Nahost
Konfessionelle Dimension
Bei dieser geostrategischen Rivalität geht es um Einfluss in der Region, um „Spielregeln“ und darum, eine Art „Kräfteverhältnis“ herzustellen. Beide Länder sind an Stellvertreterkriegen im Jemen und in Syrien beteiligt; Jemens Huthi-Rebellen gehören einer schiitischen Sekte an und werden vom Iran unterstützt. Der syrische Diktator Bashar al-Assad gehört einer anderen schiitischen Sekte an. Die Rivalität spiegelt sich auch in der militanten Gewalt im Irak wider.
Diese Feindschaft hat eine klare religiöse Dimension. Die uralte sunnitisch-schiitische Glaubensspaltung stammt noch aus Zeiten des Propheten Mohammed (siehe Kasten). Die Islamische Republik Iran basiert auf der Zwölfer-Schia des schiitischen Islam und wird vom Klerus kontrolliert. So hat der oberste Führer Ajatollah Khamenei, ein hochrangiger Geistlicher, mehr Macht als Präsident Hassan Rouhani, auch wenn dieser vom Volk gewählt wurde.
Saudi-Arabien hingegen ist eine absolutistische Monarchie. Seine religiöse Doktrin ist die wahhabitische Version des sunnitischen Islam, die auf der wörtlichen Auslegung der heiligen Schriften besteht. Da die heiligen Städte Mekka und Medina in Saudi-Arabien liegen, beanspruchen die Wahhabiten die internationale religiöse Führerschaft für sich.
Ungünstigerweise instrumentalisieren beide Seiten ihren Glauben und machen ihn zum außenpolitischen Instrument. Die Führer beider Länder betrachten sich als göttlich legitimiert, Einfluss zu nehmen und Macht auszuüben.
Im Januar 2016 spitzte sich die Lage zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu, als Riad Nimr al-Nimr hinrichten ließ, einen Geistlichen, der einer in Saudi-Arabien marginalisierten schiitischen Minderheit angehörte. Nimr wurden enge Beziehungen zum Iran und Begünstigung von Terrorismus vorgeworfen.
In dieser Zeit ließ die saudische Regierung 47 „Terroristen“ hinrichten, darunter Faris al-Zahrani, einen Führer der Terrororganisation Al-Qaida, die eigentlich wahhabitische Wurzeln hat. Nimr zusammen mit Al-Qaida-Sträflingen hinzurichten war eine klare Botschaft an Teheran. Die Saudis meinen, der Iran kultivierte besonders die schiitische Minderheit, und zeigten, dass sie eine solche Einmischung nicht tolerieren würden.
Daraufhin setzten staatsnahe Hardliner die saudische Botschaft in Teheran in Brand. Ein weiterer radikaler Mob griff das saudische Konsulat im nordöstlichen Maschhad an. Saudi-Arabien und sein enger Verbündeter Bahrain kappten daraufhin alle diplomatischen Beziehungen zum Iran. Das hat die Spannungen weiter verschärft, was sich besonders im eskalierenden Stellvertreterkrieg im Jemen zeigt. Im Mai 2017 kündigten die Saudis an, die Huthis „innerhalb weniger Tage“ zu stürzen – doch der Krieg dauert an. Laut UN wütet im Jemen die schlimmste von Menschen verursachte Katastrophe.
Extremistische Ideologien
Etliche Annäherungs- und Versöhnungsversuche des als gemäßigt geltenden Präsidenten Rouhani sind gescheitert. Saudi-Arabiens führender Kopf Mohammed bin Salman (MbS) will keine Entspannung der Lage. Im Mai 2017, kurz bevor er Kronprinz wurde, äußerte er seine sektiererischen Ansichten und schloss jeglichen Dialog mit dem Iran aus. In einem Interview sagte er, das schiitische Regime „basiere auf einer extremistischen Ideologie“ und wolle „die islamische Welt kontrollieren“.
Saudi-Arabien hat auch extremistische Absichten und will die islamische Welt kontrollieren. Seine Missionare verbreiten schon lange ihre fundamentalistischen Ansichten im Ausland (hierzu siehe auch Bogbeitrag von Hans Dembowski). MbS warnte außerdem: „Wir warten nicht ab, bis der Kampf zu uns kommt, wir werden alles dafür tun, dass der Kampf im Iran stattfindet, nicht in Saudi-Arabien.“
Anfang Juni 2017 verübte die von Saudi-Arabien verschmähte Terrororganisation ISIS, die ebenfalls aus dem Wahhabismus hervorgegangen ist, einen Anschlag auf das iranische Parlament und das Mausoleum des verstorbenen Ajatollah Khomeini. Dabei starben mindestens 16 Menschen.
