterstützung von UN-Habitat, das mit den sogenannten One-Stop-Zentren arbeitet. Jugend­liche sollen dort durch Mitarbeit Erfahrung in der Verwaltung und als Unternehmer gewinnen; gleichzeitig erhalten sie ein Training und eine Unterstützung in mehreren Bereichen wie Gesundheit, Verwaltung, Kommunikationstechnologie, Umwelt und Lebensunterhalt. Die Autoren begrüßen die Regierungsprogramme, sie beklagen aber auch die großen bürokratischen Hindernisse, die vieles zunichte machten. Ein nationaler, gut durchdachter und koordinierter Plan für die Beschäftigung der Jugend ist in ihren Augen notwendig.

Ein Autor beklagt, dass die Jugend eine zu geringe Fürsorge für reproduktive Gesundheit erhält. Das liege hauptsächlich an einem zu kleinen Budget hierfür, an schlecht ausgestatteten Jugendzentren und einer rückständigen Bevölkerungspolitik. Dadurch sei die Jugend den Gefahren von HIV/Aids, ungeplanten Schwangerschaften und sexuell übertragenen Krankheiten ausgesetzt. Einen positiven Lichtblick sieht ein früherer Staatssekretär im Bildungsministerium in der Möglichkeit, auf den Bedarf von hochqualifizierten Arbeitskräften in anderen Teilen der Welt mit kenianischer ausgebildeter Jugend zu reagieren. Dies mag im Augenblick jedoch futuristisch klingen; denn gerade Kenia braucht selbst gut ausgebildete Fachkräfte.

Das Buch beschreibt und diskutiert die Jugendarbeitslosigkeit in Kenia von mehreren Seiten und nicht nur als Problem. Es verweist auch auf die kreative und unternehmerische Potenz, die in der kenianischen Jugend steckt. Das Problem ist nicht ein kenianisches, sondern eines vieler afrikanischer Staaten, das teils tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Der Handkarren im dichten Straßenverkehr Nairobis wird darum den reichen Autofahrern noch lange ein Ärgernis sein.­

Helmut ­Danner


Literatur
Danner, H., Kerretts-Makau, M., Nebe, J. M., Hrsg., 2016:
Youth unemployment in Kenya – A ticking time bomb. Nairobi: Longhorn.