Wirtschaftliche Entwicklung
Freiraum für Innovation
[ Von Balthas Seibold und Phillip Winter ]
Im Jahr 2001 teilten William Kamkwambas Eltern dem 14-Jährigen in Malawi mit, dass ihnen sein Schulbesuch zu teuer geworden war. Ernteausfälle hatten die Bauern hart getroffen. Der Junge wollte aber nicht zur Unwissenheit verdammt sein. In seiner Freizeit las er Sachbücher – und aus Material vom Schrottplatz bastelte er einen Windgenerator, der schließlich genug Energie lieferte, um die Handys der Nachbarn aufzuladen. Damit verdiente er dann etwas Geld.
Diese Geschichte ist nicht ungewöhnlich. Kamkwamba ist einer von vielen talentierten Tüftlern, die in Entwicklungsländern den Lebensstandard ihrer Umgebung steigern. Ein anderes Beispiel sind zwei kenianische Studenten, die ein pedalgetriebenes Ladegerät für Mobiltelefone entwickelten. Viele Afrikaner besitzen Handys, aber die Stromversorgung erreicht längst nicht alle Orte. SolarAid ist ein weiteres Beispiel. Das Unternehmen in Botswana stellt günstige Hörhilfen her, die von einem federleichten Solaraufladegerät versorgt werden. Selbst Konsumenten in reichen Ländern interessieren sich für dieses Produkt. Ein weiteres Projekt heißt Potters for Peace. Die Töpfer helfen kleinen Unternehmen in Entwicklungsländern, einen schlichten keramischen Filter zum Schutz vor durch Wasser übertragene Krankheiten herzustellen.
Erfindungen bauen jedoch immer auf der Arbeit anderer auf. Kleinunternehmen in Entwicklungsländern kämpfen damit, dass Wissensbausteine, die sie benötigen, oft schon jemandem gehören. Mehr als 85 Prozent aller Patente sind im Besitz von Firmen aus den USA, Europa und Japan. Um auf das pedalgetriebene Ladegerät zurückzukommen: Woher wissen die beiden Erfinder, dass Komponenten, die sie in kaputten Radios oder Fernsehgeräten gefunden haben, nicht patentiert sind? Sollten sie es sein, könnte das dem Aufbau eines eigenen Unternehmens im Weg stehen.
Internationale Abkommen fordern arme Länder zu immer strengerem Schutz von geistigen Eigentumsrechten (IPR) auf. Laut UNCTADs Least Developed Countries Report von 2007 führt das zu steigenden, aber einseitigen Finanzströmen. Arme Länder müssen immer mehr Geld für Urheberrechte, Lizenzgebühren und dergleichen aufwenden.
Übereifriger IPR-Schutz beeinträchtigt lokale Innovationen in Entwicklungsländern auch in anderer Hinsicht. Oft haben Forscher sowie kleine und mittelständische Unternehmen keinen Zugang zu wichtigen aktuellen Forschungsergebnissen und auch keine Chance, sich erschwinglich weiterzubilden. Hürden für die Nutzung geistigen Eigentums behindern zudem nicht nur Innovation, sondern das Wachstum des Privatsektors überhaupt – und zwar auf wichtigen Feldern wie Informations- und Kommunikations-Technologie (IKT), Gesundheitswesen, Landwirtschaft oder im Bereich der erneuerbaren Energien.
Offene Innovationen
Im Gegensatz zum konventionellen Paradigma der geschlossenen Innovation mit strengem Abriegeln des geistigen Eigentums, ermöglicht „offene Innovation“ eine gemeinschaftlichere Welt. Der US-Ökonom Henry Chesbrough spricht von der Nutzung „eigener und fremder Ideen und von innerbetrieblichen und externen Wegen zum Markt“. Innovation ist damit keine geheime Angelegenheit mehr, vielmehr werden Einsichten mit allen, die sich dafür interessieren, geteilt. Die englische Wikipedia definiert das verwandte Open-source-Konzept als „Praktiken in Produktion und Entwicklung mit dem Prinzip, das Ausgangsmaterial der Endprodukte frei zugänglich machen“.
Auf der ganzen Welt gibt es immer mehr innovative Firmen, die nach diesem alternativen Modell arbeiten. Sowohl die erwähnte Hörhilfe wie auch der Wasserfilter werden so hergestellt. Weltweit teilen Menschen ihre Ideen und Erfindungen. Mehr noch: Sie fordern andere auf, diese Ideen genau zu prüfen, zu verbessern und weiter zu verbreiten. Klassisches Nachbauen wird damit zur völlig legitimen und legalen Geschäftsstrategie. Potentielle Erfinder – auch in Entwicklungsländern – haben auf Internetplattformen wie howtopedia oder makerwiki Zugriff auf einen Schatz guter Ideen für offene Innovation.