Bei einem Angriff auf eine Militärparade in der südiranischen Stadt Ahvaz im September 2018 kamen 25 Menschen ums Leben, auch Zivilisten. ISIS und die sunnitische Organisation al-Ahvaziya bekannten sich dazu.
Eine weitere sunnitische Rebellengruppe – Jaish ul-Adl (Armee der Gerechtigkeit) – ist im Osten des Iran an der pakistanischen Grenze aktiv. Im Februar 2019 tötete eine Autobombe mindestens 27 Mitglieder der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC).
Iran hat Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) für die Unterstützung militanter sunnitischer Gruppen kritisiert. Es gab auch Racheaktionen, bei denen Huthis saudisches Territorium mit Raketen und Drohnen angriffen. Man vermutet, dass diese mit iranischer technischer Unterstützung hergestellt, wenn nicht sogar von Teheran zur Verfügung gestellt wurden.
Mitte September setzten Drohnen eine saudische Raffinerie in Brand. Huthi-Truppen erklärten, sie seien verantwortlich, aber Washington und Riad gaben Teheran die Schuld.
Der Iran unterstützt auch andere Milizen, etwa die schiitische Hisbollah im Libanon. Generell unterstützt der Iran keine sunnitischen Kämpfer – außer der Hamas im Gazastreifen, die der von Ägypten und Saudi-Arabien geächteten Muslimbruderschaft nahesteht. Die Muslimbrüder sind Sunniten, aber keine Befürworter des Wahhabismus. Während Ägypten und Saudi-Arabien behaupten, Frieden mit Israel zu wollen, gibt der Iran vor, arabische Interessen zu vertreten, um die Legitimität Israels zu leugnen.
US-Präsident Donald Trump hat sich dezidiert auf die Seite der Saudis gestellt. Auf seiner ersten Auslandsreise nach Amtsantritt berief er 2017 einen Antiterrorgipfel in Riad ein. Es kamen vor allem Vertreter sunnitisch-muslimischer Länder aus aller Welt. Man erklärte Teheran zur Terrorzentrale, alle Länder wurden gedrängt, die Islamische Republik zu isolieren.
Trumps Vorgehen war nicht erfolgreich. Kurz nach dem Gipfel entschied Katar, seine guten Beziehungen zum Iran beizubehalten. Katar muss mit dem Iran kooperieren, um Erdgasfelder im Meer zu erschließen, ist nun aber von den anderen Golfmonarchien isoliert. Kürzlich beschlossen die VAE jedoch, ihre Militärpräsenz im Jemen zu drosseln und mit Teheran über die maritime Sicherheit zu verhandeln.
Trumps „Maximaldruck“-Politik gegenüber dem Iran schmerzt das Land, blieb bisher aber erfolglos. Beobachter wissen, dass die Lage immer komplexer war, als Trump denkt.
Besorgniserregend ist, dass es so aussieht, als ob das Atomabkommen scheitert. Zusammen mit Deutschland, Frankreich, Britannien, Russland und China hatte Trumps Vorgänger Barack Obama die Wirtschaftssanktionen aufgehoben – im Gegenzug sollte Teheran kein Uran mehr für den Bau von Atomwaffen anreichern.
Ideologische und konfessionelle Differenzen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien bleiben. Sie könnten sogar zu einem für den gesamten Nahen Osten verheerenden Krieg eskalieren. Da Russland und China tendenziell auf iranischer Seite und nicht auf der Seite der USA stehen, ist die Lage brandgefährlich.
Die Region braucht friedlichere Strategien. Eine Versöhnung wäre möglich, wenn beide Seiten lernen würden, konfessionelle Unterschiede zu akzeptieren und diese nicht mehr für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Aktuell mag das utopisch klingen, aber es ist machbar. Tatsächlich haben schiitische Minderheiten lange in überwiegend sunnitischen Gebieten gelebt, so wie es sunnitische Gemeinden im heutigen Iran tun.
Maysam Behravesh ist politischer Analyst bei Persis Media und promoviert in Politikwissenschaften an der Universität Lund in Schweden.
Twitter @MaysamBehravesh