Gewalt gegen Frauen
Kleine Schritte, große Erfolge
[ Von Susanne M. Müller ]
Frauen sind wie ein Stück weißes Tuch, so ein kambodschanisches Sprichwort: einmal befleckt immer befleckt. Männer dagegen gleichen Diamanten. Ein Diamant verliert seine Reinheit nie, egal, wie oft er in den Dreck fällt. Man wäscht ihn, und er strahlt wie zuvor. Gedichte und Sprichwörter beschreiben Frauen als tugendhafte, dienende Ideale. Diese Rollenklischees gelten noch heute. Bricht eine Frau damit, droht ihr in der traditionellen kambodschanischen Familie Strafe. Sie wird beschimpft, eingeschüchtert, geschlagen oder isoliert, und im eigenen Zuhause zum Opfer – dort, wo sie sich bis dahin sicher fühlte. Familiäre Gewalt ist für Opfer, Familie und Gesellschaft gravierend. Viele körperliche und seelische Schäden bleiben: Die Opfer fühlen sich hilflos, gedemütigt, oft leben sie in Angst.
Nach wiederholten Berichten über häusliche Gewalt hat das kambodschanische Frauenministerium das Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Mit Erfolg, wie der Vergleich von zwei repräsentativen Umfragen aus den Jahren 2005 und 2010 zeigt. In einer für die kambodschanische Bevölkerung repräsentativen Studie „Violence against Women“ untersuchte das Ministerium im Jahr 2005 Akzeptanz und Prävalenz von Gewalt sowie Handlungsspielräume der Opfer. Darin wurde zwischen verbaler und physischer Gewalt (von leichten Schubsern bis zum Einsatz von Schusswaffen, Messern oder Säure) unterschieden.
Kambodscha hat häusliche Gewalt früh als soziales Problem erkannt. Bei der Anpassung der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) an den kambodschanischen Kontext setzte die damalige Frauenministerin Mu Sochua das Thema hoch auf die nationale Agenda. Kambodscha ist seit 2003 das erste Land der Welt, das den Rückgang von Gewalt gegen Frauen zu Indikatoren in den nationalen Millenniumsentwicklungszielen (CMDGs) erhebt. Die Regierung ist seither verpflichtet, rechtliche Regelungen dazu auszuarbeiten.
Das Gewaltschutzgesetz
Nichtregierungsorganisationen (NROs) forderten schon in den 90er Jahren entsprechende Gesetze. Nach Verabschiedung der CMDGs brachte das Frauenministerium 2003 einen Gesetzesentwurf gegen häusliche Gewalt ins Parlament ein. Er setzte Strafen fest und führte richterliche Beschlüsse zum Opferschutz ein.
Bei der ersten Debatte in der Nationalversammlung zeigten die Abgeordneten festgefahrene Rollenbilder. Monh Saphan von der Royalisten Partei Funcinpec, sprach aus, was alle dachten: „Wenn Ehefrauen das Recht bekommen, ihren Ehemann anzuzeigen, dann sind sie nicht länger Ehefrauen.“ Die Parlamentarierin Prinzessin Norodom Vacheara fürchtete, Eltern könnten ihr Gesicht verlieren, und sieht die traditionelle, asiatische Familienhierarchie in Gefahr: „Wenn Kinder ihre Eltern vor Gericht anklagen können – selbst wenn die Eltern dann nicht ins Gefängnis kommen – wie können sie ihren Kinder je wieder ins Gesicht sehen?“ Bis zum Ende der Legislaturperiode wurde über das Thema debattiert, aber kein Gesetz verabschiedet.
Das Frauenministerium erkannte, dass harte Strafen für häusliche Gewalt in Kambodscha kontraproduktiv sind, und änderte den Gesetzentwurf. Aus Angst, die Täter kämen ins Gefängnis, erstatten viele Opfer keine Anzeige. Die wenigsten Kambodschanerinnen wollen ihren Mann – und Ernährer der Familie – in Haft sehen. Was sie wollen, ist lediglich ein Ende der Gewalt.
In der folgenden Legislaturperiode diskutierte das Parlament den veränderten Gesetzentwurf, der auf zivilrechtliche Maßnahmen setzt. Zentral war hier die Schutzanordnung: Ein Richter konnte nun einen Täter bei einem Übergriff auf den Partner oder andere Familienangehörige des Hauses verweisen. Tätern kann somit langfristig verboten werden, den gemeinsamen Wohnort zu betreten, um zu verhindern, dass die Gewalt eskaliert. Zwei Jahre nach der ersten Debatte verabschiedeten die Parlamentarier das „Gesetz zur Prävention von häuslicher Gewalt und Schutz der Opfer“ – kurz Gewaltschutzgesetz.
