Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Interview

„Afrika muss seine Werte vertreten“

Beim EU-Afrika-Gipfel in Lissabon im Dezember zeigten sich Afrikas Führer selbstbewusst. Auch die europäischen Politiker scheuten sich nicht, Klartext zu reden. Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa äußerte sich deutlich zu Simbabwe. Nach Ansicht von Agnes Abuom vom Ökumenischen Rat der Kirchen muss Afrika eigene Standpunkte formulieren, anstatt immer nur zu reagieren. Für eine echte Partnerschaft müsste andererseits Europa seine paternalistische Haltung aufgeben.

Was ist das wichtigste Ergebnis des Gipfels?
Immerhin sprechen Europäer und Afrikaner miteinander. Konkrete Ergebnisse fehlen, aber der Gipfel war dennoch nützlich, weil das Thema Menschenrechte eine wichtige Rolle spielte. Nicht nur die Lage in Simbabwe und Darfur wurde diskutiert, sondern es ging generell um Menschenrechte und politische Führung in Afrika. Das war wichtig, um Demokratisierung und Good Governance in Afrika zu stärken. Leider hat die EU Darfur zu wenig Beachtung geschenkt; das gilt sowohl für die Unterstützung der Friedenstruppen als auch für die Stärkung des Friedens- und Sicherheitsmechanismus der Afrikanischen Union. Über die Darfur-Friedensmission wird seit vergangenem August diskutiert. Aber in Lissabon wurde das Thema nicht mit der nötigen Dringlichkeit angegangen.

Warum hat Europa Gespräche über Darfur vermieden?
Ein Grund könnte sein, dass die Positionen verschiedener EU-Mitglieder zum Sudan nicht miteinander vereinbar sind. Die EU spricht nicht mit einer Stimme.

Vielleicht wollte die EU die Stimmung nicht verderben und den afrikanischen Politikern deshalb die Darfur-Frage ersparen?
Durchaus möglich. Die EU wusste, dass die Gespräche über die Handelsbeziehungen schwierig werden würden, besonders zum Thema Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA). In diesem Sinne war es in Europas Interesse, die Darfur-Frage zu vermeiden, nicht in Afrikas. Andererseits wussten die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Lissabon, dass Menschenrechte generell auf der Tagesordnung stehen würden, nicht nur Simbabwe und Darfur. Vielleicht hat auch das dazu beigetragen, dass Darfur beiseite geschoben wurde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Simbabwes Präsident Robert Mugabe deutlich kritisiert. Sie warf ihm vor, seine Regierung schädige Afrikas Ruf in der Welt. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade reagierte verärgert und warf Merkel vor, nicht gut informiert zu sein. Wer hat Recht?
Ich denke, beide haben Argumente auf ihrer Seite. Europäische Regierungen haben es versäumt, das historische Dilemma Simbabwes zu berücksichtigen. Deshalb haben die afrikanischen Politiker in Lissabon eher ablehnend reagiert. Zudem glaube ich nicht, dass die Menschen in Deutschland ausreichend über die innerafrikanischen Debatten informiert sind. In diesem Punkt hatte Präsident Wade absolut Recht. Andererseits: Wenn Menschenrechte gefährdet sind, muss das angesprochen werden. Kanzlerin Merkel hätte aber Simbabwes verfahrene Lage anerkennen müssen, um mit Autorität zu sprechen. Es ist ja kein Zufall, dass die Briten das Treffen boykottiert haben. Sie wissen nur zu gut, dass sie zu der Krise beigetragen haben.

Tun die Afrikanische Union und die Southern African Development Community (SADC) genug, um Simbabwes Probleme zu lösen?
Es gibt nicht nur Anstrengungen staatlicher Institutionen, sondern auch kirchlicher Organisationen. Die Lage ist schwierig und komplex, und die Leute tun, was sie können. Die Lage in Simbabwe ist sehr polarisiert, was Verhandlungen erschwert. Viele verschiedene Akteure beteiligen sich an Gesprächen, um eine Lösung zu finden.

Hat Europa grundsätzlich das Recht, von afrikanischen Führern die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern?
Die Respektierung der Menschenrechte ist eine globale Verantwortung. Ich glaube nicht, dass Europa das Recht hat, Forderungen zu stellen. Ich glaube aber an Mechanismen, um die Rechenschaftspflicht von Staats- und Regierungschefs einzufordern. Es muss Gespräche geben, die das Verhalten von Politikern ans Licht bringen. Wenn Führer versagen, sollten weder Europa noch Afrika schweigen. Bisher hat Afrika sich allerdings kaum zu den Menschenrechten in Europa geäußert.