Das „Open-source“-Konzept gehört zu den Bauprinzipien digitaler Wissensallmenden wie auch „open access“, das freien Zugang zu wissenschaftlichen Informationen gewährt, oder „open content“, das Prinzip, das der Online-Enzyklopädie Wikipedia zugrunde liegt. Es geht um immaterielle Kollektivgüter. Statt Copyright gilt die Norm „copyleft“: Erfinder brauchen keine Erlaubnis und müssen keine Lizenzen bezahlen, um das Material zu nutzen. Copyleft ist eine „Lizenz zu erfinden“, denn jeder darf weiterforschen und -entwickeln – unter der Bedingung, dass alle Interessierten wieder zu den Ergebnissen Zugang bekommen.
Die Wissensallmende wächst mit der Digitalisierung immer schneller. Beispiele sind
– freie und quelloffene Software (FOSS) und offene technische Blaupausen,
– digitale Medien wie Online-Enzyklopädien oder Wörterbücher,
– offen zugängliche Lehrmaterialien wie die OpenCourseware des Massachusetts Institute of Technology (MIT),
– Kunst (Musik, Bilder, Filme) unter „Creative commons“-Lizenzen und
– wissenschaftliche Sammlungen wie die Public Library of Science oder die Science Commons.
Sie alle schaffen Erfinderfreiheit mit enormem Potential für offene Innovationen.
Die prominentesten Beispiele für freie und quelloffene Software sind wahrscheinlich das Betriebssystem Linux und die Anwendungen Open Office und Firefox. Linux hat bewiesen, dass Open-source-Programme im Wettbewerb bestehen können. Oft sind solche Lösungen sogar besser als die aus der geschlossenen Innovationskultur. Der Grund ist klar: Mehr Menschen kennen den Quellcode und können Fehler korrigieren oder andere Dinge verbessern.
Aber warum sollten Entwickler und Unternehmen offene Innovation betreiben, wenn sie dabei die Kontrolle über die Früchte ihrer Arbeit verlieren? Ökonomen haben lange gelehrt, dass Innovation darauf beruht, dass Erfinder dank Patenten, Urheberrechten et cetera für ihre Leistung belohnt werden. So gesehen hängt Fortschritt vom Schutz des geistigen Eigentums ab. Aktuelle Studien widersprechen dieser Sicht aber teilweise. Die Volkswirte Eric von Hippel und Georg von Krogh haben ein „private-collective innovation model“ vorgestellt. Sie zeigen, dass es sehr wohl Anreize geben kann, in einem Umfeld kollektiv geteilter Informationen innovativ zu sein, in dem die Erfindungen dem Gemeinwohl dienen. Auch Geschäftsmodelle, die darauf beruhen, funktionieren.
Das stärkste Geschäftsmodell in der IKT-Branche kann mit „alles frei außer den Dienstleistungen“ skizziert werden. Weltweit wählen immer mehr kleine und mittlere Unternehmen diesen Ansatz. Allein in Afrika identifizierte kürzlich ein InWEnt-Fortbildungskurs Dutzende erfolgreicher FOSS-Geschäftsmodelle (siehe Link).
Dem Privatsektor in Entwicklungsländern bieten digitale Allmenden wichtige Chancen, an relevantes Wissen heranzukommen. Das ist eine solide Basis für lokale Erfinder und Innovatoren, weil sie Elemente von anderen Innovationen verwenden dürfen, um sie in Werte umzuwandeln, die der örtlichen Bevölkerung dienen. Gleichzeitig können die Ergebnisse wieder in den globalen Innovations-Pool eingespeist werden.
Einige innovative Akteure in der internationalen Zusammenarbeit beteiligen sich an Programmen zur Förderung solch offener Konzepte. Dazu gehören das International Development Research Centre (IDRC), das Open Society Institute, die Shuttleworth Foundation und InWEnt. InWEnt hat gerade die Initiative „commons@ip – harnessing the knowledge commons for open innovation“ gestartet. Sie wurde gemeinsam mit dem IDRC konzipiert und behandelt als Teil des Capacity-Building-Programms „Train for Trade“ wichtige Fragen offener Innovation wie zum Beispiel:
– Wie kann die Wissensallmende für offene Innovation in Afrika nutzbar gemacht werden?
– Wie kann der rechtliche Rahmen in der gesamten Region für offene Innovation förderlich gestaltet werden?
– Wie erreicht man, dass in Innovationsnetzwerken offen zusammengearbeitet wird?
Die Initiative wird afrikanische IPR-Experten vernetzen und diverse Verantwortliche in die Debatte einbeziehen (von Privatunternehmen über zivilgesellschaftliche Gruppen bis hin zu Behörden). Außerdem wird sie zum Austausch mit „Open Innovation“ Initiativen in Ankerländern wie Südafrika, Indien und Brasilien anregen.