Behutsame Aufklärung
Mit seiner Aufklärungskampagne setzt das Frauenministerium bei der hohen Akzeptanz von Gewalt an. Landesweit säumen „Stoppt Gewalt in der Familie“-Schilder die großen Straßen. In Fernseh- und Radiospots wird auf behutsame Weise auf positive Familienwerte und Nachbarschaftshilfe verwiesen. Dialog statt Strafverfolgung ist das Motto.
Darüber hinaus werden auch Polizisten, Justizbeamte und Gemeinderäte – und landesweit mehr als 13 000 Gemeindebürgermeister und Dorfchefs – entsprechend ausgebildet. Sie lernen, verschiedene Formen der Gewalt zu unterscheiden. Sie diskutieren die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und werden über neue gesetzliche Rechte und Pflichten informiert.
Früher vermittelten die Dorfchefs, wenn sich ein Ehepaar stritt. Diese traditionelle Mediation mündete meist in einer offiziellen Versöhnung. Das Problem blieb jedoch oft ungeklärt, weiterer Gewalt wurde somit nicht nachhaltig vorgebeugt.
Das neue Gewaltschutzgesetz überträgt nicht nur der Polizei, sondern auch den lokalen Verwaltungsbeamten Interventionskompetenzen bei häuslicher Gewalt, was bedeutet, dass Dorfchefs und Gemeindebürgermeister umdenken müssen. Statt erzwungenem Ausgleich geht es nun um Opferschutz. Noch ist nicht genau geklärt, wie Interventionen in die Privatsphäre der Bürger geregelt werden. Trotz einiger noch bestehender Mängel sind die lokalen Beamten allein aufgrund ihrer räumlichen Nähe wichtige Ansprechpartner bei sozialen Konflikten für die Bürger.
Erfolge und Widersprüche
Früher hielten sich Justiz und Polizei aus dem Privatbereich heraus. Der Einsatz der Behörden endete vor der Haustüre. Die meisten Kambodschaner gaben noch 2005 an, häusliche Gewalt sei reine Familiensache. Ein Mann habe zudem mehr Rechte als Frauen und bestimme das Familienleben.
Das Gewaltschutzgesetz ist ein Paradigmenwechsel, der private Konflikte ins öffentliche Interesse rückt. Damit Polizisten und Justizbeamte – meist Männer – das auch umsetzen, wird viel Energie in den Aufbau ihrer Fachkompetenz gesteckt. Die Aus- und Fortbildung der verschiedenen Berufsgruppen muss standardisiert werden.
Ohne ein Polizeigesetz als rechtlichen Rahmen gibt es dabei jedoch Grenzen. Bei der Weiterbildung des Justizpersonals ist Kambodscha wegen einer umfassenden Reform von Zivilrecht und Strafrecht ohnehin besonders gefordert.
Politische Einflussnahme auf das Justizsystem und hohe Korruption verstärken die Kultur der Straflosigkeit. Noch wirkt sich das Gesetz zur Prävention von häuslicher Gewalt und dem Schutz der Opfer nur begrenzt auf die rechtliche Realität von Frauen aus. Trotzdem hat das Gewaltschutzgesetz den Wertewandel beschleunigt: Heute halten 96 Prozent der kambodschanischen Männer und 98 Prozent der Frauen das Gesetz gegen häusliche Gewalt für hilfreich.
Die von GTZ und UNFPA finanzierte Anschlussstudie „Gewalt gegen Frauen“ (2010), offenbart weitere Veränderungen. Wie der Vergleich mit Daten der Baseline Studie von 2005 zeigt, ist Gewalt nicht mehr so akzeptiert wie noch fünf Jahre zuvor. Fast 30 Prozent weniger Männer halten es für gerechtfertigt, mit Gegenständen zu werfen. Die Zahl der Männer, die Fesseln und Schläge in Ordnung fanden, sank um 16 Prozent – bei den Frauen um 29 Prozent. Von den Männern hielten 21 Prozent, von den Frauen 27 Prozent den Gebrauch eines Messers zur Lösung von Konflikten für gerechtfertigt.
Gewaltverhalten wird insgesamt immer weniger akzeptiert – darin zeigt sich ein Wertewandel. Trotzdem bleibt für das Frauenministerium noch viel zu tun: Was Bürger akzeptieren und was sie als Straftat sehen, klafft weit auseinander. So halten mehr als 96 Prozent der Männer es für eine Straftat, jemanden mit dem Messer zu bedrohen oder zu würgen, zugleich aber finden bis zu 12 Prozent, dass das ein akzeptables Verhalten ist. Diese Widersprüchlichkeit im kulturellen und sozialen Verständnis bleibt eine Herausforderung nicht nur in Kambodscha.