Handelspolitik war ein weiterer Streitpunkt in Lissabon. Einige afrikanische Regierungen haben Interim-EPAs mit der EU unterzeichnet, andere lehnen die Abkommen ab. Präsident Wade hat der EU in diesem Zusammenhang vorgeworfen, einen Keil zwischen armen und fortgeschritteneren afrikanischen Ländern zu treiben. Sehen Sie das auch so?
Ja, die EU missachtet die von afrikanischen Ländern angestrebte Integration. Wäre die EU ernsthaft an der wirtschaftlichen Integration Afrikas interessiert, würde sie nicht eine derart spalterische Politik machen. Anstatt die AU zu stärken, „balkanisiert“ sie Afrika in vier Blöcke. Das widerspricht einer ökonomischen Integration. Wäre die Europäische Kommission an echten Verhandlungen mit Afrika interessiert, hätte sie der AU helfen können, die verschiedenen ökonomischen Blöcke wie SADC, ECOWAS oder die Ostafrikanische Gemeinschaft zusammenzubringen. Stattdessen hat sie verschiedene Länder manipuliert und genötigt. Ich bin nicht überrascht, dass unsere Regierungen derart chaotisch und unorganisiert Interimsabkommen unterzeichnen. Europa spielt das altbekannte Spiel „Teile und Herrsche“. Aus diesem Grund sagt die Zivilgesellschaft: Europa ist nicht an Afrikas Wohl interessiert.

Aber erklären unterschiedliche ökonomische Interessen der verschiedenen Länder nicht viel besser, warum einige Länder Interimsabkommen akzeptiert haben und andere nicht?
Natürlich gibt es unterschiedliche Interessen. Aber es gibt auch unterschiedliche Beziehungen zu Europa und unterschiedliche Kräfte, die in den Hauptstädten wirken. Haben die Regierungen, die EPAs unterzeichnet haben, wirklich auf die Bürger gehört? Nein, das haben sie nicht. Sogar mein eigenes Land – Kenia – hat nicht auf das Volk gehört. In wessen Interesse handeln die Politiker also?

Was braucht Afrika am dringlichsten von Europa? Mehr Entwicklungshilfe?
Nein, zunächst brauchen wir faire und gerechte Beziehungen zueinander. Zweitens brauchen wir gut gezielte Hilfe, die auf ausgefeilten Programmen basiert. Wir brauchen keine Hilfe um der Hilfe willen. Das hat die Erfahrung der vergangenen 40 Jahre gezeigt. Afrika braucht Hilfe, aber nur solche, die wirklich die Bedürfnisse der Menschen befriedigt. Drittens muss Europa akzeptieren, dass Afrika neue Wege ausprobiert. Wir folgen nicht unbedingt dem europäischen Modell. Europa muss aufhören, Afrika in eine Richtung zu drängen, die in der Vergangenheit nicht funktioniert hat. Wenn Europa wirklich um Menschenrechte und Entwicklung besorgt ist, dann sollte es uns helfen, das von afrikanischen Diktatoren gestohlene Geld zurückzuholen. Dieses Geld liegt auf Bankkonten in Genf und anderen Orten. Aber Europa tut wenig dafür, dass es nach Afrika zurückfließt, wo es für Entwicklung genutzt werden könnte.

Präsident Wade sagt, Europa laufe Gefahr, den Wettbewerb um Afrika zu verlieren. Ist das so?
Zu einem gewissen Grad ja. Europa könnte tatsächlich verlieren, wenn es den Afrikanern weiter nicht zuhört, während es gleichzeitig die politischen Führer in bestimmten Ländern bedrängt und nötigt. Das könnte dazu führen, dass Afrika nach Osten schaut und neue Partner in Asien findet. Andererseits hat Europa immer noch einen wichtigen Vorteil: Es hat die Technologie, die Afrika braucht. Der Kampf ist also für Europa noch nicht verloren. Er könnte aber verlorengehen, wenn die Verwirklichung der EU-Afrika-Strategie die Hoffnungen der Menschen nicht berücksichtigt.

China investiert in Afrika und gewährt Entwicklungshilfe, ohne Bedingungen zu stellen. Ist dieser „chinesische Weg“ besser für Afrika als der europäische Ansatz?
Das wissen wir noch nicht. Wir wissen aber sehr wohl, das China nicht einfach so Hilfe leistet. China engagiert sich in Afrika wegen der Ressourcen. In Ländern wie Angola hat China sich langfristige Abkommen zur Ausbeutung von Öl und anderen Rohstoffen gesichert. Das ist nicht unbedingt im Interesse Afrikas, weil diese Abkommen nicht erneuert werden können. Jedes Abkommen mit auswärtigen Mächten – sei es China, sei es Europa –, das nicht der Umwelt, nachhaltiger Entwicklung oder Frieden und Gerechtigkeit dient, ist nicht in Afrikas Interesse. Das sind die Faktoren, die wir bei der Beurteilung unserer Beziehungen zu China beachten müssen. Das chinesische Engagement im Sudan zum Beispiel ist ohne Zweifel schädlich für die Menschenrechte in Afrika.

Was kann Afrika tun, um das Verhältnis zu Europa zu verbessern?
Afrika muss selbst eine durchdachte Agenda und Strategie formulieren. Afrika darf nicht nur abwarten und reagieren. Sieben Jahre nach dem Cotonou-Abkommen haben wir noch immer keine gemeinsame EPA-Strategie. Afrika hat die ganze Zeit nur abgewartet und erst auf Europas Vorschläge reagiert. Zweitens muss Afrika seine Werte vertreten, die für einen anderen Ansatz von Entwicklung stehen, anstatt nur auf europäische Ansätze zu warten. Afrika muss aufhören, in der Beziehung zu Europa nur die zweite Geige zu spielen.

Die Fragen stellte Tillmann Elliesen.

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.