Fachliteratur
Neue transnationale Netze
Internationale NGOs (INGOs) galten lange als Hoffnungsträger auf dem internationalen politischen Parkett. Ihr Einsatz für Menschenrechte, Umweltschutz und friedliche Konfliktlösung machte sie zum Sinnbild für eine wertorientierte, demokratische Weltpolitik. NGOs wurde und wird oft deutlich mehr Vertrauen entgegengebracht als staatlichen Akteuren: Die öffentliche Wahrnehmung von Organisationen wie Greenpeace, Human Rights Watch und Oxfam ist nach wie vor ausgesprochen positiv.
Die meisten Fachautoren teilen die Einschätzung, dass die Beteiligung von INGOs internationale politische Prozesse transparenter macht und INGOs zu einer friedlicheren und gerechteren Welt beitragen. Zugleich wird aber auch verstärkt Kritik an der Ausrichtung und Vorgehensweise so mancher Organisation geübt.
Neben einer Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen hat in Deutschland zuletzt insbesondere das journalistisch ausgerichtete „Schwarzbuch WWF“ (Huismann 2012) und der dazugehörige Dokumentarfilm „Der Pakt mit dem Panda“ Aufsehen erregt. Darin problematisiert Wilfried Huismann unter anderem die Nähe der Umweltorganisation WWF zu Agrar- und anderen Wirtschaftsunternehmen, was häufig zu Lasten der lokalen Bevölkerung in ärmeren Ländern gehe.
Das Unbehagen gegenüber dem WWF und anderen INGOs rührt auch daher, dass große Organisationen mit ihren Hochglanzbroschüren und ihrem professionellen Auftreten weniger finanzstarken, lokalen Akteuren häufig die öffentliche Aufmerksamkeit entziehen. Aktivisten und Wissenschaftler haben in den letzten Jahren verstärkt darauf hingewiesen, dass globale Machtstrukturen verfestigt werden, wenn INGOs aus dem globalen Norden (zumeist Europa und Nordamerika) für die Belange der Menschen im globalen Süden sprechen.
Die Politikwissenschaftlerin Ruth Reitan (2011) kritisiert das nach wie vor oft paternalistische Auftreten nördlicher INGOs gegenüber südlichen Aktivisten. Sie schreibt allerdings auch, dass dieses „Advocacy model“ inzwischen im Schwinden begriffen sei und durch neue Formen der transnationalen, zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit abgelöst werde. Dies führt die Autorin vor allem auf ein Erstarken der Zivilgesellschaft im globalen Süden und neue Formen der Vernetzung und Mobilisierung zurück. Als eines von vielen Beispielen nennt sie La Via Campesina, ein transnationales, dezentral organisiertes Netzwerk von Kleinbauern mit Sitz in Indonesien.
Die neuen Vernetzungstendenzen spiegeln die zunehmende Relevanz von Idealen wie Dezentralität, Basisdemokratie und Egalität wider. Offenere Formen der Vernetzung werden vor allem durch internetbasierte Kommunikation möglich, darunter Social-Media-Netzwerke wie Twitter und Facebook, die neue Wege für spontane, nicht durch NGOs gesteuerte Kampagnen bieten. Reitan betont aber auch, dass NGOs dadurch keinesfalls obsolet würden. Vielmehr komme ihnen eine neue Rolle in der transnationalen Zivilgesellschaft zu.
Neue Rollen
Einige INGOs haben in den vergangenen Jahren auf die Entwicklungen reagiert beziehungsweise sie mit angestoßen. Hiermit geht ein verändertes Selbstverständnis einher: Viele NGOs verstehen sich inzwischen weniger als Fürsprecherinnen denn als Unterstützerinnen und als Knotenpunkt innerhalb größerer, transnationaler Bewegungen (Reitan 2011). Interne Reflexionsprozesse über die eigene Rolle im internationalen Gefüge führen zum Teil zu großen Veränderungen der Strukturen und Arbeitsweise von Organisationen. So hat die Entwicklungs-INGO Action Aid ihren Hauptsitz vor einigen Jahren bewusst von London nach Johannesburg verlegt, um die Organisation stärker in den Kontext des globalen Südens einzubinden (siehe auch Beitrag von Adriano Campolina).
Ein weiteres Beispiel ist die föderal organisierte, transnationale NGO Friends of the Earth. Sie hat in den vergangenen Jahren den ohnehin vergleichsweise großen Einfluss ihrer Mitglieder aus dem globalen Süden weiter gestärkt und die Perspektiven lokaler Aktivisten auf internationalem Parkett sichtbarer gemacht. Brian Doherty und Timothy Doyle (2014) gelingt mit ihrer detaillierten empirischen Erforschung von Friends of the Earth eine Nahaufnahme der inneren Verfasstheit und internen Prozesse einer NGO. Die Studie öffnet die Blackbox, die NGOs in der Forschungsliteratur darstellen, und zeigt die Relevanz der kollektiven Identität einer zivilgesellschaftlichen Organisation, aber auch die Schwierigkeit, in einer transnationalen NGO auf demokratischem Wege zu einer gemeinsamen Position zu gelangen.
Fallbeispiel Klimapolitik
Einen Schwerpunkt legen Doherty und Doyle auf das Engagement von Friends of the Earth in der internationalen Klimapolitik. Während zivilgesellschaftliches Engagement in dem Bereich über viele Jahre vornehmlich durch professionalisierte Umwelt-NGOs aus dem globalen Norden getragen wurde, ist insbesondere seit 2007 die Präsenz von Gruppen aus dem globalen Süden deutlich gestiegen. Zudem bringen sich auch Organisationen, die traditionell keinen Schwerpunkt auf Umweltthemen legen, verstärkt in die Debatten ein. Friends of the Earth hat 2007 das bewegungsorientiertere Aktivisten-Netzwerk Climate Justice Now mitgegründet und ist ein wichtiger Akteur dieser noch jungen Initiative, wie Doherty und Doyle ausführen.
Die angesprochenen Entwicklungen, aber auch die vielen Aktionen rund um die Weltklimakonferenz in Kopenhagen 2009 waren Auslöser für eine ganze Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu verschiedenen Aspekten der transnationalen Klimabewegung. Im deutschsprachigen Raum sind insbesondere die Sammelbände von Brunnengräber (2011) und von Garrelts und Dietz (2013) zu nennen. In den Beiträgen beider Veröffentlichungen wird deutlich, dass transnationale zivilgesellschaftliche Strukturen offener und fluider geworden sind und die beteiligten Akteure eine deutlich größere Diversität aufweisen. Häufig kommen wesentliche Impulse und neue Sichtweisen nicht aus den etablierten Organisationen, sondern aus jüngeren zivilgesellschaftlichen Netzwerken.
Die Beiträge zeigen aber auch, dass die Rolle von INGOs in Bezug auf die internationale Klimapolitik – wie auch mit Blick auf andere internationale politische Prozesse – von großer Relevanz bleibt. Denn viele der jüngeren Netzwerke haben nicht die finanziellen Mittel, die fachliche Expertise und das Insiderwissen, um internationale politische Prozesse dauerhaft mitzugestalten.
Insgesamt weisen die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre einen deutlich differenzierteren und kritischeren Blick auf INGOs auf und verdeutlichen auch bestehende Spannungen zwischen etablierten Organisationen und protestorientierteren Bewegungsakteuren. Die Literatur zeigt dabei auch, dass viele INGOs die neuen Netzwerke begrüßen und unterstützen. Ein wichtiger Impuls hierfür waren sicherlich die gescheiterten Klimaverhandlungen in Kopenhagen 2009, die viele INGOs zu der Einschätzung gebracht haben, dass breitere soziale Bewegungen notwendig sind, um die drängenden globalen Herausforderungen zu bewältigen.
Romina Ranke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Internationale Beziehungen am Institut für Politische Wissenschaft der Leibniz Universität Hannover.
r.ranke@ipw.uni-hannover.de
Literatur:
- Brunnengräber, A., (Hrsg.), 2011: Zivilisierung des Klimaregimes. NGOs und soziale Bewegungen in der nationalen, europäischen und internationalen Klimapolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Doyle, T., und Doherty, B., 2014: Environmentalism, Resistance and Solidarity. The Politics of Friends of the Earth international. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
- Garrelts, H., und Dietz, M., (Hrsg.), 2013: Die internationale Klimabewegung. Ein Handbuch. Wiesbaden: Springer VS.
- Huismann, W., 2012: Schwarzbuch WWF. Dunkle Geschäfte im Zeichen des Panda. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
- Reitan, R., 2011: Coordinated Power in Contemporary Leftist Activism. In: Olesen, T., (Hrsg.): Power and Transnational Activism. S. 51–71.